Kapitel 10

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Vier Stunden waren seit dem Aufbruch der Männer zum Schwarzem Tor vergangen. Ich half hier und dort beim Aufräumen, doch die meiste Zeit war ich bei Éowyn und pflegte sie wieder gesund. Sie war beim Kampf schwer verletzt worden und wäre beinahe gestorben. Ich saß neben ihr am Bett, auf der anderen Seite saß Éomer und hielt ihre Hand.

Ich dachte immer noch an den Kuss, konnte es noch gar nicht glauben, da wachte Éowyn langsam auf. Sie schaute sich unsicher im Raum um und ihr Blick blieb an Éomer hängen. In ihren Augen lag tiefe Trauer, Trauer um den Verlust Théodens. Ich stand leise auf und ließ die beiden allein.

Langsam ging ich nach draußen. Der Wind wehte mir ins Gesicht. Ich trat an die Brüstung und schaute auf die Ebene vor Minas Tirith. Weit hinten im Osten erkannte ich Mordor und Saurons Auge. Ich erblickte auch den Schicksalsberg und hoffte inständig, dass Frodo und Sam es schafften.

Meine Gedanken wanderten zu Legolas. Ich schloss die Augen und spürte den Wind über meine Wangen streichen. Plötzlich fühlte ich etwas anderes, etwas unbekanntes und hörte zudem ein Grollen. Entsetzt riss ich meine Augen auf und schaute in Richtung Mordor. Der Schicksalsberg spuckte Lava und Asche. Frodo musste es geschafft haben, dachte ich erfreut. Doch die Freude hielt nicht lange an. Sie würden es niemals lebend von dem Berg schaffen. Mit einem lauten Krachen stürzten schließlich auch Mordors Türme ein und mit ihnen alle Orks. Es war vorbei. Der Krieg hatte ein Ende gefunden und das Dank dem Mut zweier kleiner Hobbits.

Ein anderer Gedanken kam mir in den Sinn. Was wenn nicht nur die Orks in den Abgrund gestürzt sind, sondern auch... Weiter konnte ich nicht denken. Weiter wollte ich nicht denken. Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne Legolas zu leben. Allein dieser Gedanke versetzte mir einen Stich ins Herz. Nie wieder in seine Augen zu blicken, nie wieder sein süßes Lächeln sehen und ihm nie sagen können, dass ich ihn liebe. Eine kleine Träne kullerte über meine Wange. Ich wischte sie weg und schloss traurig meine Augen. Meine Gedanken schienen plötzlich irgendwo ganz anders zu sein. Ich spürte den Herzschlag eines Pferdes, spürte seine Bewegungen, als würde ich auf ihm sitzen, hörte das Hämmern mehrere Hufe auf dem Boden. Erschrocken öffnete ich meine Augen, nur um zu sehen, dass ich immer noch oben beim Palast stand. Aber was war das dann? Wo war ich da gerade gewesen und wieso hatte ich auf einmal das Gefühl, dass es Legolas gut ging? Da fiel es mir plötzlich wieder ein. Legolas hatte es kurz erwähnt als wir in Edoras waren. Dass ich zu der Person die ich liebe und wenn diese Liebe erwiedert wird eine besondere geistige Verbindung entwickle. Das musste es gewesen sein. Ich habe gefühlt und gehört was Legolas gefühlt und gehört hatte. Es stimmte also. Ein weiteres Mal versuchte ich diese Verbindung zu nutzen und sah auf einmal Minas Tirith vor mir. Ich saß auf einem Pferd und galoppierte auf die Stadt zu. Glücklich löste ich die Verbindung und lief nach unten. Ob Legolas gemerkt hatte, dass ich in seinen Gedanken war? Das konnte ich ihn auch später noch fragen.

Die Menschen schauten mich verdutzt an, als ich an ihnen vorbeirannte. Einige schienen zu verstehen warum und folgten mir.

"Sie kommen zurück", rief jemand von den Wachtürmen herab und plötzlich hatten es alle ziemlich eilig zum Stadttor zu kommen. Viele waren es nicht, aber doch schon einige. Die ersten Soldaten hatte bereits die Stadt erreicht und wurden freudig von ihren Familien begrüßt.

Ich durchsuchte die Reitermenge nach Legolas, konnte ihn aber nirgens entdecken. Plötzlich trat Éowyn neben mir und zeigte stumm auf eine kleine Gruppe in der Mitte des Platzes. Da sah ich Legolas auch schon. Ich lächelte Éowyn an: "Danke", sagte ich und versuchte mir einen Weg durch die Soldaten zu machen. Als die Soldaten mich sahen, machten sie mir den Weg frei.

Gimli sah mich als erstes, dann Gandalf und Aragorn. Als letztes drehte sich Legolas um und lächelte mich an. Ich blieb direkt vor ihm stehen.

"Wegen vorhin, das tut mir leid. Ich hätte es nicht machen sollen. Tut mir leid, wenn ich dich überrascht habe, aber..."

"Du redest zu viel", sagte ich und zog ihn an mich. Diesmal schaute er total überrascht. Bevor er überhaupt etwas sagen konnte, legte ich sanft meine Lippen auf seine. Zuerst war er doch etwas überrascht, erwiderte dann aber den Kuss. Seine Lippen schmeckten nach frischen Blättern und süßen Erdbeeren. Von mir aus hätte dieser Moment ewig dauern können, doch Gimli musste sich ja unbedingt irgendwann räuspern. Legolas löste sich von mir und funkelte Gimli wütend an. Der zuckte nur entschuldigend mit den Schultern und meinte irgendwas von: "Wollte nur verhindern, dass ihr euch auffresst." Legolas und ich schauten uns verwundert an.

Plötzlich hörte ich über mir ein Flügelschlagen und schaute nach oben. Gandalfs Adler! Er hatte zwei kleine Personen in seinen Krallen. FRODO!SAM! NEIN! Sie dürfen nicht sterben. So schnell ich konnte lief ich nach oben zum Adler. Hinter mir hörte ich Gimli schnaufen. Legolas lief leichtfüßig neben mir her. Als wir den Palast erreichten war der Adler bereits wieder abgeflogen und Gandalf hatte die beiden Hobbits nach drinnen gebracht.

Sam wachte bereits nach zehn Minuten wieder auf und fragte sofort nach Frodo. Alle schauten ihn besorgt an. Ich war zu dem Zeitpunkt bei Frodo, zusammen mit Gandalf und versuchte Frodo zu retten.

"Wir können nichts weiter mehr für ihn tun, nur noch hoffen", meinte Gandalf nach einigen Minuten. Ich nickte stumm und verließ niedergeschlagen den Raum. Gandalf blieb bei ihm. Auch wenn ich Frodo nicht kannte, machte ich mir große Sorgen um den mutigen kleinen Hobbit. Er hatte sein Leben riskiert, nur um uns zu retten. Ich hatte ihn in mein Herz geschlossen. Das hatte ich alle der Gemeinschaft. Sie waren für mich eine zweite kleine Familie geworden.

Vor der Tür traf ich auf die anderen. Sie schauten mich mit fragendem Blicken an. Ich zuckte mit den Schultern: "Wir haben alles versucht. Jetzt können wir nur noch hoffen." Traurig ging ich zu Legolas rüber. Er schloss mich in die Arme und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Erschöpft legte ich meinen Kopf auf seine Brust. Ich konnte seinen Herzschlag unter seinem dünnen Oberteil hören und musste grinsen.

Minuten vergingen, doch nichts passierte. Diese Ungewissheit nagte an uns. Es war unerträglich.

Da hörte ich plötzlich eine schwache Stimme und hob meinen Kopf. Legolas schaute mich fragend an.

"Er ist wach", sagte ich leise. Alle schauten mich erfreut an und wollten schon in das Zimmer stürmen, doch Aragorn hielt sie zurück.

"Nicht alle auf einmal.", flüsterte er und ließ als erstes Pippin und Merry zu Frodo in den Raum. Man hörte, wie sich die Hobbits freuten. Dann gingen Aragorn und etwas später auch Gimli in den Raum. Ich schaute zu Legolas und er nickte mir zu. Er nahm meine Hand und zusammen betraten wir den Raum. Ich freute mich Frodo endlich bei Bewusstsein zu sehen. Pippin und Merry saßen auf seinem Bett, die anderen standen an seinem Bett. Ich stellte mich neben Legolas, der sofort einen Arm um mich legte und mich an sich zog. Frodo lächelte uns an. Dann schaute er jedoch zur Tür, in der gerade Sam auftauchte. Kleine Tränen rannen über ihre Gesichter und Sam rannte zum Bett, um seinen Freund zu umarmen.

"Schön dich wieder bei uns zu haben, Frodo", unterbrach Gandalf die Stille nach einigen Minuten. Frodo nickte stumm, immer noch zu Tränen gerührt, unfähig etwas zu sagen. Ich bemerkte seinen Blick, der jetzt auf mir lag und nicht nur ich.

"Das ist Kiana. Sie schloss sich der Gemeinschaft in Edoras an", klärte ihn Gandalf auf. Ich nickte Frodo zustimmend zu.

Wir ließen Frodo und Sam alleine und verließen den Raum leise. Jeder machte sich auf den Weg in sein Zimmer. Meins lag in derselben Richtung wie Legolas seins, so konnten wir den größten Teil des Weges zusammen laufen. Vor seiner Tür küsste ich ihn sanft um mich zu verabschieden, doch er hielt mich zurück.

"Ich muss mit dir reden", flüsterte er mir ins Ohr.

Laura

KianaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt