Kapitel 13

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Katha
„Katharina, sagen Sie uns doch bitte, weshalb Sie hier sind", spricht mich die Therapeutin an und alle Teilnehmer dieser Kennlernrunde sehen mich an.
„Sind das die Anonymen Alkoholiker?", frage ich vorsichtig und die Therapeutin nickt wohlwollend.„Dann wissen Sie doch, weshalb ich hier bin", antworte ich nun und verschränke die Arme vor meinem Körper.
Die anderen lachen, die Therapeutin verzieht das Gesicht.
„Bitte nehmen Sie Ihren Aufenthalt hier ernst", ermahnt sie mich milde. „Sonst sind Sie schneller wieder hier, als Ihnen lieb ist."Okay, das war hart für ihre Verhältnisse.
Ich verziehe das Gesicht und die anderen sind dran mit vorstellen. Ich höre gar nicht hin, weil ich ihre Geschichten schon kenne, bevor sie den Mund aufmachen, um sie zu erzählen.
Alles beginnt mit einem scheinbar unlösbaren Problem,dann kamen der Alkohol und dann die Entzugsklinik. Alle hoffen darauf, trocken zu werden,bla, bla, bla. Und alle legen ihr Schicksal in die Hände der völlig übermüdeten Therapeuten.
Warum denkt niemand von den anderen Teilnehmern wie ich?
Wieso finden sie diese Klinik toll?
Ich kann es nicht nachvollziehen.Die drei Tage, die ich schon hier eingesperrt bin, haben mich davon überzeugt, dass solche Einrichtungen genauso schlecht sind wie ihr Ruf. Das Essen ist eklig, die anderen Insassen meist psychisch labil und das Personal oft schlecht gelaunt. Meine einzige Freude sind die nachmittäglichen Unterhaltungen mit Lou, die wie ich einigermaßen normal zu sein scheint.Im Gegensatz zu mir hat sie den Großteil der Therapie schon überstanden und darf bald raus.Und Lou hat keine Ahnung, was sie dann machen soll. Geld verdienen muss sie keines, das erledigen ihre Eltern. Sie hat keine handwerklichen Talente und außer Schönheit hat sie keine anderen Begabungen. Aber ich mag sie. Irgendwie erinnert sie mich an Henry.
Da Lou weiß,in welche Beziehung ich zu Henry stehe, fragt sie mich besonders viel über Tori aus. Ich erzähle ihr das meiste, aber nicht alles, schließlich sind Geheimnisse Geheimnisse.„Katharina?", holt mich die Therapeutin in die Gruppensitzung zurück.
„Ja?"
„Haben Sie öfters solche tranceartigen Aussetzer?", erkundigt sie sich und vermerkt es auf ihrem Block.
„Nein, tut mir leid, ich habe geträumt", antworte ich entschuldigend.
„Das ist ein gutes Beispiel, wie sich Entzugserscheinungen zeigen können, meine Damen und Herren", sagt die Therapeutin zu den anderen, die mich nun mustern, als wäre ich ein Forschungsobjekt.
„Dich hat's ja erwischt", lacht ein bärtiger Penner mir gegenüber. „Und das in deinem Alter."
Zu gern würde ich erwidern, dass es keine Entzugserscheinungen sind, sondern lediglich Langeweile. Aber ich spare mir das. Es hat keinen Sinn, sollen die ruhig denken, was sie wollen.„Hiermit ist unsere Sitzung beendet. Wir sehen uns morgen Nachmittag", verabschiedet sich die Therapeutin zufrieden von uns und verschwindet als Erste.
Ich folge ihr gleich danach,damit ich mich nicht mit den Rest der Gruppe befassen muss.Wie verabredet erwartet mich Lou im Gruppenraum.
„Wie war's?", will sie amüsiert wissen.
„Nervig", antworte ich knapp. „Und das noch sechs Wochen!"Lou nickt.
„Tja, es wird nicht leichter, aber du gewöhnst dich dran. Irgendwann weißt du, was die Therapeuten hören wollen und schon lebst du einfacher."Ich nicke und gieße mir Tee ein. Kaffee und Tee stehen auf jeden Tisch herum und sollen als Alternative zum Alkohol angesehen werden.
„Heute ist Kinoabend, wollen wir hin?", fragt mich Lou. „Es läuft Titanic."Ich verdrehe die Augen. Offenbar laufen hier nur solche Schnulzen.
„Von mir aus."Es ist eine Abwechslung zu meinen anderen Abenden und lenkt mich von meinem Leid ab.
„Schön", sagt Lou zufrieden. „Aber am besten erträgt man den Film high."
„Okay", sage ich und nippe an meinem Kräutertee.
„Ich will damit sagen, dass ich dich heute auf jeden Fall high machen werde. Joe hat neuen Stoff besorgt. Das wird spaßig!", sagt sie kichernd.
„Hör zu, ich habe dafür nichts übrig", wehre ich ab. „Mit Drogen will ich nichts zu tun haben,verstanden? Du kannst ja von mir aus high sein."Lou zuckt mit den Schultern.
„In Ordnung, wie du willst. Aber du verpasst was."Kurz darauf verschwindet sie in ihrem Zimmer und ich bleibe allein zurück. Ein Pfleger bringt mein Abendessen und ich schlinge es lustlos herunter. Vielleicht nehme ich bei dem Fraß doch noch ein paar Pfunde ab.
„Ich staune ja, dass Lou dich in Ruhe lässt", meint plötzlich ein junger Mann zu mir. Ich kenne ihn nur flüchtig, aber sein Name ist Kevin.
„Wie meinst du das?", frage ich, wenig an einer Unterhaltung interessiert.
„Jeden anderen hätte sie dazu gezwungen, mit ihr high zu werden", erklärt Kevin. „Sie scheint wirklich Respekt vor dir zu haben."Ich lächele schief. Genau das wird's sein. Wohl eher hat sie Respekt vor Henry und da Tori nun mal meine beste Freundin ist...
„Tja, da hab ich wohl Glück", sage ich zu Kevin.
„Aber nimm dich trotzdem in Acht. Lou hat enormen Einfluss hier, das glaubst du gar nicht",sagt er leise. „Und das nur, weil ihre Familie im Geld schwimmt und diese Klinik praktisch über Wasser hält."
„Aha", sage ich nur und trinke meinen Tee. Das alles weiß ich schon, aber Kevin weiß nicht,dass ich es weiß.
„Ja, angeblich wäre sie wohl mit dem Königshaus verwandt. Ist das nicht ungerecht uns anderen gegenüber? In eurem Land gibt es ja keine Monarchie mehr", meint er. Ich würde ihn gern darauf hinweisen, dass auch England keine Monarchie mehr ist, lasse es aber. Er ist irgendwie süß, wenn er sich aufregt.
„Ist mein Akzent so offensichtlich?", frage ich stattdessen.Kevin nickt.
„Lou hat allen erzählt, woher du kommst. Warum auch immer."
„Keine Angst, ich bin niemand besonderes", sage ich lächelnd. „Ich habe nur das Pech, hierzu sein."
„Wie bist du überhaupt nach England gekommen?", will Kevin interessiert wissen. Natürlich könnte ich ihm die ganze Geschichte erzählen, aber das wäre gefährlich. Also entscheide ich mich für eine Notlüge.
„Ich habe einen Engländer kennengelernt und bin hierher gezogen", lüge ich.
„Das klingt plausibel. Gefällt dir unsere Insel?"Ich nicke, obwohl ich noch nicht viel von ihr gesehen habe. Kevin lächelt zufrieden.
„Na dann, es war nett, mit dir geredet zu haben."Und damit lässt er mich in Ruhe.
Ich hatte ihn gar nicht gefragt, weshalb er hier war. Kevin machte einen normalen Eindruck auf mich.Es wurde langsam Zeit, dass ich mich auf den Weg zum Kinosaal machte. Lou würde schon warten.
Doch als ich dort war, war sie nicht zu sehen. Deshalb ging ich allein hinein. Der Saal war fast bis auf den letzten Platz besetzt und ich suchte mir einen Platz am Rand ganz weit hinten, damit niemand sah, wenn ich einschlief.
Der Vorspann hatte gerade begonnen, als Lou sich neben mich plumpsen ließ. Ihre Augen waren gerötet und sie roch komisch.
„Ich hab noch was mit, falls du dich anders entschieden hast", murmelt sie, doch ich lehne ab.Ich kann nicht behaupten, den Film genießen zu können, denn Lou sang lauthals bei ,,My heart will go on" mit und wurde von den anderen Patienten unterstützt. Das klang so gruselig, dass man es gut in ,,Das Schweigen der Lämmer" hätte einbauen können.
Wie soll ich das noch weitere sechs Wochen ertragen?

Story of my Life - verzweifelte HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt