- 31- [Aurora]

78 12 23
                                    

Mit mir hat Nick endlich mal eine ebenbürtige Gegnerin beim Training.

Seit fast einer halben Stunde schlagen, treten, boxen und beißen wir uns gegenseitig im Ring.

Alles ist erlaubt, um den anderen zu Boden zu bringen.

Nick hat mir schon mindestens drei Mal die Nase gebrochen, sieben Mal ein blaues Auge verpasst und einmal meinen rechten Arm ausgekugelt und mein linkes Bein gebrochen. Und ich habe ihm ebenfalls schon einiges verpasst. Möglicher Weise sogar noch viel mehr, als er mir. Ich glaube, er hat ein wenig Angst davor mich ernsthaft zu verletzten. Ich kenne dagegen keine Scheu.

Es heilt ja schließlich alles wieder innerhalb von Sekunden. Die Blutergüsse verschwinden einfach und die gebrochenen Knochen setzten sich wie von Zauberhand wieder zusammen. Es tut nur ganz kurz weh und dann kann es auch schon weitergehen. Dieses Gefühl, wie sich die Knochen so rasend schnell wieder zusammensetzen, ist sowas von unangenehm, aber auch irgendwie faszinierend.

Von Runde zu Runde werden wir aggressiver und erbarmungsloser mit dem anderen.

Und ich muss sagen, dass es mir richtig Spaß macht.

Wenn Adam mir früher Kampftricks gezeigt hat, musste ich dabei immer vorsichtig sein. Ich wollte ihn ja schließlich nicht dabei verletzen. Deshalb wurden gewisse Techniken immer nur angedeutet.

Doch jetzt kann ich sie endlich mal richtig anwenden. Ich kann Nick mit voller Wucht eine verpassen, ohne mich schuldig zu fühlen. Ich ramme ihm mein Knie mit aller Kraft in seinen Magen und nach kurzem Röcheln, fängt er sogar an zu lachen.

Es ist irgendwie befreiend. Ich kann mich richtig an ihm auspowern und gleichzeitig meinen ganzen Frust rauslassen. Und er bei mir ja genauso.

Als er mir gegen meine linke Schläfe boxt, spüre ich einen stechenden Schmerz durch meinen Kopf fahren. Ich taumle und kippe schließlich um. Doch ein paar Sekunden warten reicht und schon ist wieder alles in Ordnung.

Grinsend hält Nick mir seine Hand hin, um mir auf zu helfen. Ich ergreife sie und lasse mich von ihm hochziehen. Nicht, dass ich keine Kraft mehr hätte. Doch langsam bin ich tatsächlich etwas außer Atem.

Immerhin prügeln wir uns hier schon seit über einer halben Stunde.

„Ich glaube, ich brauche eine kurze Pause", beschließe ich und greife nach meiner Flasche Wasser und einem Handtuch, um mir den Schweiß aus dem Nacken und von der Stirn zu wischen.

„Ich bin übrigens immer noch sehr stolz auf dich, dass du den Stresstest heute Morgen so gut gemeistert hast", beginnt er.

„Ja, ich bin auch ziemlich stolz auf mich", stimme ich ihm lachend zu.

Doch dann vergeht mein Lachen. So froh ich auch darüber bin, dass ich es geschafft habe ... irgendwie hätte ich gerne versagt. Nur um einmal zu erleben, wie es ist seine Kontrolle zu verlieren.

Natürlich sieht Nick mir sofort an, dass etwas mit mir nicht stimmt. Und ich ihm, dass er wissen möchte was.

Er muss gar nicht fragen. Es reicht schon, dass er eine Augenbraue hochzieht und ich beginne los zu plappern.

„Ich würde gern einmal selbst erleben, wie es sich anfühlt die Kontrolle zu verlieren."

Er scheint nicht überrascht zu sein über meine Worte.

„Selbstverständlich ist dieses Vorhaben möglich", höre ich die Stimme einer Zarten. Und nicht irgendeiner. Riva, unschwer zu erkennen an ihren grauen Haaren, schreitet langsam auf uns zu.

Hat sie uns beim Kämpfen beobachtet?

Elende Spannerin!

„In einem sicheren und gut geschützten Raum, aus dem du nicht ausbrechen kannst, ist dieses Vorhaben durchaus umsetzbar."

Besetzeraugen (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt