Kapitel 23 - Das Ende des Weges eines geliebten Freundes

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Kapitel 23 - DasEnde des Weges eines geliebten Freundes

23:12 Uhr, Luxanus Sektor

Mein mehr als nur verwirrter Blick wanderte zu Andrew, der mich genauso fragend ansah, wie ich ihn. Also hatte er auch keine Ahnung.
„Was genau machen wir hier?", fragte ich an Thomas und Matthew gewandt, als wir aus dem schwarzen Pickup steigen und ich einen leeren Rucksack schulterte. Der Luxleiter und der Agent waren mit einem anderen Auto von Luxanus gefahren, dass Cody für uns aufgetrieben hatte.
„Das wüsste ich auch gerne", meinte Jason. „Ich dachte, wir wollten zu diesem geheimen Ausrüstungslager?"
„Tun wir ja auch", antwortete Thomas und führte uns zu der nächsten Kreuzung. Dahinter erblickte ich wie erwartete das Lux HQ. Dieses lag noch immer genauso verlassen und ruhig da, wie wir es auch schon bei unserem letzten Besuch hier vorgefunden hatten. Keine einzigen Lichter erhellten den nun stockdusteren Platz in der Nacht. Und wie damals auch, beschlich mich wieder dieses bedrückende Gefühl. Das hier war auf gewisse Weise unser Zuhause und es versetzte mir einen Stich, es so verlassen da zu sehen.
„Das ist jetzt aber bitte nicht dein Ernst", hörte ich Andrew neben mir murmeln und mit einigen schnellen Schritten holte er zu Thomas auf. „Das geheime Lager ist ernsthaft in unserm HQ?" Er sah den Agenten so an, als würde er ihm weiß machen wollen, dass die Sonne morgen früh nicht aufgehen wird.
„Er ist nicht im HQ, lass dich überraschen", erwiderte Thomas schmunzelnd und ich warf Matthew einen fragenden Blick zu. Dieser verriet aber genauso wenig. Na toll, natürlich hielten die beiden es mal wieder nicht für nötig, uns einzuweihen.
Mir gefällt das nicht. Wir gingen auf das HQ zu. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Um diese Uhrzeit war am Lux HQ auch nie viel los gewesen, nur die Wachen von Luxanus konnte man immer vor dem Hauptquartier vorfinden. Nur jetzt nicht.
Mir auch nicht, Jin. Antwortete Jason. Es ist riskant hier zu sein. Vor allem wenn Matt und Thomas dabei sind.
Ja, da hatte er recht. Im Notfall hatten wir immer noch unsere Tarnfähigkeit und konnten dadurch nicht so schnell entdeckt werden. Thomas und Matthew nicht. Zusätzlich wurde Thomas sicherlich in der ganzen Stadt gesucht und Matthew hatte doch gestern bei Cody noch erklärt, dass er lieber noch etwas untergetaucht bleiben will. Ich weiß ja nicht, was im Moment mit den beiden los ist, aber bevor dieses ganze Chaos hier losging, waren sie wesentlich besser organisiert und haben alles immer drei bis viermal durchdacht. Uns hatte sie immer eingeschärft, erst gründlich Nachzudenken und dann zu handeln. Oder hatte sich meine Sicht auf die Dinge inzwischen geändert?
Haben Matthew oder Thomas eigentlich schon irgendetwas dazu gesagt, wie wir weiter vorgehen wollen, wenn unsere Ausrüstung haben? Fragend sah ich zu Andrew und Jason.
Jason schüttelte den Kopf. Aber ich glaube Matt hat schon einen Plan. Auf jeden Fall hat er so etwas angedeutet.
Ich sah zwischen den beiden Jungs hin und her. Seit wann lass ihr beide euch eigentlich irgendwas vorschreiben?
Andrew war mir einen kurzen Blick über die Schulter zu und ich sah sein Schmunzeln. Tun wir ja gar nicht. Jas und ich arbeiten an einem eigenen Plan.
Und mich weiht ihr nicht ein oder wie?
Frage ich ihn leicht empört.
Jason verdrehte die Augen. Wir haben vor fünfzehn Minuten erst angefangen Ideen zu sammeln. Wenn wir wieder zurück in der Lagerhalle sind, erkläre ich dir, was wir uns überlegt haben und du kannst deine schlauen Kommentare einbringen.
Ich boxte ihm gegen die Schulter und schnaubte genervt, da die beiden auch immer alles ins lächerliche ziehen müssten.
Erst jetzt bemerkte ich Matthews Blick, der zwischen uns hin und her wanderte. „Hört auf damit. Wirklich."
„Womit?", fragte Jason scheinheilig und auch ich setzte ein gespielt ahnungsloses Gesicht auf.
„Ihr wisst womit. So weiß ich nicht, was ihr gleich wieder für ein Chaos verursacht", murmelte der Lux Leiter kopfschüttelnd.
„Endlich", seufzte ich erleichtert und fing mir einen irritierten Blick von Matthew und Thomas ein. „Der alte Matt ist wieder da", grinste ich.
Jason und Laurin lachten leise, während Andrew seinen Blick schweigend auf das HQ gerichtete hatte. Ich wurde wieder ernst und blieb neben ihm stehen. Unruhig huschte mein Blick umher. Die Stille, die hier herrschte, ließ mich erschauern. Er schien beinah so, als wäre niemand hier gewesen, seit wir das letzte Mal hier waren.
Als Andrew mich am Arm berühte und so zum weitergehen drängte, schreckte ich hoch. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Matt mit den anderen bereits weitergegangen war.
Zu meiner Verwunderung führte Thomas uns zu dem Seiteneingang des Hauptquartiers, durch den wird damals hineingangen waren. „Meinte er nicht gerade noch, dass das Lager sich nicht in dem HQ befinden würde?", fragte ich Andrew, der noch immer neben mir stand und nur mit den Schultern zuckte.
Matt trat kommentarlos an Thomas vorbei, als dieser feststellte, dass ihm seine Schlüssel ja bei der Verhaftung abgenommen wurde waren. Der Lux Leiter öffnete die Tür und betrat das HQ. Ich huschte an Thomas vorbei als zweiter hinein und konnte Matthew förmlich ansehen, wie er sich anspannte. Auch ihm musste es bedrücken, das Luxanus Hauptquartier so zu sehen. Zwar lebte er nicht komplett hier, so wie wir es taten, aber doch schien es auch für ihn mehr als nur ein Arbeitsplatz zu sein.
„Ist das Lager jetzt doch hier im HQ?", fragte ich Thomas und drehte mich zu ihm um. Matt beachtete meine Frage gar nicht erst, sondern ging einfach durch den stockdusteren Gang, der nur von seiner Taschenlampe erhellt wurde. Irgenwie war Matthew komisch, seit das Lux HQ angegriffen wurde. Er schien nicht mehr alles so unter kontrolle zu haben, wie er es vorher hatte. Und er machte auf mich beinah den Eindruck, als wüsste er noch etwas, was er uns verschieg.
„Nicht so ganz", antwortete Thomas mir und trat neben mich. Kurz war ich verwirrt, bis mir augenblicklich wieder einfiel, dass ich ihn ja gerade etwas gefragt hatte. Gut, ich hatte mich genaso wie Matthew verändert, seit das alles hier begonnen hatte. Ich wurde immer unkonzentrierter, mir unterliefen fehler und ich schaffte es nicht mehr so gut wie früher, meine Gefühle unter kontrolle zu haben.
Als wir die große Haupthalle durchquerten, übernahm Thomas die Führung. Mein Blick schweifte währenddessen durch die Halle. Noch viel zu genau erinnerte ich mich an den Tag, als Tresher hier stand und Thomas festnahm, Matthew verschwand, Luxanus von einem Moment auf den nächsten zusammenbrach und wir einfach aus unserer gewohnten Umgebung gerissen wurden.
Neben mir sah Jason sich zum wiederholten Male um. Er schien sich genauso unwohl wie ich zu fühlen. Irritiert wandte ich den Blick von den dunklehaarigen ab, als ich fast in Matthew hineinrannte. Inzwischen waren wir im Keller des HQ und waren in einem breiten Gang stehen geblieben, der zu unserer Trainingshalle führte. Der Agent leuchtete mit einer Taschenlampe auf die Wand vor ihm und musterte sie genauer. Dann tippte er gezielt fünfmal hintereinander einen bestimmte für mich unsichtbaren Punkt an. Ich hob erstaunt die Augenbraunen, als auf einmal ein kleines Codefeld aufleuchtete. Thomas gab schnell die Ziffernfolge ein und bestätigte diese mit einem Fingerabdruck. Lautlos öffnete sich die Wand vor uns und gab einen langen ebenso dunklen Gang frei.
„Ich fühle mich gerade wie in einem Sciene-Fiction Film", murmelte Laurin, während ich immer noch baff den Kopf schüttelte. Ich wusste gar nicht, dass es in unserem Hauptquartier Geheimgänge gab.
„Das Lager ist in einem Geheimgang vom HQ?", sprach schließlich Jason, der als einziger ziemlich gefasst aussah, den Gedanken aus, der uns gerade allen durch den Kopf ging.
Thomas sah ihn mit einem siegessicheren Grinsen an. „Wo hättest du das Lager am wenigsten Erwartet?"
„Hier", nuschte Jason.
„Na siehst du", grinste der Lux Agent und folgte dann Matthew, der schon in dem Geheimgang verschwunden war. Kaum hatte ich diesen hinter Andrew betreten, viel die Temperatur um einige Grad ab. Ich rieb mir über die Ärmel meiner grauen – nun ja, inzwischen grau, grün und blauen – Jacke und versuchte an Thomas, Matthew und Andrew vorbei etwas zu erkennen, was mir aber nicht gelang. Nach nur einigen Metern führte eine schmale Treppe noch weiter hinab. Mit einem leisen Klicken verschloss sich die unscheinbare Tür hinter uns.
„Das Lager liegt unter dem HQ", murmelt ich, als ich es plötzlich verstand. Eigentlich war es eine relativ schlaue Idee. Wie Jason und Thomas eben sehr hilfreich festgestellt hatten, erwartete man am wenigsten, das Lager hier zu finden. Ich selber wäre definitiv nie darauf gekommen. Kurz überließ ich dem T-Virus die Oberhand und spürte das leichte ziehen, als die biologische Energie in technische umgewandelt wurde. Einige Sekunden später sah ich die vertrauten Umrisse der Wärmesignaturen.
Am Ende der Treppe standen wir vor einer schweren Metalltür. Thomas gab auch hier einen Code in die kleine Schalttafel ein, woraufhin die Tür zischend aufsprang. Mit Andrews Hilfe zog Thomas die schwere Sicherheitstür auf und leuchtete erst kurz in den Raum, eh er diesen Betrat. Ich staunte nicht schlecht, als ich in der Mitte des Ausrüstungslagers stand. Der Raum war etwa 7 mal 8 Meter groß und bis oben hin mit Waffen, Computern und allem nur erdenklichen an Ausrüstung gefüllt. Hier war alles, was wir brauchten und damals nicht im HQ finden konnten, weil Racket es weggeschafft hatte. Thomas und Matthew waren bereits dabei, die Sicherheitsschränke mit ihren Zugangscodes zu öffnen. Während Matthew und Laurin sich an den technischen Geräten zu schaffen machte, nahm ich die Munition von Thomas entgegen und packte sie zusammen mit drei unterschiedlichen Schusswaffen in den Rucksack. Diese hier waren wesentlich besser, als die, die wir bis jetzt zur Verfügung hatten. Andrew tat es mir gleich und Jason packte einige Peilsender, Empfänger und andere Geräte ein, von denen ich kaum die Funktion kannte.
Als mein Rucksack gefüllt war zog ich den Reisverschluss zu und schulterte wieder. Schweigend beobachtete ich die anderen, die gerade ihre Rucksäcke und die zwei Sporttaschen, die wir auftreiben konnten, füllten. Mein Blick wanderte den Gang entlang. Kurz blinzelte ich und konzernierte mich auch den T-Virus. Einige Sekunden darauf verschwanden die Wärmesignaturen und die dunklen Umrisse der Nachtsicht wurden klarer. Damit konnte ich meine Umgebung im Moment besser überblicken.
„Seid ihr soweit?", fragte ich und drehte mich wieder um. Die Unruhe und dass unwohle Gefühl befiel mich immer mehr. Matthew nickte, schulterte den Rucksack und griff nach der Taschenlampe. Als ich sah, dass auch die anderen Aufbruch bereit waren, verließ ich den Raum und führte die anderen zurück zu Treppe. Nachdem ich diese erklommen hatte, blieb ich etwas ratlos vor der Geheimtür stehen.
„Gegen drücken", erklärte Thomas von irgendwo hinter mir. Ich brauchte die Tür kaum mit meiner Hand zu berühren und etwas drück aus zu üben, als diese schon aufsprang.
Ich trat hinaus auf den leeren Gang und blieb augenblicklich alarmiert stehen. Das Geräusch von Schritten näherte sich uns. Viele Schritte.
Mit weit auf gerissenen Augen drehte ich mich um und sah die fünf Männer an. Jason war neben mir ebenfalls erstarrt, während Matthew sofort die Taschenlampe ausschaltete, ebenso wie Thomas.
Wer ist das? Laurins Stimme hörte sich leicht panisch in meinen Gedanken an. Genauso wie ich mich fühlte.
„Durch die Halle können wir nicht zurück", flüstere Andrew leise und drängte Laurin in die andere Richtung. „Wir sollten uns aufteilen. Jason, geht mit Jin und Thomas."
Jason und ich nickte synchron. Eilig folgte ich dem dunkelhaarigen den dunklen Gang entlang, während dieser darauf achtete, dass Thomas uns im dunklen nicht verlor. Andrews, Laurins und Matthews Schritte verklangen hinter uns langsam und das unwohle Gefühl verwandelte sich zu einem besorgten und gleichzeitig mehr als angespanntem. Ich erkannte, wo Jason lang wollte. Über den Glastunnel und dann das hinterste Treppenhaus hinab zu einem eher unbekannten Seitenausgang.
Gerade als ich die Glastür zum Treppenhaus aufstieß, erschienen Lichtkegel mehrere Taschenlampen an der nächsten Ecke. Mein erschrockener Blick wanderte für einen Augenblick lag zu Jason, bevor ich in das Treppenhaus huschte, gefolgt von den beiden Männern.
„Die haben uns gesehen", hörte ich Jason hinter mir sagen, während ich voraus die Treppe hoch sprintete. Ich wagte einen kurzen Blick zurück über die Schulter und sah mehrere schwarzgekleidete bewaffnete Männer, die an der Tür auftauchten und diese genauso schwungvoll aufstießen, wie ich zu vor. Plötzlich sprang die Notstrombeleuchtung des HQs an, und ich drängte eilig den T-Virus zurück, um wieder normal sehen zu können.
Zwei Etagen höher riss ich die Glastür auf und rannte bereits den Gang entlang nach links. Zum Glück kannte ich dieses Gebäude in und auswendig. Wenn ich mich jetzt erst noch orientieren müsste, würde wir wertvolle Zeit verlieren und unsere Verfolger würden aufholen.
Wer waren diese Männer eigentlich? Als Jason zu mit aufholte, wagte ich einen kurzen Blick über die Schulter an Thomas vorbei. Das helle Licht der Taschenlampen blendete mich kurz, aber trotzdem erkannte ich das Logo auf der Schulter eines Mannes.
„Das ist Racket", keuchte ich und holte wieder zu Jason auf, da ich gerade ein bisschen langsamer geworden war. „Sie haben uns gefunden."
Sie müssen uns hier irgendwie aufgespürt haben, hörte ich seine Stimme in Gedanken. Beinah wäre ich weiter geradeaus gerannt, als Jason auf einmal in einen Seitengang abbog.
„Jason, Glastunnel ist dahinten", meinte Thomas ebenso irritiert, folgte dem dunkelhaarigen aber ohne zu Zögern.
„Ist mir auch bewusst", knurrte dieser nur, lief aber zielbewusst weiter. Kurze Zeit später wusste ich, was er vorhatte. Hier lag der Bürokomplex, dessen Gänge so verwinkelt waren, dass sie beinah einem Labyrinth ähnelten.
An der nächsten Abzweigung bog ich links ab, während Thomas nach rechts lief und Jason weiter grade aus. Wenn wir Glück hatten, verwirrten wir die Racket-Polizisten erst einmal. Im ersten Moment schien es auf geklappt zu haben, denn die Schritte wurden an der Abzweigung langsamer. Anscheinend waren sie sich gar nicht so sicher, wo hin wir waren. Den Schritten nach zu urteilen teilten sie sich dann aber auf. Wenn ich mich nicht irrte, mussten es zwei Polizisten sein, die meinen Gang gewählt hatten.
Schnell lief ich um die nächste Ecke und kam an Matthews Büro vorbei. Die Tür war nur angelehnt, anscheinend war Racket noch einmal hier gewesen, seit dem wir das Lux HQ das letzte Mal nachts besucht hatten. Und plötzlich wurde mir etwas klar.
Jason. Racket hatte geahnt, dass wir hierherkommen. Das hier war eine Falle. Ich wusste nicht, ob meine Gedanken bei ihm ankamen, denn sie hatten mich ja schon einmal kurz nach der Flucht vor Racket im Stich gelassen.
Treshers Drohung, dass er uns finden würde, war gar nicht auf die alte Lagerhalle im zerfallenen Sektor bezogen, sondern auf das Lux HQ. Er wusste, dass wir noch einmal hierherkommen würden. Er mochte nichts von dem geheimen Ausrüstungslager wissen, aber das hier war der einzige Ort, an dem wir an Waffen, Munition und alles andere kamen. Er hatte uns eine Falle gestellt und uns sogar noch davor gewarnt. Aber wir hatte es nicht verstanden und waren geradewegs in die Falle gelaufen.
Was für eine Falle? Jason Stimme klang leicht angespannt.
Die Nachricht, antwortete ich. Er hatte das HQ gemeint nicht unsere Halle. Das hier ist der Ort, an dem er uns finden wollte.
Jasons fluchen hörte ich selbst in meinen Gedanken. Ich rannte um die nächste Ecke, bremste ab und huschte zurück hinter die Wand. Schwer atmend drückte ich an die kalte Wand hinter mir und betete, dass die Racket-Polizisten, denen ich gerade fast in die Arme gerannt wäre, mich nicht gesehen hatten.
„Habt ihr das gehört?", fragte einer der Männer und hielt erschrocken den Atem an und presste mich noch näher an die Wand. Ich versuchte dem T-Virus die Überhand zu überlassen, aber die Panik, die langsam in mir aufstieg, ließ es nicht zu.
„Ich habe nichts gehört", erklärte eine andere Polizistin.
„Doch. Da war etwas", wieder die erste Stimme. Schritte kamen auf mich zu. Ohne großartig nachzudenken, stieß ich mich von der Wand ab und rannte in die entgegen gesetzte Richtung. Entdecken würden sie mich auch, wenn ich an Ort und Stelle stehen bleiben würde.
„Hey!", rief der Polizist aus, als er mich entdeckte und schaute noch kurz zu seinen Kameraden, bevor er mir folgte. „Hier ist wohl jemand!"
Ich sprintete zu nächsten Ecke, kam schlittend gerade noch um die Ecke wobei ich mich allerdings kurz an der Wand abfangen musste, bevor ich weiter rennen konnte. Der Polizist war mir dicht auch den Fersen und sicherlich auch die anderen, die ihn begleiteten.
„Jin! Bleib stehen!"
Kurz war ich verwirrt, als ich meinen Namen hörte und die Stimme nicht direkt zu ordnen konnte. Aber dann sah ich eine blonde Frau auf mich zu stürmen. Alexa. Sie hielt ihre Waffe schussbereit in der Hand und trug die schwarze Kleidung der Agenten.
Ich stoppte abrupt und lief in den Gang links von mir, den ich sofort entlang sprintete. Im Stillen dankte ich Thomas für sein Ausdauertraining, das ich vor wenigen Wochen noch verflucht hatte. Erschrocken zog ich den Kopf ein, als Alexa auf mich schoss. Die meinte das wirklich ernst, dass sie und Tresher uns aus dem Weg schaffen wollten. Halb geduckt und im Zickzack laufend, damit Alexa mich nicht so schnell treffen konnte, lief ich auf die nächste Abzweigung zu. Scharf zog ich die Luft ein, als eine Kugel mich am Bein streifte. Meine Wade brannte und ich spürte das warme Blut, dass aus dem Streifschuss sickerte.
„Jin!" Ich zuckte heftig zusammen, als jemand aus dem Gang, in dem ich mich gerade in Sicherheit bringen wollte, gerannt kam. Er packte mich am Arm und zog mich schneller als ich schauen konnte mit in den gegenüberliegenden Flur. Vor lauter Schreck, dass Alexa noch mehrere Schüsse auf uns abfeuerte, bevor wie in Deckung waren, verlor ich das Gleichgewicht und stützte. Auch Thomas, den ich jetzt endlich erkannte, fiel neben mir gegen die Wand.
Ich zog scharf die Luft ein, fasste kurz vorsichtig an mein verletztes Bein und kämpfte mich dann auf die Beine. Ich spürte zwar den Schmerz, aber das Adrenalin, das gerade in Unmengen durch meine Adern schoss, hielt diesen in Grenzen. Mein Blick wanderte zu Thomas, der sich gerade keuchend aufrappelte.
„Alles in Ordnung?", fragte ich ihn und zog meine Waffe aus dem Holster, die ich sofort entsicherte. Thomas nickte schweigend und stützte sich einen Moment an der Wand ab, während er eine Hand auf seine Seite presste. Da er mir aber sofort ein Zeichen gab, dass wir hier wegmussten, ging ich davor aus, des er bei dem Sturz schlecht aufgekommen war. Ich folgte humpelnd Thomas, der in einem eiligen Tempo vor mir herlief. Alexa schien uns einen Moment verloren zu haben oder sie sammelte ihre Truppen gerade neu, denn momentan flogen uns keine Kugeln um den Kopf.
„Thomas! Jin!" Ich entdeckte Jason, der in einer Tür stand. Er winkte uns zu sich und sah sich dann um. Ich huschte noch vor Thomas in den kleineren Gang, der hinter der Glastür lag. Ich wusste wo er hinführte. Zu dem Labortrakt und von dort aus konnte wir zum Glastunnel gelangen. Die Tür, die Jason gerade wieder schloss, war eher unscheinbar und schnell zu übersehen. Vielleicht hatten wir Glück würden Alexa und ihre Polizisten uns hier verlieren.
Ich hörte Thomas hinter mir schwer keuchen und sah über die Schulter zu ihm zurück. Er war bedenklich blass und presste noch immer eine Hand auf seine Seite.
„Was ist los?", fragte ich und blieb mit einem besorgten Blick stehen, wo durch ich ihn zwang, ebenfalls anzuhalten.
Er begann zu schwanken, lehnte sich an die Wand und glitt an dieser herunter. Ich ging neben ihm in die Hocke, schob seine Jacke zur Seite und nahm vorsichtig seine Hand von seiner Seite. Erschrocken keuchte ich auf, als ich den großen roten Fleck auf seinem grauen Oberteil sah. Meine Hand war sofort Blut geträngt, als ich sie auf seine Wunde presste. „Hat Alexa dich eben angeschossen?", fragte ich ihn. Thomas nickte, lehnte den Kopf gegen die Wand hinter sich und schloss die Augen. „Thomas! Wach bleiben", knurrte ich mit scharfer Stimme. Die Kugel war ungefähr einen Zentimeter zwischen seiner letzten und vorletzten Rippe eingedrungen. Die Blutung ließ sich kaum stoppen.
„Jin...", Thomas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Ich sah ihm deutlich an, wie viel Kraft ihm das Reden kostete. „Ihr müsst..."
„Nein", unterbrach ich ihn sofort, als ich begriff, was er meinte und schüttelte energisch den Kopf. „Wir lassen dich nicht hier."
„Ihr müsst", hauchte er und etwas Blut begann bereits über seine Lippen zu laufen.
„Nein", wiederholte ich und presste meine Hand weiter auf seine Schusswunde. Ich würde ihn sicherlich nicht hier zurücklassen.
„Jin", Jason ging neben mir in die Hocke und legte eine Hand auf meine Schulter. „Die Kugel hat seine Lunge durchdrungen." Seine Stimme hörte sich seltsam emotionslos an. „Es ist schon ein Wunder, dass er bis hier in laufen konnte."
„Ich lass Thomas nicht hier", noch immer schüttelte ich den Kopf und versuchte verzweifelt die Blutung zu stoppen. Ich spürte die ersten Tränen, die über meine Wangen liefen. Ich hatte schon zu viel verloren, nicht auch noch eine der wenigen Personen, die mir etwas bedeuteten.
„Ihr müsst...hier weg...Jin", hauchte Thomas. Seine Augen hatte er halb geschlossen, während sein Atem rasselte. „Bitte..."
„Nein, Thomas", murmelte ich.
Er richtete seine dunklen Augen auf mich und ich sah die stumme Bitte darin, zu gehen. Dann wurden seine Augen auf einmal seltsam leer und sein Kopf sank zu Seite.
„Nein, nein, nein. Thomas..." Ich rüttelte an seiner Schulter, aber er rührte sich nicht mehr. „Bitte Thomas..."
„Jin", Jason riss mich am Arm hoch. Ich wehrte mich gegen ihn, aber er war stärker. „Jin! Er ist tot."
Ich erstarrte und mein Blick blieb auf meinem Trainier liegen. Mein Herz begriff nun endlich, was mein Verstand bereits seit Sekunden wusste.
Ich riss meinen Arm von Jason los und kniete mich wieder neben Thomas. Zitternd hob ich die Hand und schloss seine Augen, bevor meine Hand auf seine Schulter verweilte. „Es tut mir leid", murmelte ich.
„Komm jetzt", Jason Stimme klang sanft, aber auch drängend. Als ich mich erhob und seinem Blick begegnete, sah ich darin die gleiche Trauer schimmern, die ich selber spürte. Ich fuhr zusammen, als ich hörte wie die Glastür am Ende des Ganges aufgestoßen wurde und wirbelte herum.
Mein Blick blieb an Thomas hängen, als Jason mich bereits weiterschob. „Wir können ihn nicht hierlassen."
„Wir haben keine andere Wahl", knurrte Jason. „Jetzt komm endlich. Thomas würde nicht wollen, dass Racket und bekommt."
Das riss mich aus meiner Trance. Mit einem allerletzten Blick zu Thomas, den Mann, der mich seit ich denken konnte Trainierte und immer für mich da war. Dann wandte ich mich mit schweren Herzen ab und folgte Jason. 

SKYLINE - AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt