Kapitel 13 - Indizien

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Kapitel 13 - Indizien

01:34 Uhr; Luxanus Sektor

Das Hauptquartier von Luxanus, das bis vor ein paar Wochen noch voll beleuchtet war und man, egal welche Uhrzeit, immer Wachmänner vor dem Eingang stehen sah, war nun stockduster und verlassen.
Mich beschlich ein mulmiges Gefühl. Seit dem Überfall war ich nicht mehr hier gewesen. Dass das HQ geschlossen vor mir lag, versetzte mir ein Stich ins Herz. Ich war hier aufgewachsen, irgendwie war es für mich ein Zuhause geworden.
Ich sah kurz zu Laurin, der neben mir auf der Rückbank des dunklen Pickups saß. Es schien sich ähnlich wie mir zu fühlen. „Wollen wir das wirklich machen?", fragte er ohne den Blick von dem HQ abzuwenden.
„Ja, das machen wir", entschlossen öffnete Jason die Tür und stieg aus. Andrew, der auf dem Beifahrersitz saß, tat es ihm gleich.
„Na komm", murmelte ich zu Laurin und verließ ebenfalls das Auto. Draußen empfing mich die kühle Nachtluft Lisamis. Die Stille war schon beinah unheimlich. Früher war hier auch mitten in der Nacht immer irgendetwas los gewesen, auch wenn es nur Luxanus Polizisten waren, die im Sektor patrouillierten.
„Das sieht so ungewohnt aus", murmelte Jason neben mir und ließ seinen Blick über den Platz vor dem HQ schweifen.
„Wer leitet momentan eigentlich den Lux Sektor?", fragte ich.
„." Andrew ging auf den Seiteneingang des HQs zu und deutete uns an, ihm zu folgen. Wir hatten uns bereits einen Weg ausgeguckt, auf dem uns keine Überwachungskamera sehen konnte. Da sowieso niemand hier unterwegs war, entspannte ich mich langsam wieder. Der Blonde führte uns zum Südturm des Luxanus HQ, während ich merkte, wie Laurins Blick hin und her huschte.
Was ist los? Fragte ich ihn in Gedanken. Ich war mir nicht sicher, ob er den anderen beiden gegenüber seine Bedenken laut aussprechen würde.
Ich weiß es nicht genau. Ich fühle mich einfach nicht wohl.
Ich sah aus dem Augenwinkel zu ihm. Ich auch nicht, Laurin.
Gerade hatte wir die Tür des Seiteneingangs erreicht. Ich kramte in meiner Jackentasche und zog den Schlüssel hervor. Eigentlich liefen alle Schlösser der Türen des HQ über die Scanner, aber Matthew hatte uns vor Jahren schon Notfallschlüssel gegeben. In Gedanken dankte ich ihm dafür, während ich die Tür aufschloss und das Luxanus Hauptquartier betrat. Es war stockfinster. So hatte ich das HQ noch nie gesehen, obwohl ich seit elf Jahren hier lebte. Hinter mir schaltete Jason eine Taschenlampe ein und drückte sie mir in die Hand, eh er seine eigenen anmachte. Es würde uns zu viel Energie kosten, dauerhaft unsere Nachtsicht zu nutzen.
„Also", begann Jason. „Ich gehen mit Jin zu Matts Büro."
Andrew nickte. „Und Laurin und ich gehen uns Ausrüstung besorgen."
Ich sah den beiden kurz nach, während sie in die entgegen gesetzte Richtung verschwanden, eh ich Jason zum Treppenhaus folgte. Bevor man das gesamte Lux System heruntergefahren hatte, hatte man anscheinend das Sicherheitssystem deaktiviert. Denn die Tür innerhalb des Gebäudes ließen sich alle aufdrücken. Auch wenn ich für solche Missionen ausgebildet war, fand ich es fast gruselig, durch die Gänge zu gehen. Es war ungewohnt. Auch die Tür von Matthews Büro ließ sich ohne Probleme öffnen.
„Es gibt da etwas, was wir nicht bedacht haben", meinte Jason plötzlich, als er sich gerade auf Matthews Stuhl niederließ. „Wie wollen wir den Computer hochfahren, wenn wir kein Strom haben?"
Ich hätte mir am liebsten mit der Hand vor die Stirn geschlagen. Wir waren diesen Plan sicherlich viermal durchgegangen und waren darauf trainiert, alle kleinesten Details mit einzubeziehen. Und da vergessen wir ernsthalft, dass wir keinen Strom haben. Genervt stöhnte ich auf. „Wir sind ja mal sowas von schlau."
Andy? Ich vernahm Jason Stimme in Gedanken. Er achtete nicht immer darauf, dass er nur den alleine erreichte, mit dem er eigentlich sprechen wollte. Wir haben keinen Strom.
Gib uns eine Minute. Laurin ist es auch gerade aufgefallen.
Erklang prompt die Antwort. Ich sah Jason an, der nur mit den Schultern zuckte. Also sah ich mich im Raum um und suchte nach irgendeinem Hinweis. Schließlich waren wir hier, um nach einem Anhaltspunkt von Matts Aufenthaltsort zu suchen. Aber mir viel nichts auf, alles war wir vorher. Erschrocken wirbelte ich herum, als der Computer auf einmal hochfuhr und der Bildschirm ansprang.
Wir haben den Notstrom für euren Trakt angeschaltet, erklärte Andrew.
Bemerkt denn niemand was davon?
Nein, Laurin hat das System geheckt und ein bisschen manipuliert.
Ich stellte mich neben Jason, der sich bereits in Matts Computer hackte. „Woher du sein Passwort kennst, frag ich jetzt mal nicht", murmelte ich und er grinste auch nur. Die gesamten nächsten zwanzig Minuten durchforsteten wir sämtliche Daten, fanden aber rein gar nichts.
„Ich komme gleich wieder", teilte ich Jason mit und klopfte ihm kurz auf die Schulter, bevor ich den Raum verließ. Mir war gerade eine Idee gekommen. Andrew hatte gesagt, dass sie den Notstrom für den ganzen Trakt wieder angestellt hatten. Und Thomas Büro lag nur ein paar Türen weiter.
Ich ließ mich an seinem Schreibtisch nieder und fuhr auch diesen PC hoch. Tresher war so dumm gewesen und hatte die Beweise gegen Thomas, die er uns in seinem HQ gezeigt hatte, offen liegen lassen, als wir in dem Konferenzraum gewesen waren. Darauf stand auch sein Passwort, das ich mir vorsichtshalber mal gemerkt hatte. Gerade war dies von riesen Vorteil. Ich wollte jetzt die Wahrheit wissen.
Mit ein paar gekonnten Klicks hatte ich schnell die entsprechende Datei gefunden. Die verschlüsselte Mail, die Thomas angeblich an die Angreifer geschickt hatte, gab es hier tatsächlich. Also hatte Tresher sie nicht erfunden? Langsam war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob Racket wirklich hiermit irgendetwas zu tun hatte oder ob es nicht eine größere Organisation war, die wir noch nicht kannten. Vielleicht war es tatsächlich Xernox, wie Tresher vermutete. Ich sollte mich auf jeden Fall mal nach dieser Organisation umhören. Wenn es stimmte was Tresher meinte, dass Xernox schon seit mehreren Jahren versuchte, an das T-Virus zu gelangen, war es gut möglich, dass sie etwas damit zu tunen hatten. Dann könnte sie auch Matthew gefangen halten.
Als ich allerdings die Dateiinformation aufrief, sah ich, dass die Mail gar nicht im Lux System verzeichnet war. Und dass müsste sie eigentlich, wenn sie von hier aus verschickt worden war.
Jason betrat mit einem frustrierten Knurren Thomas Büro. „Auf Matts PC ist rein gar nichts. Nicht einmal die kleinste Spur", murrte er. „Was machst du da?"
„Komm mal her", ich machte ihm Platz, damit er sich an den Schreibtisch setzten konnte. „Die Mail, die Thomas geschrieben haben soll, ist nicht im System verzeichnet."
Er zog verwirrt die Augenbraunen hoch und rief mit irgendeiner Tastenkombination im Lux System weitere Informationen auf. „Schau mal, der Time-Code", er deutete auf die entsprechende Zeile. „10:20 Uhr an dem Tag des Angriffes. Das war genau während des Angriffes. Da waren die Eindringlinge schon längst im Gebäude."
„Aber auf Treshers Unterlagen stand eine andere Zeit", warf ich ein. Dort war die Mail zwei Tage zuvor verschickt worden.
„Auf den Unterlagen kann man den Code ganz leicht fälschen. Hier im System ist das nicht möglich", erklärte Jason. „Diese Mail wurde genau während des Angriffes in Thomas Computer eingeschleust. Thomas kann sie rein Theoretisch geschrieben haben, aber es hätte den Eindringlingen nichts mehr gebracht, da sie schon im Gebäude waren."
„Also war es nicht Thomas", murmelte ich. „Er hat uns also nicht verraten."
„Nein. Die Mail wurde ihm untergemogelt. Jemand wollte ihm die Schuld an dem Angriff anhängen", bestätigte er meinen Verdacht. Ich zog mein Handy aus der Tasche und fotografierte das schnell ab.
„Lass uns mal schauen, wie weit Andrew und Laurin sind", Jason schaltete den Computer aus. „Wir sollten nicht allzu lange hierbleiben."
Wir achteten darauf, dass wir den Raum so zurückließen, wie wir ihn vorgefunden hatten und gingen dann hinunter zu den Lagerräumen. Als wir den Raum betraten, entdeckte ich zuerst nur Laurin, der gerade einen Laptop in seinen Rucksack verstaute. „Hier, schaut ob ihr das verstauen könnt", er deutete auf die Geräte, die neben ihn auf einer Kiste lagen. Unteranderen waren es noch drei Laptops, mehrere kleine Kommunikatoren, kleine Überwachungskameras und sonstiges.
Ich nahm meinen leeren Rucksack vom Rücken und begann die Geräte hineinzupacken, als Andrew neben uns auftauchte. Er legte einen ganzen Haufen Waffen ab und reichte mir eine Schusswaffe samt Holster, das ich mit einem dankenden Blick umschnallte. In den letzten Tagen hatte ich mich ohne Waffe so schutzlos gefühlt. Als wir die Ausrüstung größtenteils verstaut hatten, nahmen wir den Rest ich die Hand. „Hast du den Notstrom wieder abgeschaltete?", fragte ich Laurin, der daraufhin nickte.
Andrew schulterte seine Tasche und sah mich und Jason fragend an. „Habt ihr was über Matt gefunden?" Als er sah, dass wir alle fertig waren, deutete er uns an, dass wir zum Ausgang gehen.
„Über Matt nicht. Aber wir wissen jetzt, dass Thomas nicht hinter dem Angriff steckt", erklärte ich. „Der Time-Code sagt, dass jemand die Mail während des Angriffs auf seinen PC geladen hat, damit es so aussieht, als würde er es gewesen sein."
„Wenigsten etwas Positives", murmelte Andrew. „Aber wie schaffen wir es, dass sie Thomas wieder frei lassen?"
„Gar nicht", antwortete Jason trocken. „Tresher wird uns nicht glauben. Außerdem war auf seinen Unterlagen ein anderer Time-Code."
Xernox hätte die Möglichkeiten, die Beweise zu fälschen, schoss es mir durch den Kopf. Immer mehr Indizien sprachen dafür, dass Xernox ein möglicher Verdächtigter war.
Wir erreichten den Ausgang und verließen das Gebäude. Ich schloss schnelle wieder die Tür ab und folgte den dreien zu unserem Auto, währen Jason fortfuhr. „Es kann gut sein, dass irgendjemand hier hinter steckt, der Tresher genauso täuscht wie uns."
„Xernox", murmelte ich, stieg in den Pickup ein und verstaute den Rucksack im Fußraum, während ich den Laptop, den ich so getragen hatte, neben mich legte.
„Glaubst du das wirklich?", fragte Laurin und ich nickte leicht. „Es wäre gut möglich."
„Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich glauben soll", murmelte Andrew, während Jason den Motor startete, als wir alle im Auto saßen. „Aber Xernox wäre ein guter Ansatz."
Auf der Fahrt zurück in den Verfallenen Sektor verfielen wir in Schweigen, bis wir das Firmengelänge erreichten. Jeder nahm sich wieder seine Sachen und als ich alles hatte sah ich mich um. Das Auto parkten wir immer in einer kaum sichtbaren Seitengasse direkt neben der Mauer, die an die Halle grenzte, die momentan unser Lager bildete. Als Jason endlich das Auto abschloss und den Schlüssel in seiner Jacke verschwinden ließ, kletterte ich vorneweg durch das Loch im Zaun und lief zur Tür der Lagerhalle. Nathan hatte mir den Schlüssel gegeben, so dass wir die Halle auch immer wieder abschließen konnten. Als ich die Tür offen hatte, hielt ich sie mit dem Fuß auf, bis die Jungs drinnen waren, eh ich ihnen selbst folgte. Von innen konnte man die Tür ganz leicht mit einem Riegel zusperren. Laurin schaltete das Licht an und stellte gerade einen der Laptops auf dem Tisch ab, als ich hinauf auf die Empore kam.
„Geh schlafen, Laurin", sagte Jason, als Laurin gerade den Laptop untersuchte. „Es ist halb drei mitten in der Nacht."
„Ist ja gut."
Ich stellte den Rucksack und den Laptop ab und ließ mich auf eine der Matratzen fallen. Aus mehreren Decken hatte wir einen vierten Schlafplatz gebaut, auf dem Andrew sich gerade niederließ.
„Alles in Ordnung?", fragte Jason mich, der neben mir auf der anderen Matratze lag.
„Ja", antwortete ich und zog eine Decke über mich. Auf seinen eindringlichen Blick hin, seufzte ich bloß und ließ den Kopf ins Kissen fallen. „Wirklich Jas. Es war nur etwas komisch, wieder im Lux HQ zu sein, wenn dies so verlassen ist."
„Das war es wirklich", murmelte er. Als Laurin dann auch endlich auf seinem improvisierten Bett lag, schaltete Andrew das Licht aus. Nur noch schleierhaft konnte ich die Gestalten der drei Jungs erkennen. In den letzten Tagen war mir erst so richtig bewusstgeworden, was für ein Glück ich hatte, ich den dreien immer blind vertrauen konnte. Auch wenn sie auf andere schwierig wirken mochten, mir waren sie an Herz gewachsen und zu Brüdern geworden. 

SKYLINE - AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt