Kapitel 1

22 2 0
                                    

Charles

Der Anruf veränderte alles.
Eben noch saß ich mit Carla vor dem Fernseher und jetzt stehe ich im Krankenhaus vor dem Bett meines Sohnes.

Ich halte mit zitternder Hand mein Taschentuch fest und kann den Blick nicht von ihm losreißen. Carla steht steif und stolz neben mir wie eine Statue und ich weiß nicht, was sie gerade denkt oder fühlt. Ob sie überhaupt etwas fühlt.
William sitzt neben Henrys Bett und hält seine Hand. Überall sind Schläuche mit Infusionen,Überwachungsgeräten und einem Sauerstoffgerät. Es sieht grausam aus. Tränen laufen übermeine Wangen und ich kann nicht in Worte fassen, was mir alles durch den Kopf geht.
Wir der je wieder die Augen öffnen und mir ins Gesicht sehen können?
Wird er bleibende Schäden davontragen?
Wie schlimm sind sie?
Wieso ist das passiert?

Warum hat es ausgerechnet meinen Sohn getroffen?
Auf meiner anderen Seite steht die Queen. Ihr Gesicht zeigt Trauer, doch Tränen sehe ich keine. Die Fenster sind verriegelt und abgeschirmt. Niemand darf Henry so sehen.Ich trete von einem Bein aufs andere, denn wir warten schon seit einer halben Stunde auf den ärztlichen Befund. Meine Mutter will sich nicht auf den ihr angebotenen Stuhl setzen, sondern vor ihrem Enkel stehen, wie wir alle. Kate wird morgen her kommen, denn sie muss bei den Kindern bleiben.Endlich öffnet sich die Tür und der Arzt tritt ein. Er macht ein besorgtes Gesicht und ich weiß, dass es schlimme Neuigkeiten werden. Meine Mutter spürt das auch, deshalb nimmt sie endlich Platz. Ich stelle mich neben sie.
„Ich habe schlechte Nachrichten", fängt der Arzt an. Er sieht müde aus und könnte selbst ein wenig Schlaf vertragen.
„Henry hat in Folge des Unfalls schwere Kopfverletzungen erlitten.Wir gehen davon aus, dass der Schädel zumindest angebrochen ist. Das können wir operieren und es kann ohne Probleme heilen. Allerdings wissen wir nicht, welche Schäden das Gehirn an sich genommen hat. Dass er im Koma liegt, ist an sich schon ein schlechtes Zeichen. Die Chancen, dass er demnächst aufwacht, sind schwindend gering. Und mit jedem Tag der Bewusstlosigkeit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er gesund wird."
Die Queen gibt ein Schluchzen von sich und ich brauche einen Moment, bis mir klar wird,was der Arzt uns eben mitgeteilt hat.
„Soll das heißen, mein Sohn stirbt langsam vor sich hin?"

„So war das nicht gemeint", versichert der Arzt schnell. „Doch es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass durchaus diese Möglichkeit besteht. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen der Patient erwacht und in sein normales Leben zurückkehrt."
„Hören Sie auf, uns Hoffnung zu machen, wo keine ist", fährt die Queen ihn ungehalten an.„Wie lange geben Sie ihm?"

Der Arzt räuspert sich und überlegt sich seine nächsten Worte gut.

„Verharrt er in diesem Zustand, dann höchsten ein Jahr. Sein Körper baut sich nach und nachselbst ab, die Organe werden versagen und schlussendlich bleibt sein Herz stehen. Doch noch müssen wir nachweisen, ob Henry nicht schon..."

Er stockt und wirft einen zaghaften Blick zur Queen, die ihm bedeutet, weiter zu sprechen.
„Wir müssen vorher einen Hirntod ausschließen können."

„Wie wollen Sie das anstellen?", frage ich entsetzt. Ich will mir nicht vorstellen, dass Henry tot ist.

Er darf nicht tot sein!

„Morgen werden wir dazu eingehende Tests machen und Ihnen das Ergebnis mitteilen."Ich schließe die Augen. Noch einen ganzen Tag warten.
„Nein", sage ich entschieden. „Sie fangen gleich damit an."Der Arzt sieht von mir zur Queen, die nur nickt.

„Wie Sie wünschen", sagt er seufzend und verlässt das Zimmer. Ich weiß, dass es nicht besonders nett von mir war.

Aber es geht hier um meinen Sohn!
Ich muss die Gewissheit haben, dass er noch lebt. Dass er kämpft und irgendwann zu uns zurückkehrt.

Story of my Life - verzweifelte HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt