Zwölf ◊ Harry

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Ich dachte er würde schon darüber hinwegkommen. Ich dachte er würde damit klar kommen. Ich dachte es würde alles wieder so werden wie früher. So wie es sein soll. Doch ich habe mich geirrt. Niall hatte ganz Recht als er mir gesagt hatte, dass nichts mehr so sein wird wie früher, das weiß ich jetzt.

Ich hasse mich. Ich hasse mich für das, was ich ihm angetan habe. Ich hasse mich dafür, dass ich ihn so sehr verletzt habe. Ich hasse mich dafür, dass ich seine Gefühle nicht einfach erwidern kann. Doch selbst wenn, was sollte das bringen. Wo sollte das hinführen? Selbst wenn, könnten wir uns nicht outen, dass wäre das Ende, glaube ich zumindest. Ich will gar nicht wissen, wie Simon darauf reagieren würde und die anderen Jungs. Aber es würde nie dazu kommen, also warum machte ich mir überhaupt Gedanken darüber? Es bringt nichts sich verrückt zu machen. Alles was jetzt im Moment zählt, war dass es Niall wieder besser ging. Ich wollte nicht, dass er so leidet. Ich wollte nicht, dass er sich verändert. Ich wollte den alten chaotischen, verfressenen Irren zurück, mit dem man einfach jeden Scheiß machen konnte. Den Niall wollte ich, nicht den verletzten, nachdenklichen. Doch ich konnte nichts daran ändern. Ich war wirklich der letzte, der ihm helfen konnte. Aber ich wusste wer es wahrscheinlich konnte. Liam. Ich musste mit ihm reden, ich musste es ihm erzählen. Auch wenn mich Niall, falls er es ihm nicht schon längst erzählt hatte, hassen würde. Aber das tat er höchst wahrscheinlich sowieso schon, also hatte ich nichts zu verlieren. Lüge. Ich würde einen meiner besten Freunde endgültig verlieren. Aber ich werde es trotzdem tuen, denn es ist mir egal, ob er mich dann hasst, alles was ich will ist, dass er wieder glücklich ist.

Es war spät geworden und das Konzert fing gleich an. Ich überlegte gerade, ob ich jetzt schon mit Liam reden sollte oder erst nach unserem Konzert, um ihn nicht völlig aus der Bahn zu werfen, denn zu hören, dass der beste Freund schwul war, konnte einen ziemlichen Schock verursachen. Ich hatte das am eigenen Leib erfahren, als Niall es mir erzählt hatte. Ich sah im Augenwinkel, dass sich jemand neben mich setzte. Ich drehte leicht den Kopf und sah Liam.

Er schaute mich nicht an. Er schaute einfach geradeaus und in seinem Gesichtsausdruck, sah ich, dass er etwas sagen wollte und gerade überlegte, wie er es sagen sollte. Ich hatte so ein dumpfes Gefühl, dass es etwas mit Niall zu tun hatte und mein Gefühl täuschte sich nicht. „Ich weiß Bescheid.“ sagte er und schaute mich an. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder, da ich nicht wusste was und stattdessen starrte ich auf meine Hände. „Ich hab keine Ahnung, was dich dazu geritten hat, ihn zu küssen oder zuzulassen das er dich küsst und ihn dann einen Korb rein zu drücken, aber ich hoffe du weißt, wie sehr du ihn verletzt hast.“ Er klang sauer und allein, das war untypisch für Liam. Er konnte keinem von uns wirklich sauer sein, eigentlich konnte niemand von uns das. Aber ich verstand sehr gut, dass er wütend auf mich war. Ich könnte sogar verstehen, wenn er mich hassen würde, ich hasse mich ja selbst. Ich nickte langsam. „Ich..“ Ich schaute Liam an. „Ich wollte schon mit dir darüber sprechen.“ Er runzelte etwas irritiert die Stirn. „Ich mach mir Sorgen um ihn. Er ist anders geworden.“ „Warum bloß?“ Auch noch Ironie. Er musste mich wirklich hassen. „Ich weiß, was ich getan habe, war scheiße. Es war wahrscheinlich, nein es war ganz sicher, dass bescheuertste, was ich in meinem Leben jemals getan habe, aber ich kann es nicht rückgängig machen, so gern ich auch würde. Aber ich will nicht, dass es ihm so schlecht geht. Doch ich weiß auch, dass ich ihm nicht helfen kann.“ Ich machte eine kurze Pause. „Aber du kannst es.“ Liam schaute wieder gerade aus. „Da irrst du dich. Ich kann ihm genauso wenig helfen wie du. Ich kann vielleicht für ihn da sein, wenn es ihm schlecht geht, aber ich kann seine Gefühle für dich nicht wegzaubern oder zumindest den Schmerz, denn sie verursachen.“ Er stand auf und ging, ohne abzuwarten, ob ich etwas zu sagen hatte.

Schmerz.

Mir war klar, dass es Niall schlecht ging, dass ich ihn verletzt hatte und das Liebeskummer wehtat, wusste ich auch, aber erst jetzt schien mir richtig bewusst zu werden, was ich getan hatte. Ich habe dafür gesorgt, dass er den schlimmsten Schmerz durchmachen musste, denn es auf dieser Welt gab und es gab nicht, dass ich machen könnte, um das wieder gut zu machen. Rein gar nichts.

Als das Konzert zu Ende war, fuhren wir alle zurück ins Hotel. Wir verbrachten die Nacht noch dort und würden dann am nächsten Morgen gleich nach Washington weiterfahren. Ich machte wieder kein Auge zu in dieser Nacht, aber diesmal ging ich nicht auf den Balkon, aus Angst auf Niall zu treffen. Ich dachte, die ganze Zeit, an Liams Worte. Ich wusste, dass er Recht hatte. Niemand konnte Niall wirklich helfen, außer er selbst. Er selbst musste, darüber hinwegkommen. Ich wusste Liam würde für ihn da sein und ihn unterstützen und trösten, so gut er konnte, doch dass war auch alles was er für ihn tun konnte. Ich spürte etwas Nasses über meine Wange rollen und schmeckte Salz als es meine Lippe erreichte. Eine Träne und ihr folgte eine nächste und eine nächste und eine nächste und es dauerte nicht lange bis ich zusammengerollt auf meinem Bett lag und wie ein kleines Kind heulte, dessen Haustier gerade gestorben war. Ich konnte nichts dagegen tun. Die Tränen kamen einfach.

Ich wünschte Niall wäre jetzt hier und würde mir sagen, dass alles gut ist. Das ich nicht weinen brauche. Niall? Ich wünsche mir dass Niall hier ist, um mich zu trösten? Wieso? Trösten war nicht Nialls Aufgabe. Es war Louis Aufgabe. Louis tröste mich immer, wenn es mir schlecht ging und ich hatte noch nie lieber jemand anderen dann bei mir gehabt. Doch jetzt, jetzt wünschte ich mir Niall wäre hier. Ich wollte, dass er mich in den Arm nimmt. Ich wollte seine Nähe spüren. Ich wollte seine Nähe spüren? Was zur Hölle rede ich da? Ich war doch nicht doch ihn verknallt? Nein ich war ganz sicher nicht in meinen besten Freund verknallt. Ich bin nicht schwul.

𝕤𝕥𝕣𝕠𝕟𝕘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt