4. Kapitel

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  Sie hauchte seinen Namen, der keinesfalls zu seinem Äußeren passte. Viel zu harmlos war er...
„Pennywise..." widerholte sie noch einmal, während der Ballon vor ihren Augen immer blasser wurde, bis er schließlich zur Gänze verschwand.
„Hmm..." erklang ein langgezogener, genussvoller Laut unmittelbar hinter ihr.
Doch ihr Blick haftete wie gebannt an dem Grabstein, auf dem er bis vor kurzem gesessen hatte. Sie betrachtete den Namen darauf, ohne die Buchstaben zu erkennen.
Alles um sie her, erinnerte sie an Tod und Vergänglichkeit, lediglich der süße, betörende Duft von Zuckerwatte und Popcorn schien sie im Hier und Jetzt zu halten. Er erinnerte sie aber auch daran, dass sie seit Tagen keinerlei Nahrung zu sich genommen hatte.
Was sie allerdings noch an ihr Leben erinnerte, war der Schmerz in ihren Gedanken, der ihr Hirn, ihre Psyche zermarterte, sodass ihre rege Fantasie sogar einen unwitzigen Clown erschaffen hatte.
„Antworte!" wies er sie neckend an und strich ihr mit der behandschuhten Hand sacht die Haare nach hinten. Gänsehaut bildete sich an ihrem gesamten Körper.
Sie war überrascht obgleich der Wärme, die von seiner Hand ausging, als diese über ihre Wange fuhr.
Für den Bruchteil eines Wimpernschlages hatte sie sich gewünscht, dieser Moment würde niemals vergehen, doch das tat er jäh.
Ihre Knie gaben nach, was sie somit in den Schlamm beförderte. Ihre Hände gruben sich tief in selbigen, fühlten Kälte, fühlten Tod...
„Schwach... So... Schwach!" Als Pennywise erneut zu sprechen begann, wagte sie einen kurzen Blick über die Schulter.
Seine Hand klammerte sich um ihren Nacken und fuhr die letzten fünf Wirbel mit seinem Daumen nach. Sie konnte nicht sagen, dass es ein unangenehmer Schmerz war, der sie erfüllte, aber es war eine willkommene Abwechslung...
Als seine Berührung endete, legte sie den Kopf in den Nacken und zog die Hände aus dem Schlamm.
Ihre Augen füllten sich sofort mit heißen Tränen der Hilflosigkeit, die ihren Blick verschleierten.
Etwas feucht-warmes glitt über ihre Wange, zog die Spuren der Tränen nach und hinterließ ein seichtes Brennen auf der Haut.
„Tränen der Verzweiflung..."
Seine Augen leuchteten kurz auf, als sie zu ihm aufsah. Die Traumwelt um sie her, begann erneut langsam zu zerbrechen, bevor die einnehmende Schwärze sie wieder einhüllte...




Juna sträubte sich dagegen die Augen zu öffnen. Zu schön war die Ruhe und der vermeintliche Frieden in ihren Träumen, als das sie jemals wieder erwachen wollte.
Blind nahm sie die Gerätschaften um sich her wahr, die unentwegt piepten, oder sonstige Geräusche von sich gaben.
Um ihre rechte Hand schien ein enger Verband gewickelt worden zu sein. Zumindest hatte sie das Gefühl, dass ihr Arm dadurch bald absterben würde.
Etwas über dem Kopfende des Bettes gab seltsam blubbernde Laute von sich. Woran war sie überall angeschlossen?

Eine Uhr tickte... Tick-tack-tick-tack – unentwegt im gleichen Rhythmus während sie sich fragte, ob sich eine Sekunde immer gleichlang anfühlte...

Genau dreitausendneunhundertsechzig Sekunden waren vergangen, als eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, während Schritte erklungen.
Der Geruch von kaltem Zigarettenrauch und eisiger Winterluft wurde zu ihr herübergetragen.
Ein erkältetes Husten erklang, was Juna beinahe hätte zusammenzucken lassen, während sich die Person näherte.
„Warum sind die geilen Weiber immer verrückt..." murmelte die Person vor sich her.
Die Stimme erinnerte sie an einen gewissen Nerd aus einer Fernsehserie, die sie früher gern geschaut hatte, doch der Unterton in dessen Stimme verhieß sicher nichts Gutes.
Sie spürte, wie ihr die Decke weggezogen wurde und sich eine Hand auf ihre Brust legte. Ihr Atem stockte, während sich ihr Puls um ein Vielfaches beschleunigte.
„Oh ja... das gefällt dir..." drangen weitere Worte an ihr Ohr.
Es kostete sie viel Überwindung, noch nicht zu reagieren, sowie sie es gern wollte.
Doch als sich die Hand weiter nach unten bewegen wollte, riss sie die Augen auf, während ihr Körper nach vorn ruckte und sie am liebsten mit der Hand ausgeholt hätte, um dem Dreckskerl vor sich eine zu scheuern, doch Lederriemen um ihre Hand- und Fußgelenke hielten sie zwanghaft zurück.
„Verdammte Scheiße!" fluchte der Kerl und sah ihr mit schreckgeweiteten Augen entgegen.
Ihr Herz hämmerte schmerzhaft in der Brust, während ihr Blick ihn eisern fixiert hielt.
Nur langsam wurde ihr bewusst, dass es sich um den gleichen Mann handelte, der sie schon einmal ins Land der Träume geschickt hatte.
Sie mochte sich nicht ausmalen, was in der Zeit ihrer unfreiwilligen Ohnmacht geschehen war.
„Hör zu, du Flittchen!" schnauzte er nun gefasster und strich sich die schwarzen Locken hinter das gepiercte Ohr. „Versuch nicht erst, jemandem davon zu erzählen! Denn glauben wird dir Verrückten eh keiner!"
Junas Körper begann zu zittern. Woher kam plötzlich der Drang, ihm das Herz bei vollem Bewusstsein herausreißen zu wollen?
Sie stemmte sich erneut gegen die Fesseln, die sie hielten – erfolglos!
Während er sinnlos daher geplappert hatte, war ihr ein weiteres Detail an ihm aufgefallen, welches sie stutzen ließ. Viele kleine Kratzer befanden sich an seinem Hals. Kratzer die, so glaubte sie, sie ihm im Traum zugefügt hatte – mit einer Scherbe.
Noch lange, nachdem er gegangen war, starrte sie an die Stelle, an der er gestanden hatte.
„Kein Traum... Es war... kein Traum... Es..." murmelte sie vor sich her, bevor sie sich auf die unbequeme Matratze zurücklehnte.
Sie versuchte den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, was einfach nicht gelingen wollte.
Blödsinn! Wer weiß, was das für Spuren waren. Vielleicht besaß der Dreckskerl eine Katze, die ihn malträtiert hat. Keinesfalls konnte sie dafür verantwortlich sein. Wie hätte sie sich denn befreien sollen? Sie versuchte mit ihrer linken Hand aus dem enggeschnürten Riemen zu entkommen, doch auch das gelang nicht.
Seufzend drückte sie ihren Kopf ins Kissen, als ihr eine Idee kam, die vielleicht etwas verrückt war, aber funktionieren könnte.
Sie richtete sich langsam auf, sah sich bedächtig um, während ihre Wirbelsäule aufgrund der unbequemen Sitzposition zu schmerzen begann.
Irgendwie musste es doch möglich sein, sich soweit herabzubeugen, um den Riemen mit den Zähnen aufziehen zu können. Zu ihrem Bedauern musste sie zugeben, dass sie noch nie die Gelenkigste war und ihr Vorhaben scheiterte.
Allen Versuchen zum Trotz zog und zerrte sie frustriert an den Fesseln, die doch nicht nachgaben. Nichtmal ein bisschen...
Unzufrieden drückte sie sich erneut zurück auf die Matratze, während ihr Körper zu frieren begann.
Den Blick über ihren Körper wandern lassend, stellte sie fest, dass sich in ihrer linken Armbeuge eine Kanüle befand. Doch nicht das Ding selbst, hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sondern die seltsame Verfärbung ihrer Haut. Es erschien nicht wie ein normaler blauer Fleck, es war nicht mal blau. Etwas unter ihrer Haut war schwarz und schien im Takt ihres Herzens mitzupulsieren.
Blut konnte sich nicht so sehr verfärben, dass es schwarz wurde... oder doch? Ihr Blick wanderte an dem Schlauch entlang, durch den eine transparente Flüssigkeit in ihren Körper geführt wurde. Flüssigkeit, damit ihr Körper nicht austrocknete?
Seufzend schloss sie die Augen.
Sie konnte sich kaum daran erinnern, wie es war, müde zu sein... Also so müde, dass sie von selbst einschlafen konnte. Erschöpfung zerrte an ihr, nicht Müdigkeit. Aber daran war sie selbst schuld! Niemand hatte sie zu dem Absturz gezwungen, den sie durchlebte. Würde es eigentlich ein Entkommen aus diesem Abgrund geben, in dem sie sich nun befand?
Eine Art rettende Hand, die sie ergreifen konnte?
Ihre Gedanken schweiften zu Pennywise ab, der dies schon einmal getan hatte... oder bereits mehrmals? Sie erinnerte sich nicht bewusst daran.
Nach einer Weile schlug sie die Augen auf, da ein ungewöhnliches Geräusch erklang. Ein sanftes Klingeln, wie von kleinen Glöckchen.
Sie hob den Kopf etwas an, um sich umsehen zu können. Ihr Blick blieb schließlich an einer Stelle hängen, die nicht so aussah, wie sie eigentlich sollte.
An dem zerschlissenen Tisch saß auf einem der beiden Stühle eine Gestalt, die nicht existieren dürfte – zumindest nicht außerhalb ihrer Träume.
War sie eingeschlafen? Nein... alles schien zu real dafür!
Die orangeroten Haare hoben sich im krassen Gegensatz zu den, sonst so sterilen Farben des Raumes ab und doch schien seine Anwesenheit die Situation angenehmer zu gestalten.
Dieses diabolische Lächeln erschien auf seinen harten Zügen, was sie jedoch mit keinerlei Emotion hinnahm. Was sollte schon geschehen?
Die Finger ihrer linken Hand begannen damit, das Laken zusammenzuknüllen und wieder loszulassen.
Immer und immer wieder, während ihr die Nervosität anzumerken war, oder war es Angst?
„Nein – keine Angst... kleine Juna!"
Der Clown erhob sich vom Stuhl und näherte sich dem Bett, während sie ihren Kopf wieder auf dem Kissen bettete.
Ihr Blick blieb flehentlich an seinen Augen hängen. Hatte er überhaupt geblinzelt?
Er hob in einer spielerisch übertriebenen Geste die Hände und legte diese auf den Lederriemen ihrer linken Hand. Seine Wangen erhoben sich erneut zu diesem Grinsen, als ob er auf eine Reaktion ihrerseits wartete.
„Was wirst du für mich tun, wenn ich deine Fesseln löse?" sprach er langsam und betonte dabei jedes Wort. „Juna?"
Seine gespielte Mimik trieb ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Sie schluckte, suchte nach einer Antwort, fand jedoch keine.
Er sog die Luft um sich her scharf ein, als ob die Lösung darin läge.
„Oh – ich habe eine Idee!" Seine Augen blitzten gefährlich auf, als er seinen Zeigefinger an seine Lippen führte und so tat, als ob er überlegte.
„Kleine Juna!"
Sie schrak zusammen und konnte im letzten Moment einen Schrei unterdrücken, der ihre Kehle zu verlassen drohte.
Der unheimliche Clown hatte sein Gesicht so dicht an ihres gesenkt, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie in die seinen, in dessen Pupillen sich etwas zu bewegen schien. Ihr Atem stockte, als die Bilder klarer wurden und er ihr offenbarte, was sie tun sollte.
Grausig lächelnd zog er sich etwas zurück, ehe er sich daran machte, ihre Fesseln zu lösen, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.
„Komm!" sprach er und seine Stimme hallte in ihrem Kopf wieder, während sie sich wie in Trance aufrichtete.
Seine warme Hand ergriff sacht die ihre und zog sie aus dem Bett. Ihre Augen brannten, weswegen sie nun blinzelte und er es ihr gleichtat, doch dies wirkte seltsam – nicht menschlich!
Klamme Kälte kroch ihren Körper empor, als sie mit den nackten Füßen auf dem Linoleumboden stand.
Sein Daumen strich leicht schmerzhaft über die Knöchel ihrer Hand. Für einen Moment – einen surrealen Moment – fühlte sie sich sicher, geborgen, doch dieses Gefühl endete schlagartig, als er sie losließ.
Sie taumelte zurück, kippte nach hinten um, da ihr etwas den Boden unter den Füßen fortzog und schlug schmerzhaft mit dem Kopf gegen irgendetwas...




Juna schrie, spürte einen Druck in ihrer Lunge und begann wild mit den Armen um sich zu schlagen. Sie hustete, spie Unmengen Wasser aus und sah sich verzweifelt um.
Ihr Herz hämmerte schmerzhaft in der Brust als sie verschwommen das Bad erkannte, in dem sie sich befand.
Ein qualvolles Würgen nach dem anderen schüttelte ihren Körper, ließ sie in kaltes Wasser zurücksinken und tief Luft holen.
Ihre Arme lagen auf dem glatten Badewannenrand, ehe ihr die Erkenntnis kam, dass alles nur ein böser Traum gewesen sein musste.
Dieses Krankenhaus, die Psychiaterin, der Dreckskerl und... sie schüttelte sich vor Kälte, als sie an ihn dachte... Den Clown, Pennywise.
Unbeholfen hievte sie sich nach einiger Zeit aus dem kalten Wasser, aus der Wanne hinaus. Ihre aufgeweichten Hände zogen das Shirt über den Kopf, um es achtlos in eine Ecke zu werfen.
Fröstelnd griff sie nach dem weißen Handtuch, das, seitdem sie in diesem Hotel eingekehrt war, ungenutzt an der Wandheizung hing.
Rauer Stoff schmiegte sich an ihre empfindliche Haut.
Gänzlich darunter entkleidet und leicht schwächelnd, begab sie sich zurück ins angenehm warme Zimmer. Immer begleitet durch den Husten, welcher ihren Körper bei jedem Mal zittern ließ.
Ihre Lunge brannte, was ihr das Atmen erschwerte.
Was war denn überhaupt geschehen? Wahrscheinlich war sie in der Badewanne eingeschlafen!
Sie hatte doch nicht ernsthaft vorgehabt, sich das Leben zu nehmen? Wie sie so auf der weichen Couch saß und Löcher in die Luft starrte, wurde ihr mehr und mehr bewusst, dass sie die Einnahme der Schlaftabletten einstellen musste – schnellstmöglich!
Anscheinend taten ihr diese nicht nur Gutes, wenn sie schon halluzinierte.
Seltsamerweise erinnerte sie sich nun an jedes noch so kleine Detail der Träume, auch wenn diese noch so absurd waren.
„Und wenn es keine Wahnvorstellungen sind?" Erklang jene Stimme, die ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Doch Junas Körper war inzwischen so ausgelaugt, dass sie nicht mal mehr den Kopf zu heben vermochte.
Obwohl sie inzwischen halb lag, sank sie regelrecht noch weiter in sich zusammen.
„Dann träume ich..." hauchte sie schwach, während ihr Geist gegen die aufkommende Ohnmacht kämpfte.
Doch wenn sie wirklich bereits träumte, wie wahrscheinlich war es dann, dass sie in Ohnmacht fallen konnte?
Unheilvolles Lachen...
Leuchtende Augen tauchten aus der Dunkelheit auf, danach nahm sie den Umriss des Clowns wahr, der sich bedrohlich vor ihr erhob.
„Wenn ich... nicht träume... wenn ich... nicht wache... was tue ich dann?" keuchte Juna und richtete den Blick hilfesuchend zu ihm auf, in dem Bewusstsein, dass er darauf sicherlich auch keine Antwort haben würde.
„Kindlein..." hauchte er überraschend und sein Gesichtsausdruck wurde zu einer steinernen Maske. „Du stirbst!"
Ihr Herz schien für einen kurzen Moment auszusetzen, nur um im nächsten umso schneller zu schlagen. Ihr wurde zeitgleich heiß und kalt.
„Und du?" hauchte Juna, während ihr Körper zu zittern begann. „Bist du mein Todesengel?"
Eiseskälte war das Einzige, was seine Augen hervorbrachten. Langsam sank er neben ihr auf die Knie, beinahe sanft strich er ihr die feuchten Haare aus dem Gesicht.
Sein warmer Atem berührte ihren Hals, bevor sich spitze Zähne in ihr Fleisch bohrten, während eine seiner Hände auf ihrem Bauch ruhte, um sie von einer eventuellen Flucht abzuhalten.
Schmerz durchzuckte ihren Körper, als die Haut immer weiter auseinanderriss, doch schlimmer als dieses Gefühl, war jenes schmatzend, saugende Geräusch, das widerwärtig klang.
Blut... er trank ihr Blut...
Nach einer schier nicht enden wollenden Zeit, ließ er von ihr ab.
Ihr Blut tropfte von seinen Lippen, tränkte seine Kleidung tiefrot.
Genüsslich ließ er seine Zunge über die Lippen gleiten, schmeckte das eisenhaltige Blut, während er sie nicht aus den Augen ließ.
Das Pochen an ihrem Hals war beinah unerträglich, doch gab sie keinen Laut von sich, sondern erwiderte seinen Blick, in dem ein Ausdruck lag, den sie nicht zu deuten vermochte.
Wie eine Puppe lag Juna nun da, atmete kaum noch, regte sich nicht mehr.

You'll be mine.        ES FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt