Ich hasse diesen weißen Stuhl.
Ich hasse dieses ganze weiße Untersuchungszimmer.
Und ich hasse es, wie alle hier um mich rumschleichen und mich behandeln, als wäre ich ... wie ... ach, keine Ahnung!
Ich bin völlig durch den Wind.
Riva bereitet die Spritze vor. Der Gelehrte kritzelt irgendwas aus ein Klemmbrett und die zweite Zarte – ich glaube sie heißt Taja oder Tara oder so ähnlich – misst meinen Blutdruck und hat mir währenddessen schon zweimal versichert, dass ich keine Angst haben muss, weil es nur ein kleiner Stich ist und gar nicht dolle weh tut.
Spinnt die?!
Sehe ich aus wie ein kleines Kind, das Angst vor einer winzigen Nadel hat?!
Mich juckt doch nicht diese beschissene Spritze! Ich habe viel mehr vor dem Angst, was danach passiert!
„Aurora, du zerquetschst meine Hand", ermahnt Nick mich und verzieht dabei das Gesicht etwas.
„Was?" Ich drehe meinen Kopf zu ihm. „Oh, tut mir leid", entschuldige ich mich und lockere meinen Griff.
„Angst oder Wut?", fragt er.
„Was meinst du?"
„Warum du mir fast die Hand brichst? Aus Angst oder aus Wut?"
„Warum sollte ich wütend sein?", frage ich ihn unsicher, doch er zieht nur eine Augenbraue hoch, die überdeutlich ‚Ach, komm schon' ausdrückt.
„Beides", antworte ich ihm dann.
„Es ist vollkommen ok. Aber du wirst deine Wut beherrschen müssen, sonst ..."
„Nick", unterbreche ich ihn. „Du bist doch dann trotzdem noch stärker als ich oder?"
Er seufzt. „Das kann ich die jetzt noch nicht sagen. Vielleicht. Aber wenn, dann nur mit geringem Unterschied."
„Wirst du mich aufhalten können?"
Er sieht mich verblüfft an. „Dich aufhalten?"
„Ja, falls ich die Kontrolle über mich verliere. Kannst du mich dann aufhalten?"
„Ich ... ich weiß nicht, ob ich das kann. Wenn du die Kontrolle verlieren würdest und ich nicht, wärst du vermutlich wirklich stärker als ich und ich müsste ebenfalls, die Kontrolle verlieren, um dich aufhalten zu können ... nur dass ich dich dann vielleicht gar nicht aufhalten würde, weil ich das ja nicht steuern kann und ... naja ... du weißt schon."
Ich weiß genau, was er meint. Wenn er nicht den tiefen Wunsch in sich pflegt, mich umzubringen, würde es sein außer Kontrolle geratenes Ich auch gar nicht erst versuchen. Es würde wahrscheinlich nur wahllos irgendwelche Besetzer töten, so wie ich auch. Achtlos würde ich irgendwelchen Leuten den Kopf abreißen, nur um zu töten. Und Niemand könnte mich aufhalten.
„Und wenn ich Adam angreife?" Panik steigt bei diesem Gedanken in mir auf. „Wenn ich aus irgendeinem Grund ihn angreife oder wenn es auch nur aus Versehen ist, kannst du wenigstens dann versuchen mich aufzuhalten?"
„Aurora ... ich weiß nicht ..."
„Bitte", flehe ich ihn an. „Du darfst nicht zulassen, dass ich meinen Bruder verletze, geschweige denn sogar töte."
Er muss doch wissen, wie wichtig Adam für mich ist. Schließlich ist er alles, was ich noch habe.
„Na gut", stimmt er widerwillig zu. Es fällt ihm sichtlich schwer, weil in seinem Kopf bestimmt grade tausende Szenarien ablaufen, was passieren würde, wenn es dazu käme.
„Versprich es mir", verlange ich von ihm. Ich will sicher sein, dass er, falls es dazu kommt, nicht zögern wird.
„Na schön. Ich verspreche es. Aber dafür musst du mir auch versprechen, dass du versuchen wirst dich zu beherrschen. Und du, falls du wirklich mal das Gefühl haben solltest, dich selbst zu verlieren, immer an die Konsequenzen denkst."
„Ich verspreche es." Das meine ich ernst. Ich werde es wirklich versuchen, mich zu beherrschen. Ich habe zwar nie selber mit angesehen, wie es aussieht, wenn Nick die Kontrolle verloren hat, aber ich habe die schlimmsten Geschichten darüber gehört.
„Bist du dann so weit?", fragt Riva mich und greift nach meinem Arm, noch bevor ich ihre Frage mit ‚ja' beantwortet habe. Wahrscheinlich hat sie Angst, dass ich erneut einen Rückzieher mache. Aber nein, dieses Mal nicht.
Nach dem mir der Gelehrte von Adams Leistungstest versichert hat, dass Adam in die Schlacht geschickt wird, war mir klar, dass ich mit ihm gehen muss.
Riva klopft leicht auf meinen Unterarm, bevor sie die Nadel in eine meiner Venen hineinsticht und die blaue Flüssigkeit in meinen Körper drückt.
Das Serum ist dicker als das erste. Ich spüre richtig, wie es meinen Arm hoch wandert. Es ist ein ekliges Gefühlt. Als würde es meine Blutlaufbahn verstopfen.
„Es wird ein paar Stunden dauern, bis eine Wirkung zu sehen ist", erklärt Riva mir.
Ich spüre wie das Serum immer weiter durch meinen Körper fließt.
Ich habe es getan. Ich habe es wirklich getan.
Schon jetzt fühle ich mich wie ein anderer Mensch, obwohl es noch nicht mal wirklich wirkt. Und schon jetzt fürchte ich mich vor mir selbst.
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Besetzeraugen (Band 3)
Science FictionSie sind zurück in der Stadt und der Krieg rückt näher. Doch während Nick, Adam und Aurora versuchen sich vorzubereiten, hat jeder von ihnen mit seinen ganz eigenen Herausforderungen zu kämpfen. Der letzte Teil der Augen-Reihe.