Ich starre verloren in meine Nudelsuppe und ziehe mit meinem Löffel gleichmäßige Kreise in der Schüssel. Es ist geradezu hypnotisierend wie das Gemüse und die Nudeln dem Sog folgen, ihm völlig ausgeliefert sind und einfach mitschwimmen müssen.
Aurora strahlt vor Freude, als sie sich mir gegenüber setzt. Doch mir ist nicht nach Lachen zu mute.
„Ich hab's geschafft", verkündet sie ganz aufgeregt. „Ich bin im Schießkommando."
„Schön für dich", gratuliere ich ihr desinteressiert. Ich weiß, nicht sehr nett von mir, aber ich habe eben grade keinen Bock auf nett sein.
„Ach, komm. Jetzt freu dich doch mal ein bisschen mehr für mich. Ich bin Teil des Krieges, muss dafür jedoch nicht das starke Serum nehmen, durch das ich die Kontrolle verlieren würde."
„So wie ich?" Ich kann es langsam echt nicht mehr hören, was für ein Monster ich bin. Als ob ich das nicht schon selber wüsste.
„Du hast dich doch inzwischen ganz gut im Griff. Bekommst du nicht noch dieses Spezialtraining, um zu lernen wie du dich besser kontrollierst?"
„Jap, und seit dem Ausrutscher beim ersten Mal, habe ich es bisher immer geschafft."
„Das ist doch super", lobt sie mich, als wäre ich ein kleines Kind.
Am liebsten würde ich sie jetzt ankeifen, dass sie das nicht machen soll. Doch ich habe schon so wenig Freunde, dass ich es mir nicht leisten kann, noch jemanden zu verlieren. Deshalb bin ich still und rühre weiter in meiner Suppe rum.
Sie ist inzwischen kalt geworden.
„Du guckst ständig zur Tür", sagt Aurora plötzlich.
Ich sehe sie verwundert an. „Wirklich?"
Dieses Verhalten war völlig unbewusst.
„Du wartest auf Riva", schlussfolgert sie.
Sie hat Recht. Aber das will ich nicht zu geben.
Deshalb bekommt sie von mir nur ein Schnauben zu hören. Soll sie es interpretieren, wie sie will.
Ich rühre weiter in meiner Suppe und konzentriere mich darauf nicht zur Tür zu gucken.
Doch das brauche ich auch gar nicht. Denn von Aurora erfahre ich, wer gerade reingekommen ist.
Adam steht in seiner schwarzen Kleidung im Türrahmen und lässt seinen Blick durch den Raum wandern, bis er uns entdeckt hat.
Er winkt uns lachend zu und geht dann zur Essensausgabe.
„Seit wann liegt er nicht mehr auf der Krankenstation?" frage ich Aurora verwundert, weil ich erwarte, dass sie darüber informiert wurde. Aber falsch gedacht.
„Keine Ahnung", antwortet sie stocksteif.
„Hey, ist alles ok mit dir?" Sie sieht aus als würde sie einen Geist sehen.
„Warum ist er schon draußen? Und ... und glaubst du sie werden ihn jetzt noch trainieren? Bis zum Krieg wird er doch nicht mehr fit? Das wäre doch viel zu gefährlich für ihn."
„Aurora ... ich glaube nicht, dass das die Besetzer aufhalten wird."
Mich kotzt es genauso sehr an wie sie. Ich hatte schon die Hoffnung, ohne die beiden auf dem Schlachtfeld zu stehen und mir keine Sorgen um sie machen zu müssen.
Naja, aber vielleicht bekommen wir Adam auch noch ins Schießkommando.
„Wie gut schießt Adam?", frage ich Aurora.
„Sehr gut. Er hat es mir ja überhaupt erst beigebracht. Meinst du er könnte auch ins Schießkommando kommen?"
„Ich hoffe es."
Gutgelaunt stellt er sein Tablett neben Auroras ab, gibt seiner kleinen Schwester zur Begrüßung einen Kuss auf die Stirn und setzt sich dann zu uns.
Aurora und ich sehen ihn sprachlos an.
„Was habt ihr?", fragt Adam, als ihm unsere Blicke bewusstwerden.
„Geht es dir gut, Brüderchen?", fragt Aurora zu tiefst besorgt.
„Ja, alles bestens. So wie es aussieht, bin ich endlich wieder gesund."
„Was genau hattest du eigentlich?", frage ich ihn.
„Keine Ahnung. Das konnten mir die Gelehrten und Zarten auch nicht sagen. Auch nicht, wieso es plötzlich wieder verschwunden ist."
Das Serum. Es lag also doch daran. Ha! So wie es aussieht habe ich Adams Leben gerettet. Das muss er jedoch nicht erfahren. Niemand muss das wissen. Aber wenn ich es ihm nun schon gerettet habe, soll das auch nicht umsonst gewesen sein. Es wäre eine Schande, wenn er diese Krankheit nur überlebt hat, um dann im Krieg zu sterben.
„Weißt du, was sie nun mit dir vorhaben?", frage ich ihn weiter.
Aurora hat Angst vor der Antwort. Das kann man in ihren großen Rehaugen lesen.
„Das weiß ich noch nicht so genau. Morgen früh werden erstmal ein paar Tests gemacht und dann sagen sie mir, was aus mir wird."
„Vielleicht kannst du ja so wie ich auch ins Schießkommando. Das ist nicht so gefährlich wie ... „
„... das, was ich mache", ergänze ich ihren Satz.
Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern und schenkt mir ein schiefes Lächeln.
Doch sie muss sich nicht entschuldigen. Sie hat schließlich Recht.
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Besetzeraugen (Band 3)
Science FictionSie sind zurück in der Stadt und der Krieg rückt näher. Doch während Nick, Adam und Aurora versuchen sich vorzubereiten, hat jeder von ihnen mit seinen ganz eigenen Herausforderungen zu kämpfen. Der letzte Teil der Augen-Reihe.