- 18 - [Aurora]

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Ich konnte die letzte Nacht kaum schlafen und sehe dem entsprechend auch aus.

Nick hat mich gestern Abend, bevor er gegangen ist, gebeten, früh noch mal zu Adam zu gehen. Ich solle noch mal mit ihm reden, bevor ich das Serum bekomme.

Er hat ja Recht, trotzdem befürchte ich, dass Adam es mir erfolgreich ausreden wird und Nick es dann doch noch geschafft hat, mich davon ab zu halten.

Es ist schon gemein von ihm, dass er ausgerechnet Adam als seinen letzten Joker einsetzt.

„Guten Morgen, Schwesterherz. Ist alles in Ordnung?" Ich bin kaum durch die Tür, als er schon merkt, dass etwas nicht mit mir stimmt.

Niemand kennt mich eben so gut wie Adam.

„Das sollte ich eher dich fragen, Brüderchen. Aber offensichtlich scheint es dir schon wieder viel besser zu gehen."

Es erleichtert mich so unglaublich ein leeres Tablett mit schmutzigem Geschirr auf seinem Beistelltischen zu sehen.

Seit er hier ist hat er kaum etwas gegessen und wenn dann nur Suppe, mit der ihn eine Zarte gefüttert hat, weil er selber nicht mal mehr genug Kraft hatte, um einen Löffel zu halten.

Ich setze mich zu ihm auf sein Bett und kann nicht aufhören zu lächeln, weil es ihm endlich wieder besser geht.

So aufrecht wie jetzt saß er auch noch nicht, seit er an dieses Bett gefesselt ist.

„Was bedrückt dich? Ich kenn doch mein Rehlein."

Und wie er mich kennt.

„Um mich musst du dir wirklich keine Sorgen mehr machen. Es geht mir wirklich schon viel besser. Ich war heute sogar schon duschen", berichtet er freudig und ich muss lachen, weil er das so enthusiastisch heraus posaunt. „Ok, ich hatte einen kleinen Hocker, weil meine Beine noch Pudding sind. Apropos, meinen Pudding zum Frühstück habe ich auch komplett aufgegessen. Ach, du weißt ja gar nicht wie froh ich bin."

Mir kommen vor Freude die Tränen. Ich kann mich nicht mehr beherrschen und falle meinem Bruder um den Hals. Er schlingt ebenfalls fröhlich seine Arme um mich, als mir eine schreckliche Erkenntnis kommt.

Ich kann mich nicht beherrschen.

Wenn ich mich bei positiven Emotionen schon nicht kontrollieren und zusammenreißen kann, wie soll das dann erst bei negativen werden?

Von dieser Erkenntnis getroffen, fahre ich ruckartig ein Stück zurück und starre Adam ratlos an.

„Was ist? Was hast du?", fragt er besorgt.

„Ich ... ich ...", stottere ich, kann mich dann jedoch wieder zusammenraffen und meinen Bruder anlügen. „Ich bin nur so überwältigt davon, dass es dir wieder bessergeht. Und auch noch so plötzlich. Noch vor zwei Tagen saß ich hier an deinem Bett und fürchtete, dass du dieses Bett nie wieder lebend verlassen würdest und jetzt geht es dir so gut. Es ist wie ein Wunder." Tränen laufen mir über mein Gesicht und ich plappere einfach so lange, bis er mir glaubt, dass das alles ist, was mich bedrückt.

„Es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Nicht dass ich nur träume und gleich aufwache und du liegst immer noch sterbend auf der Krankenstation."

Ich lache unter meinen Tränen, um glaubwürdig rüber zu bringen, was für ein Gefühlschaos, seine rasche Genesung in mir auslöst.

Ich kann ihm nicht sagen, was ich vorhabe. Ich kenne meinen Bruder zu gut. Er würde es mir ausreden. Und das will ich nicht.

„Ach, Rehlein", seufzt Adam und streicht mir meine Haare hinters Ohr. „Es ist kein Traum. Es geht mir wirklich wieder besser und ich verspreche dir, dass alles wieder gut wird."

Das ist eine Lüge und das wissen wir beide.

Der Krieg naht und er wird nur Unheil mit sich bringen.

Doch ich widerspreche ihm nicht. Für einen Moment, ja nur einen einzigen Moment möchte ich ihm einfach glauben, dass alles gut wird. Dass alles so wie früher wird.

Er gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn und zieht mich in eine Umarmung.

Das letzte Mal lagen wir uns so in den Armen, als Jani gestorben ist.

Adam ist Alles, was ich noch habe und ich will ihn auf keinen Fall verlieren.

Ich will nicht, dass er in den Krieg zieht, ebenso wenig wie er das von mir will. Mit dem Serum intus könnte ich wirklich etwas bewirken, doch ich würde auch viel auf's Spiel setzen. Ich wäre danach nie wieder ich selbst. Und käme ich damit wirklich klar? Käme Adam damit klar?

Verdammt, Nick! Jetzt hat er es doch noch geschafft mich zum Zweifeln zu bringen.

Besetzeraugen (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt