Kapitel 11

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Tori

Ich kann kaum glauben, welche Wandlung Katha vollzogen hat. Vorhin war sie noch ein bockiges kleines Kind und nun sitzt sie mir strahlend gegenüber.
Sie himmelt Jake an, als wäre er ihr Lebensretter und vielleicht empfindet sie es tatsächlich so.„Jake", sage ich zu ihm, „wann kann ich Henry wieder besuchen?"Nachdenklich zieht er die Stirn in Falten.
„Wie soll ich es sagen..."Bei diesen Worten fängt mein Herz an zu rasen. Lass es nichts schlechtes sein!
„Henry ist derzeit in sehr schlechter Verfassung, Tori", sagt Jake. „Ständig sind Ärzte und Therapeuten um ihn, sodass es kaum eine ruhige Minute gibt."
Ich sacke in mich zusammen. „Wird er bald sterben?"

Jake zuckt traurig mit den Achseln. „Ich weiß es nicht. Wir können ja nicht in ihn hineinsehen oder ihn selbst fragen. Aber soweit ich weiß, rechnet niemand mehr damit, dass er erwacht."Das ist nicht wahr, schreie ich innerlich. Ich glaube fest daran, dass er erwacht und alles gut wird. Christin legt tröstend ihren Arm um mich.
„Ich würde gern sagen, es wird alles gut. Aber ich bin mir da nicht so sicher..."

Danke für deine netten Worte", zische ich.

Aber ich verstehe, was sie meint. Es gibt keine realistischen Chancen mehr für Henry, aufzuwachen. Ich klammere mich an den letzten Strohhalm Hoffnung, der mir bleibt. Denn angeblich stirbt die Hoffnung zuletzt.
„Ich möchte, dass du mir fünf Minuten mit ihm ermöglichst", sage ich entschlossen zu Jake.
„Es könnte das letzte Mal sein, dass ich ihn sehe."Verständnisvoll nickt er.
„Ich werde mit Andrej reden. Wir bekommen das hin."
Mit diesem Versprechen schlafe ich irgendwann ein und es gibt mir die Kraft, den nächsten Arbeitstag durchzustehen.
In aller Frühe geht es los und ich wünsche mir nichts sehnlicher,als dass Andrej oder Jake mich heute mit ins Krankenhaus mitnehmen. Katha kann uns heute nicht begleiten, weil sie mit Jake schon in die Klinik gefahren ist. Ich bete, dass sie es dort aushält. So wie ich Katha kenne, wird sie dort alles aufmischen.
„Du bist so schweigsam", sagt Paolo zu mir, als wir zum Palast gehen.
„Es ist gerade so viel los, dass ich einfach Zeit zum Nachdenken brauche", antworte ich.„Wann ist es endlich vorbei?"

„Das ist eine gute Frage", meint er. „Du weißt, dass wir nicht ewig hier bleiben können."Ich nicke.

Wir leben schon viel zu lange in England und irgendwann will ich wieder zu meiner Familie zurück. Am besten mit Henry im Schlepptau, um sie gegenseitig vorzustellen.
Wir haben unsere Arbeit erreicht und ziehen uns die Kittel und Hauben über. Ich kann es kaum erwarten.Die eintönige Arbeit macht die Sache auch nicht eben leichter.
Im Gegenteil: je mehr ich nachdenke, desto schlimmer stelle ich mir alles vor.Plötzlich steht Lilly neben mir.
„Miss Frost, Sie sollen bitte zu Andrej Sergejewitsch, dem Obersten Wachmann Seiner Majestät, kommen", teilt sie mir förmlich mit und lässt durch nichts erkennen, dass wir uns kennen. Überrascht folge ich ihr.
„War ich nicht überzeugend?", fragte Lilly kichernd, als wir allein waren.
„Sehr sogar", sage ich lachend. Wir gingen zu Andrejs Büro, wo er mich bereits erwartete.
„Tori, komm rein", fordert er mich freundlich auf. Als wir allein waren, bietet mir Andrej einen Stuhl an.
„Jake meinte, du möchtest Henry besuchen?"Ich nicke.
„Von seinem derzeitigen Zustand hat er dir auch berichtet?", will Andrej besorgt wissen.Ich nicke wieder.
„Heute Nachmittag. Du hast wirklich nur fünf Minuten, danach findet eine Untersuchung statt."Ich hätte Andrej abknutschen können, so glücklich bin ich in diesem Moment.
Ist okay, das reicht mir völlig", sage ich überschwänglich. Er lacht.
„Du solltest erstmal wieder zur Arbeit gehen, ich hole dich, wenn es soweit ist", verspricht Andrej und begleitet mich aus seinem Büro.
Die Aufregung und Nervosität fressen mich beinahe auf. Aber irgendwie halt ich den Tag aus.Nur Paolo erzähle ich von meinem Plan, damit er Christin benachrichtigen kann und sie sich keine Sorgen machen.

Story of my Life - verzweifelte HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt