„Was zum Teufel machst du hier?!", brüllt mich Nick an und hilft mir ein wenig zu barsch hoch. Dafür erntet er von mir einen bösen Blick, was mir nicht sonderlich schwerfällt. Ich war eh nie ein großer Fan von ihm.
Er ist schuld daran, dass Adam und Aurora mich, Linda und Lukas allein gelassen haben im Wald. Deshalb wähne ich ernsthaft in Erwägung meine neuen Waffen gleich mal an ihm aus zu testen.
Ach Scheiß drauf!
Ich hebe meine Arme und feuere mehrmals hinter einander auf ihn. Jede Kugel trifft ihn. In meinen Gedanken stelle ich mir schon vor, wie er blutend zusammenbricht, sich am Boden wie ein mickriger Wurm röchelnd windet und um Gnade fleht.
Doch nichts passiert.
Zu meiner Irritierung prallen die Kugeln einfach von seinem Anzug ab und er beginnt auf einmal spöttisch zu lachen.
„Warum stirbst du nicht?", motze ich ihn an. Nur einen winzigen Riss haben die Kugel in seinem Anzug hinterlassen. Oder ist es nur Dreck?
„Warum bist du so töricht und versuchst mich zu töten? Was habe ich dir je getan?"
Das fragt er noch?!
„Du hast mir Adam genommen!", brülle ich ihn an, hebe dabei vor lauter Wut meinen Arm erneut und schieße auf ihn. Es ist genauso sinnlos wie vorher. Die Kugeln scheinen zwar nun doch endlich durch seinen Anzug durch zu dringen, doch es scheint ihn nicht sonderlich zu beeindrucken. Dieses bescheuerte Serum! Ich verschwende lediglich Munition. Aber es fühlt sich gut an auf ihn zu feuern, weil er doch jedes Mal ein wenig zusammenzuckt. Er spürt den Schmerz, wenn die Kugel in seinen Körper eindringt und das bietet mir immerhin eine kleine Genugtuung.
„Ich habe ihn dir nicht weggenommen", verteidigt er sich, während er eine der Kugeln aus seinem Arm pult und ich schmeiße dabei genervt die Waffe in meiner Hand weg, weil ihr Magazin bereits leer ist. „Du hast ihn verscheucht!", lacht er gehässig.
Ich?! Ich soll ihn verscheucht haben?!
Das lasse ich mir nicht bieten!
Ich greife nach einer Axt, die neben mir am Boden liegt, hole weit aus und schwinge sie dann mit einem Gebrüll wie ein Löwe in Nick's Richtung. Auf dieser Höhe würde sie direkt seinen Kopf von seinem Körper trennen.
Doch er duckt sich im letzten Augenblick und so verfehle ich ihn. Höchsten drei Haare habe ich von ihm getrennt, jedoch nicht seinen Kopf. Also versuche ich es nun anders. Ich hebe die Axt über meinen Kopf, mache einen Schritt auf ihn zu, damit ich ihn nicht wieder verfehle, schließe meine Augen, um kein Blut hineingespritzt zu bekommen und lasse die Axt auf ihn hinabsausen.
Als ich einen Widerstandspüre bebt mein Herz voll Stolz.
Doch dann, als ich die Augen wieder öffne, sehe ich, dass Nick die Axt im Flug mit seiner Hand gestoppt hat. Die Klinge liegt genau in seiner Handfläche und Blut läuft seinen Arm herab. Doch sein Gesicht zeigt keinerlei Schmerz. Mit einem starken Ruck entreißt er mir die Axt und ich muss unweigerlich dabei zu sehen, wie er sie dazu benutzt, um mit einem gezielten Wurf einen Starken am Hals zu treffen und ihn damit tötet. Einfach so. Als würde er dies jeden Tag tun.
„Warum hast du einen von euch getötet?", frage ich völlig unverständlich.
„Weil ich keiner von ihnen bin."
„Du bist aber auch keiner von uns!", zische ich und spucke nach ihm.
„Ich werde weder dir noch irgendeinem anderen Wilden etwas tun", versichert er mir, doch ich glaube ihm kein Wort.
„Wilde. Wie ihr uns nennt. Als hätten wir die Wahl gehabt im Wald zu Leben über Generationen. Ihr habt uns doch aus den Städten verscheucht und in die Wälder verdrängt! Wir wären gestorben, wären wir geblieben!"
„Tami, ich bin kein Besetzer!"
„Nein, bist du nicht", stimme ich ihm zu. „Du bist ihr Schoßhündchen!"
Zwei Hände packen mich links und rechts an meinen Armen und schütteln mich kräftig.
„Nenn mich wie du willst!", schnaubt er wie ein wilder Bulle und seine Augen scheinen leicht orange zu schimmern. „Es ist mir scheißegal, für wen oder was du mich hältst! Denn deine Verachtung gegenüber mir beruht auf Gegenseitigkeit! Aber Adam und Aurora sind mir verdammt wichtig und sie würden es mir nie verzeihen, wenn ich dich hier draußen sterben lasse. Also halt endlich deine Klappe, hör auf mich umzubringen und komm mit mir mit!"
Seine Worte betäuben mich. Sprachlos lasse ich mich von ihm mitzerren, als er mich am Arm packt und aus dem Chaos Richtung Mauer schleppt. Wir weichen Holzspeeren, Äxten und Eisenstangen aus und Nick fängt eine Kugel für mich ab. Sie trifft ihn direkt in der Brust und er zuckt abermals zusammen, bevor er weiterläuft, als wäre nichts gewesen. Wir nähern uns dem großen Tor. Wie gebannt starre ich auf die Höhe und die ganzen Zarten, die oben stehen und auf uns hinabsehen.
Plötzlich bleibt Nick wie angewurzelt stehen, obwohl wir noch gar nicht richtig da sind.
Verwundert sehe ich ihn an. „Verflucht, warum bleibst du plötzlich stehen", schnauze ich ihn voll und bemerke plötzlich seine Tränen in den Augen.
Erst glaube ich, dass er von irgendwas getroffen wurde, dann folge ich seinem Blick.
Ein junges Mädchen mit langen braunem Pferdeschwanz in einem schwarzen Kampfanzug hält den Körper eines jungen Mannes im Arm und weint.
„Aurora", flüstert Nick so leise, dass ich es kaum höre. Doch das Mädchen dreht sich sofort zu uns um. Als ich ihre großen, verquollenen, roten Augen sehe, wird mir auf einmal bewusst, wen sie da im Arm hält.
Ich stürze zu ihnen und starre ungläubig seine Leiche an. Das muss ein schlimmer Albtraum sein, versuche ich mir einzureden. Doch als ich die blutige Wunde in seinem Bauch klaffen sehe, sein blasses Gesicht berühre und die Kälte seiner Haut spüre, wird es für mich real.
Aurora sieht mich stumm an. Und so wie sie dasitzt und ihn ihm Arm hält, erinnert es mich daran, wie einst Adam im Wald dasaß und Jani's Leiche im Arm hielt.
Ich habe meine Eltern verloren, meinen Sohn und nun auch noch meine Liebe.
Es ist mir egal, als plötzlich aus dem Nichts ein ohrenbetäubendes Dröhnen die Kriegsgeheule und Schmerzensschrei um uns rum verstummen lässt und die Erde unter zu gehen droht.
DU LIEST GERADE
Besetzeraugen (Band 3)
Science-FictionSie sind zurück in der Stadt und der Krieg rückt näher. Doch während Nick, Adam und Aurora versuchen sich vorzubereiten, hat jeder von ihnen mit seinen ganz eigenen Herausforderungen zu kämpfen. Der letzte Teil der Augen-Reihe.