- 61 - [Nick]

50 10 2
                                    

Noch heute Morgen war ich die stärkste Waffe der Besetzer und nun sitze ich mit dröhnenden Schädel in einem Rollstuhl.

Dummer Weise bin ich zu schwach, um selber zu laufen. Mit ganz viel Hilfe von Aurora und einer Zarten habe ich es gerade so geschafft in eine schwarze Hose und ein schwarzes T-Shirt zu schlüpfen, weil ich mich geweigert habe, weiterhin diesen luftigen Krankenhauskittel zu tragen. Ich fühle mich wie ein Häufchen Elend.

Und das ausgerechnet jetzt, während das Mutterschiff der Ultimativen über unseren Köpfen schwebt. Hätte mein Körper nicht noch einen beschissenen Tag warten können, bis er das Serum abstößt?!

„Unser Schutzschild befindet sich bei 100%. Es ist somit völlig irrelevant, wie viele Waffen, dieses Raumschiff beinhaltet und welche Stärke sie haben. Sie werden uns nicht zerstören können", erklärt uns ein Gelehrter im Kontrollzentrum der Stadt. Wir befinden uns unten im Fuß des höchsten Gebäudes der Stadt in einem großen Raum voller Computer und Bildschirme mit lauter Gelehrten vor ihnen. Diese gewaltige Kugel auf der Spitze dieses Turms empfängt und sammelt sämtliche Daten dieser Stadt und hier unten, werden sie dann analysiert und ausgewertet. In meinem ganzen Leben durfte ich nie einen Schritt hierein machen. Niemand, außer einigen wenigen ausgewählten Gelehrten, auch keine Zarten durften es. Und nun, wo ich endlich mal diesen Ort von innen sehen darf, bin ich ziemlich unbeeindruckt. Dafür, dass er immer so geheim gehalten und strengbewacht wurde, ist das alles hier ziemlich unspektakulär. Naja, ich habe ja nun auch schon einiges gesehen. Da braucht es also etwas mehr, um mich zu beeindrucken.

„Also wenn die Ultimativen uns nicht vernichten können, haben wir erstmal alle Zeit der Welt, um einen neuen Plan auszuhecken und uns darauf vorzubereiten?", fragt Aurora den Gelehrten und ist wie immer voll bei der Sache. Im Gegensatz zu mir.

„Nicht unbedingt. Wir müssen selbstverständlich damit rechnen, dass die Ultimativen einen Plan haben, wie sie unseren Schutzschild umgehen können."

„Aber es ist unser Schutzschild. Sie hier haben ihn konstruiert, also müssen sie alle doch auch seine Lücken und Fehler kennen, die die Ultimativen für sich nutzen können und diese auch verhindern, oder nicht?", frage ich den Gelehrten und er sieht mich einen Momentlang schief an. So als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich tatsächlich in der Verfassung wäre, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Selbstverständlich. Zum Beispiel, der Punkt, dass der Schutzschild nur so lange oben ist, wie die Mauer verschlossen bleibt. Öffnen wir sie, haben wir nach wenigen Sekunden jeglichen Schutz verloren und stellen ein leichtes Ziel dar."

Ich stutze.

„Aber als wir heute Nachmittag reingelassen wurden, war doch der Schutzschild auch weiterhin oben oder nicht?"

„Da das Tor nur für wenige Sekunden geöffnet war, hatte sich der Schutzschild noch nicht runtergefahren. Doch es war in der Tat ein hohes Risiko."

„Warum habt ihr sie dann überhaupt geöffnet, wenn die ganze Stadt dadurch hätte zerstört werden können?", fragt Aurora und sofort wirft der Gelehrte mir einen Blick zu, den ich fast als Anschuldigung deuten würde.

„Weil, er sie sonst womöglich eingerissen und damit unseren Schutzschild komplett zerstört hätte und dies konnten wir unmöglich zu lassen."

Dafür werde ich mich ganz sicher nicht entschuldigen. Immerhin ist der Schild ja nicht komplett runtergefahren und wir haben daraufhin das Raumschiff der Ultimativen eingenommen und diese Stadt gerettet - vorerst. Trotzdem ... gern geschehen.

„Was für Fehler hat der Schutzschild noch?", fragt Aurora, um beim Thema zu bleiben.

"Wie jedes Computersystem, womit auch unser Schutzschild gesteuert wird, kann auch dieses extern gehackt und ausgeschaltet werden. Da unsere Technologie der der Ultimativen noch immer sehr ähnelt, kann es nicht sehr lange dauern, bis sie in unser Programm eingreifen werden."

"Was bedeutet 'nicht sehr lange'?", frage ich den Gelehrten, weil mir seine Deutung zu ungenau für einen Besetzer ist.

"Wir rechnen mit zwei Stunden."

Aurora und ich seufzen. So viel zu Planen und Vorbereiten.

Zwei Stunden reichen nicht, um mir ein neues Serum zu spritzen und seine Wirkung ausbrechen zu lassen.

Na gut, dann also auf Risiko.

"Wir müssen es noch mal versuchen", schlage ich vor und ernte einen skeptischen Blick von Aurora. "Was meinst du mit 'nochmal versuchen'?"

"Wir müssen in dieses Raumschiff und die Zarten, Gelehrten und Starken zur Meuterei bewegen."

"Wir? ... Du hast nicht gerade ernsthaft 'wir' gesagt, oder?" Ihre Stimme wird lauter und die Gelehrten drehen sich der Reihe nach zu uns um. Macht sie mir jetzt ernsthaft hier eine Szene?

"Ich verstehe es, wenn du das nicht noch mal über dich ergehen lassen willst. Ich gehe auch allein dort rein."

Jetzt flippt sie völlig aus. "Ist das eine Witz?! Du?! Du willst da alleine reingehen?! Nick, du bist nicht mal mehr dazu in der Lage zu gehen! Du hast keine Kräfte mehr!" Schön, wie sie mir das noch unter die Nase reiben muss. "Du kommst doch keine zwei Meter!" Wie aufmunternd von ihr. "Wenn einer von uns da reingeht, dann ja wohl ich!"

Das war eigentlich nicht das, worauf ich hinaus wollte...

"Wir haben es zu zweit kaum geschafft, Aurora. Wenn du das alleine machst, gehst du direkt in den sicheren Tod!", protestiere ich.

"Aber, wenn du mit deinem Rollstuhl in den sicheren Tod fährst ist das ok oder was?!"

Ok, jetzt wird sie wirklich verletzend.

Ich weiß darauf allerdings keine Antwort. Sie hat ja Recht. Ich bin nutzlos.

Was für ein beschissener Tag. Erst verliere ich einen Freund, dann meine Kräfte und am Ende vielleicht auch noch den Krieg.

"Es tut mir leid", entschuldigt sich Aurora und streicht sich dabei beschämt eine lockere Haarsträhne hinters Ohr. "Das war fies von mir. Ich bin nur ... Ich will endlich, dass das alles vorbei ist." Tränen steigen ihr in die Augen. Sie hat an diesem Tag noch mehr durchmachen müssen als ich. Es war ja eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass sie explodiert. Ich ... wir alle in dieser Stadt können froh sein, dass sie nur beleidigend geworden ist und nicht gleich die Kontrolle verloren hat.

"Schon ok ...", verzeihe ich ihr, „du hast ja nicht Unrecht. Ich bin unbrauchbar geworden." Ich fühle mich wie Abfall ... wie eine leere Dose, die man ausgetrunken und nun zerquetscht in den Abfall geworfen hat.

Plötzlich färbt sich der gesamte Raum in einen roten Licht. Alle Lichter blinken und eine schrille Alarmsirene erklingt.

"Sie sind in unser Programm eingedrungen!", ruft einer der Gelehrten und zum ersten Mal in meinem Leben, sehe ich einen panisch wirkenden Gelehrten. Und nicht nur einen. Sie alle strahlen auf einmal eine ungeheure Furcht aus.

"Wir müssen versuchen, sie wieder aus unserem System raus zu drängen!", befiehlt der Gelehrte neben uns und die anderen tippen wie wild auf die Tastaturen und Knöpfe vor ihnen.

"Es hat keinen Sinn", beginnt der eine, "Sie haben uns blockiert."

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung von Technik, aber das klingt nicht sonderlich gut.

"Alle auf Gefechtsstation. Protokoll Drandrykk ausführen", brüllt der Gelehrte.

Was passiert hier?! Wo sollen wir hin?! Was sollen wir tun?!

"Wie können wir helfen? Und was bedeutet Protokoll Drandrykk?", frage ich den Gelehrten und hoffe eine Aufgabe zu bekommen, um wenigstens ein wenig nützlich sein zu können.

"Da Menschen zu emotionalen Bindungen neigen, empfehle ich euch, sich voneinander zu verabschieden. Drandrykk bedeutet in unserer Sprache 'Opferung'. Die Flieger werden gleich starten und wir werden versuchen, dieses Raumschiff mit allen Waffen vom Himmel zu holen. So bestehen also zwei Möglichkeiten, wie das hier Endet: entweder sie zerstören die Stadt mit ihren Waffen, bevor wir sie zerstören oder wir schaffen es sie zu vernichten und das Wrack wird unsere Stadt unter sich begraben. So oder so wird diese Stadt fallen."

Besetzeraugen (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt