2. Kapitel

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Waren Tage ohne Schlaf vergangen, oder nur Stunden, Minuten, Sekunden?
Doch Juna hatte das Gefühl, als wäre die Zeit stehengeblieben, obwohl sich der kleine Zeiger der Uhr, die über der Tür hing, unentwegt bewegte.
Fünfundfünfzig, sechsundfünfzig, siebenundfünfzig, achtundfünfzig, neunundfünfzig, sechzig, sechzig, sechzig, sechzig.
Sie hob den Kopf etwas vom Kissen, während der Zeiger immer und immer wieder vor und zurückging, sich jedoch nicht normal vorwärts bewegte.
Das Ticken wurde unablässig lauter, bis sich Juna die Ohren zuhielt, doch der Lärm drang trotzdem zu ihr vor.
Mit einem Satz war sie aus dem Bett herausgesprungen, doch der Lärm hatte sich gelegt, sobald ihre nackten Füße den Boden berührten. Alles, was nun noch zu hören war, war ihr keuchender Atem und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren.


Tropf...tropf...tropf


Tropfen roten Blutes fielen gen Boden, kamen auf und spritzten auseinander. Im Takt des schlagenden Herzens verteilte sich immer mehr des Lebenssaftes auf dem Boden, während eine leise Melodie erklang, die sie vor kurzem erst gehört hatte.
„Schlaf...Kindlein...Schlaf..."
Die Worte waren so unglaublich nah an ihrem Ohr gesprochen worden, doch als sie sich langsam herumdrehte, war niemand neben, oder hinter ihr. Sie konnte schwören, dass sie warmen Atem an ihrem Hals gespürt und den süßen Duft von Zuckerwatte wahrgenommen hatte.
Wie in Zeitlupe veränderte sich die Perspektive um sie her, kippte einfach zur Seite. Etwas Warmes, das jedoch schnell erkaltete, berührte ihr Gesicht.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde, so glaubte sie, schloss sie die Augen und konnte eine leichte Vibration, wie von schnellen Schritten wahrnehmen.
Als sie die Augen einen spaltbreit öffnete, tippelten mindestens drei Paar Füße um sie herum. Doch noch eines, stand reglos hinter den anderen. Füße in Schuhen, die nicht in ein Krankenhaus passten.
Juna hob den Kopf aus der klebrigen Flüssigkeit und betrachtete die weiß-schwarz gemusterten Schuhe, die dem Träger mindestens bis zur Mitte des Schienbeins reichen mussten.
Auf beiden war jeweils eine rote Bommel genäht worden – es waren die Gleichen, wie an der Jacke...
Als sie den Blick weiter heben wollte, versperrte ihr einer der Weißkittel die Sicht.
Sie vernahm Worte um sich her, ohne sie zu verstehen, doch eine Stimme, düster und nicht von dieser Welt, summte wieder diese unheilvolle Melodie, die sich in ihren Gedanken festgesetzt hatte. Unbewusst, begann auch sie, diese Melodie zu summen, bevor sie in die altbekannte Schwärze glitt.





Der beißende Geruch von Desinfektionsmittel stieg ihr in die Nase. Blinzelnd öffnete sie ihre Augen und wollte diese mit der Hand gegen das Licht abschirmen, doch etwas hinderte sie daran. Schlagartig war sie bei Sinnen, konnte jedoch auch den Kopf nicht weit anheben, da ein Lederriemen über der Stirnmitte sie daran hinderte.
Panik kroch in ihr empor, breitete sich aus wie ein Parasit, bevor sie schrie und gegen weitere Riemen um ihre Hand- und Fußgelenke und Oberarme kämpfte.
Ihr Brustkorb hob und senkte sich in schnellem Rhythmus, als die Tür aufflog und gegen die Wand knallte. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie den Mann an, der hereingekommen war und nun in Richtung ihres Bettes geschlendert kam.
„Was haste denn fürn Problem?!" schnauzte er und strich sich seine schwarze Lockenmähne hinters Ohr. „Pass auf, du Verrückte! Es gibt zwei – ich betone – zwei Möglichkeiten, wie wir hier miteinander auskommen."
Seine Alkoholfahne hatte sie bereits wahrgenommen, als er den ersten Schritt in den Raum gesetzt hatte.
Seine flache Hand traf schmerzhaft ihre Wange, bevor er ihr Kinn unsanft mit Daumen und Zeigefinger umklammerte und sie somit zwang, ihn anzusehen.
„Erste Möglichkeit: Du hältst die Klappe, bist ein braves Mädchen... oder..." Mit seiner freien Hand schien er etwas aus einer seiner Taschen hervorzukramen, dass er jedoch noch verbarg und sie hämisch angrinste. „Oder – ich verpasse dir eine Ladung Beruhigungsmittel nach der anderen!"
Er fuchtelte mit einer aufgezogenen Spritze vor ihren Augen herum, doch sein Affentanz brachte Juna zum Lachen.
Sicher hatten die Ärzte sämtliche Bluttests bei ihr gemacht und mit großer Wahrscheinlichkeit eine, nicht geringe Menge des Medikamentes gefunden, das sie täglich einnahm. Doch ob der Fatzke vor ihr, ihre Krankenakte gelesen hatte, bezweifelte sie immens. Sollte er tun, was er nicht lassen konnte...
Allerdings verschwand er, ohne eine weitere Reaktion.
War das ein Arzthelfer, oder einfach nur ein Mensch, der mit seinem Job unzufrieden war?
Unzufrieden war auch sie mit ihrem alten Job als Planungsingenieurin gewesen, doch der brachte gutes Geld, bis sie ihrem Chef schließlich wortlos die Kündigung überreicht hatte und gegangen war.
Begeisterung sah natürlich anders aus...
Kopfschüttelnd fegte sie ihre Gedanken beiseite.
Ob dem Spinner bewusst war, dass er ihr einen Gefallen tun würde, wenn er ihr Beruhigungsmittel gab? Denn an Schlaf war, ohne Hilfsmittel nicht zu denken, also begann sie sich erneut heftig gegen ihre Fesseln zu wehren, sodass das Bettgestell klapperte und keine zwei Atemzüge später der Mann erneut hereingeplatzt kam.
„Du willst es wohl auf die harte Tour, was?" schnauzte er, entfernte die Schutzkappe von der empfindlichen Nadel.
Bevor das Mittel in ihre Venen eindrang, lächelte sie ihm seicht entgegen, was ihn naserümpfend nach seiner Tat weichen ließ.
Als er die Tür zuhaute, befand sich Juna bereits im Dämmerschlaf...

You'll be mine.        ES FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt