1. Kapitel

5.4K 124 26
                                    

Dichter Nebel war aufgezogen, kurz nachdem die Sonne am Horizont herabgesunken war.
Die zähflüssige, wabernde Masse begann Juna einzuhüllen, wie eine Spinne es mit ihrer Beute tat. Sie spürte, dass sich etwas unsagbar Böses näherte, doch von Angst war keine Spur.
Ihre linke Hand nach vorn gestreckt, streiften ihre Fingerspitzen über rauen Stoff. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, glaubte sie, einen Umriss vor sich wahrnehmen zu können, welcher ihr eigentlich schon das Fürchten lehren musste, jedoch starrte sie einfach weiter in den Nebel.
War es dieses Mal ein Traum?
Wenn es einer wäre, würde sie gleich aufwachen... Ganz bestimmt...
Doch dieses Mal war etwas anders – der Nebel verschwand so plötzlich, wie er gekommen war, fiel gen Boden wie Regentropfen im Sommer, wobei Juna im Bruchteil eines Wimpernschlages einen Blick auf die Gestalt werfen konnte, die sich sonst im Nebel verbarg.

Juna fuhr auf und hatte dabei die Pillendose von ihrem Nachtschränkchen gepfeffert. Schwer atmend versuchte sie sich jenes Bild ins Gedächtnis zu rufen, welches sie als Letztes gesehen hatte.
Nicht viel war davon hängengeblieben... Drei rote Bommeln an der Jacke... und diese Augen...
Junas Finger tasteten plötzlich hektisch nach der Lampe, die kurz darauf ihr Hotelzimmer in trügerisch sicheres Licht tauchte.
Augen, die ihr warnend und hungrig entgegengeblickt hatten – glühend orange waren sie gewesen. Wieso, um alles in der Welt, endete der Traum nicht wie sonst?
Seit einem guten viertel Jahr hatte er immer an jener Stelle geendet, als sie irgendetwas im Nebel ertasten konnte, doch nun...
Ihr Blick glitt gen Boden an dem die nun mehr nur noch halbvolle Dose Schlaftabletten lag.
Seufzend lehnte sie sich aus dem Bett, wobei eine Welle der Übelkeit über sie hinwegschwappte und ihren ausgezehrten Körper beben ließ. Ihre Finger tasteten blind über den Boden, fanden die Dose, aus der sie sogleich zwei der Tabletten nahm und sie auf der Zunge platzierte.
Diese Dinger machten süchtig und zerfraßen ihren Geist. Irgendwann, würde sie nicht mehr aufwachen – lag es an einer Überdosis, oder einfach an der Tatsache, dass sie sich regelrecht von ihnen ernährte.
Sie wollte und konnte nicht mehr ohne. Ihre Welt war zu jenem Zeitpunkt untergegangen und ihr Herz zerbrochen, als ihre Mutter nach langem, elendigem Krebsleiden den letzten Atemzug getan hatte. Bis vor einem Jahr hatte sie noch um das Leben ihrer Mutter gekämpft, jedoch ohne Erfolg, da sie sich bereits aufgegeben hatte. Nur langsam kam die Erkenntnis, dass der Tod in diesem Fall wie eine Erlösung war. Eine Erlösung von Schmerzen, immer wiederkehrender Qual und geistiger Zerstörung.
Nach einem Zusammenbruch und einer Psychotherapie hatte Juna begonnen, sich regelmäßig mit Schlaftabletten zur Ruhe zu zwingen.
Doch dann kam dieser Traum, dieses Wesen, das sich bis heut im Nebel verborgen hielt.
Ihr Blick wanderte zur undurchsichtigen, blauen Gardine, welche verhinderte, dass Tageslicht in diesen Raum kommen würde. Sie hielt die Luft an und taumelte darauf zu, um nachzusehen, ob sich dahinter nicht etwas verbarg. Mit einem Ruck zog sie sie fort und war nicht überrascht, nichts vorzufinden. Sie sah hinaus in die Dunkelheit des Waldes, der sich hinter dem Hotel erstreckte. Es war schon wieder Nacht. Es war immer Nacht, wenn sie aufwachte...
Sie tat einen Schritt zurück und betrachtete das Spiegelbild im Fenster. Zerzauste, blonde Haare hingen ihr in wirren Strähnen im Gesicht, oder standen in allen möglichen Richtungen vom Kopf ab. Die Haut wirkte schon lange nicht mehr gesund und hatte einen leichten Grauschimmer angenommen.
Das Shirt, welches sie seit einer gefühlten Woche trug, hing wie ein Sack an ihrem Körper herab. Unglaublich, dass es mal hauteng gesessen hatte, obwohl sie nie wirklich dick gewesen war.
Sie seufzte, wobei die Scheibe angehaucht wurde. Wie in Trance hob sie ihre Hand und malte mit dem Zeigefinger einen traurigen Smiley auf das Glas. Sie zwinkerte und als sie erneut ihr Kunstwerk betrachtete, lachte der Smiley.
Sie legte den Kopf etwas schief.
„Was..." Doch nicht der Smiley war es, der ihre Aufmerksamkeit nun auf sich zog, sondern ein roter Ballon, der an ihrem Fenster vorüberflog.
Wie konnte ein Ballon so hoch fliegen? Wie gebannt starrte sie ihm hinterher, bis er verschwand.
Die zwei Tabletten begannen sich auf ihrer Zunge aufzulösen, weswegen sich ein ekelhaft bitterer Geschmack in ihrem Mund ausbreitete, der wiederrum zu einem Brechreiz führte, dem sie entgegenwirkte, indem sie die Tabletten mit Wasser herunterspülte.
Und schon begann die gewohnte Müdigkeit erneut einzusetzen und sie einzulullen. Die Welt begann sich zu drehen, während seltsame Schatten an den Wänden zu tanzen begannen. Der Raum schien zu schrumpfen und wieder groß zu werden... schrumpfen, großwerden...
Juna ließ sich auf dem Boden nieder und lehnte nun mit dem Rücken an der Fensterfront. Angenehme Kälte kroch in ihren Körper, die Lider wurden schwerer und schwerer, bis sie schließlich ganz zufielen.


You'll be mine.        ES FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt