18. Kapitel

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Im Haus herrschte eine angenehme Wärme, trotzdem fror Juna und setzte sich vor die Heizung und presste ihren Rücken dagegen.
Vielleicht brütete sie eine Grippe aus und hatte bereits Schüttelfrost?
Der zwickende Schmerz in ihren Handflächen erstarb nur langsam, während ihr jetzt erst bewusst wurde, dass Henry unmittelbar vor ihr hockte und sie besorgt musterte.
„Danke..." murmelte sie leise, ohne den Blick abzuwenden.
Sein rechter Mundwinkel zuckte kurz. „Für was?"
„Der Arzt hätte mich in die Irrenanstalt gesteckt... wenn du nicht... gewesen wärst..." setzte sie fort und verstummte, als sie in der Tür einen schwebenden, roten Ballon entdeckte.
Henry war ihr entgeisterter Blick nicht entgangen, sodass er sich suchend umwandte. Sein Kopf hatte ihr kurzzeitig die Sicht genommen und als er sie wieder betrachtete, war der Ballon verschwunden.
Ihre Fingernägel bohrten sich in den schmutzigen Teppich auf dem sie saß.
– Ich werde dich finden –
Pennywise' Worte hämmerten schmerzhaft in ihrem Kopf.
„Sag mal, willst du da sitzen bleiben?" mischte sich Henrys jugendliche Stimme hinzu und ließ sie vorsichtig aufsehen.
Was wohl in seinem Kopf vorging? Ob er sie ebenfalls für verrückt, oder geistig umnachtet hielt?
Sie konnte es ihm nicht verübeln, wenn es denn so war...
„Mir ist einfach nur kalt." sprach sie leise und zog die Knie so dicht an ihre Brust, dass ihr Rückgrat schmerzte.
Henry erhob sich und reichte ihr auffordernd die Hand, welche sie zum ersten Mal, seit sie sich begegnet waren, nicht zögerlich ergriff.
„Du bist so leicht..." murmelte er in ihr Haar, da er sie hochgezogen hatte und sie nun so dicht beieinanderstanden.
Sie gab nichts auf seine Worte, ließ sich von ihm zur, nicht weit entfernten Couch schieben, auf der er sie niederließ und wortlos nach oben verschwand.
Juna hatte sich gerade eben rücklings auf die muffige, nach kaltem Rauch stinkende Couch gelegt, als sie ein leises, dennoch energisches Klopfen vernahm.
Sie reagierte nicht. Sie war nicht imstande zu sagen, ob sie nicht wollte, oder nicht konnte.
Es verstummte.
Sie schloss erneut die Augen und wurde vom selben Geräusch aufgeschreckt. Ihr Herz schlug so schnell in der Brust, dass sie befürchtete, es würde herausspringen. Ihr Blick wanderte suchend umher und blieb an der Gestalt vor dem Fenster hängen.
Angst kroch in ihr empor, Angst vor dem, was geschehen würde. Kälte begann ihren Körper einzuhüllen, während ein unerträglicher Schmerz in ihrem Kopf, sie aufzwang und zum Fenster kommen ließ.
Sie wusste, dass es Pennywise war, der davor stand.
Sie erkannte seine Haare, die bedrohlich wie Hörner von seinem Kopf abstanden und dann das Leuchten seiner grauenvollen Augen.
„Biep, biep, kleine Juna!" vernahm sie seine unfassbar böse Stimme, während er, wie selbstverständlich durch das geschlossene Fenster hindurchtrat und sie zurückdrängte.
Ihre zitternden Beine konnten sie kaum tragen, bis sie über irgendein Hindernis stolperte und rücklings auf dem Boden aufkam.
Der Aufprall ließ weiße Sterne vor ihren Augen tanzen, doch keinen Atemzug später, erschien der Clown in ihrem Blickfeld.
„Ich habe dich gefunden!" hallten seine Worte durch ihren Kopf, während er sie immer wieder mit dem Zeigefinger antippte. „Und... du schuldest mir... etwassss!"
Der S-Laut klang wie das Zischen einer Schlange, die sich gleich auf ihre Beute stürzen würde. Und Juna begriff, dass sie das Beutetier war!
„Kleine Juna!"
Er hatte sich inzwischen neben sie gehockt.
Aus seinem grausigen Mund rann unablässig Speichel, während er äußerst amüsiert vor sich hingrinste, soweit man dies überhaupt so nennen konnte.
„Du bist doch nur ein Clown..." Die Worte, die sie eigentlich nur gedacht hatte, waren laut erklungen.
„Kleines Menschenjunges!" raunte er bedrohlich und zum ersten Mal fragte sie sich, warum er immer wieder das Adjektiv klein verwendete. „Ich bin viel mehr als das!"
Sein Gesicht und sein Schädel schmolzen langsam dahin, troffen gen Boden, wie flüssiges Kerzenwachs.
Zurück blieb eine formlose, grüne, wabernde Masse, die einen üblen Geruch verströmte und an seinem, nun kopflosen Körper herunterlief.
Juna wollte aufspringen, schreien, davonlaufen, doch ihr eigener Körper gehorchte einfach nicht.
Die grüne Masse berührte ihren Arm, zersetze den Stoff des Pullovers mühelos und begann nun damit, sich in ihre Haut zu fressen. Aus einem leichten Ziehen, wurde ein schmerzvolles Brennen und Drücken, das ihr den Atem raubte.
Ihr Körper bäumte sich auf, als ob sie den Schmerz dadurch verdrängen könnte, doch selbiger ließ sie für einen kurzen Moment blind werden.
Sie wollte schreien, jedoch hinderte sie eine Hand auf ihrem Mund daran. Diese drückte so fest zu, dass sie befürchtete, ihr Kiefer würde brechen.
Doch nach einigen qualvollen Augenblicken, ebbte der Schmerz vollständig ab.
Die Verätzungen auf ihrer Haut heilten ab, zurück blieb nicht einmal eine gerötete Stelle.
„Hmm." Ein langgezogener Genusslaut erklang neben ihrem Ohr und ließ sie zusammenzucken.
Sie wandte den Kopf zur Seite und sah genau in Pennywise' bedrohlich dreinblickende Augen.
Sein Gesicht war so nah an ihrem, dass sie den Geruch von Zuckerwatte einatmen konnte. Sie begann sich zu fragen, ob ein Wesen, das so gut roch, wirklich böse sein konnte.
Sie spürte, wie sich eine behandschuhte Hand um ihre schloss, um sie im nächsten Moment nach oben zu ziehen.
Nun hing sie wie eine, wenig lebendige Puppe in seinen Armen. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, während ihr Atem so flach war, dass man befürchten könnte, sie würde das Atmen gänzlich einstellen.
„Und nun, kleines Püppchen." raunte er mit seiner unmenschlichen Stimme, sodass sich ihre Nackenhaare aufstellten. „Sag, wie wirst du deine Schuld begleichen?"
Er stellte sie auf ihre eigenen Füße, hielt mit einer Hand ihren rechten Oberarm umklammert, während die andere ihre Brust berührte.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, obgleich seiner Berührung, während ihr bewusst wurde, dass er ihr Leben forderte.
Wahrscheinlich würde er ihr das Herz bei lebendigem Leib herausreißen.
„Du hilfst mir auf und reißt mich nieder..." weinte sie beinahe und sah ihn verzweifelt an, fast so, als ob ihn das gnädig stimmen würde.
„Das!" zischte er und kam ihr erneut unheimlich nah. „War keine Antwort!"
Der raue Stoff des aufgebauschten Kragens seines Kostüms striff unablässig ihr Gesicht, jedes Mal, wenn er sich auch nur ein klein wenig bewegte, doch sie wagte nicht, sich zu rühren.
„Wenn du fortlaufen willst, lauf nur, kleine Juna! ... Doch sei dir gewiss, ich finde dich, immer und immer und immer wieder!"
Seine Hand umschloss ihren Hals, hob sie mit Leichtigkeit hoch, während sich ihre Nackenwirbel schmerzhaft auseinanderzogen.
Warum war Pennywise von ihr so besessen? Warum?
Ihr Blick begann zu verschwimmen, als sie ihn langsam zu einer Uhr wandern ließ. Es wunderte sie nicht, dass die Zeiger rückwärts liefen. Vieles, was surreal sein sollte, war in letzter Zeit real geworden, warum also, war es suspekt, dass die Zeit rückwärts lief?
Sie fragte sich, wer Pennywise wirklich war, bevor sämtlicher Schmerz aus ihrem Körper wich und sie sich schon beinah der einnehmenden Schwärze hingegeben hätte, als das Knarren von alten Holzstufen sie wieder ins Hier und Jetzt zurückholte.
Ihre Fingerspitzen glitten über den abgewetzten Stoff der Couch, auf der sie rücklings lag.
Schritte näherten sich und sie waren leise...
Die Stimme, die zu ihr sprach, war das Einzige, das sie bewusst wahrnahm.


„Ich bin das Schweigen, die Angst deiner Seele...

Ich bin die Lüge, der Verlust deiner Würde...

Ich bin die Ohnmacht, die Wut deines Herzens...

Ich bin das Nichts, zu dem du einst wirst..."


„Hey Kätzchen..." flüsterte eine sanfte Stimme, während eine Hand ihr wirre Strähnen entflohenen Haares aus dem Gesicht strich. „Bist du eingeschlafen?"
Sie riss die Augen auf und sah in sorgenvolle grüne Augen.
Sie gab nichts auf seine Worte, sondern rollte sich auf die Seite und zog die Knie an ihre Brust.
Hatte er Pennywise denn nicht gesehen?
Ihre Augen brannten, auch wenn sie sie schloss.
Und immer, wenn sie sie schloss, sah sie die Albtraumgestalt Pennywise vor ihrem inneren Auge.
Als was konnte sie ihn definieren? Konnte man dies überhaupt?
Er sagte, er sei viel mehr, als ein Clown... Das war ihr seit ihrer ersten Begegnung bewusst, doch... und weiter? Was sollte sie denken? Wie sollte sie handeln? Sie hatte sich irgendeine Art Information erhofft, doch diese verwehrte er ihr. Er hatte ihr nie verraten, warum er sie nicht einfach tötete, sondern sie so quälte, er hatte nie erklärt, warum er ihr erschien, oder was er mit ihr vorhatte... War sie sein Spielzeug? Seine Marionette, mit der er beliebig tun konnte, was er wollte? Steckte irgendein Sinn dahinter?
Sie fuhr auf und wäre dabei fast mit Henrys Kopf zusammengestoßen. Ihn hatte sie ganz vergessen!
„Ich brauche dein Auto!" sagte sie entschlossen und richtete sich mühsam auf.
Ihre Füße glichen großen Eisklumpen, während ihr Kopf zu glühen schien.
„Was? Wozu?" hinterfragte er augenblicklich und schien verwirrt.
Ohne auf eine nützliche Antwort seinerseits zu warten, marschierte sie schon gen Flur, warf sich ihre Jacke über, doch als sie nach dem Autoschlüssel greifen wollte, wurde ihr dieser vor der Nase weggeschnappt.
„Wo willst du hin?" fragte Henry, während sie die allmählich aufkommende Wut in seinen Worten wahrnehmen konnte.
„29 Neibolt Street..." hauchte sie, woraufhin Henry eine Augenbraue nach oben zog.
„Was willst du bei dem alten Haus?"
Juna blieb stumm. Ja – was wollte sie da? Nachsehen, ob Pennywise noch in seinem Verließ hockte? Diese Frage hatte sich doch im Grunde erübrigt!
Ihr Blick wanderte zu ihrem Arm, den er verätzt hatte, doch davon war nichts zurückgeblieben. Er hatte sie bis jetzt nie verletzen können.
Henry hatte Recht... Was wollte sie da?
Sie war kein Lamm, das freiwillig zu seinem Schlachter kam...
„Vergiss es... war nur ein Scherz." murmelte sie, während ihre Hände auf der staubigen Flurgarderobe herumtrommelten.
„Ein Scherz?" sagte er und zog eine Augenbraue nach oben. „Ihr Deutschen seid seltsam!"
Die Sonne fiel zum Fenster hinein, tauchte das heruntergekommene Ambiente um sie her in helles, unnatürlich wirkendes Licht. Winzig kleine Staubfusseln wirbelten durch die Luft, als sich Henry von dannen machte und ins Wohnzimmer zurückkehrte.
Sie wagte einen Blick in den Spiegel, traf auf stahlgraue, ausdruckslose Augen, die ihr entgegensahen. Die Haut war aschfahl, die Wangen eingefallen.
Den wogende Schatten, der in dem verdreckten Spiegel hinter ihr erschien, nahm sie erst zwei, drei Herzschläge später wahr.
Nur langsam nahmen die Schemen Gestalt an, glitten durch sie hindurch, erfüllten sie mit Eiseskälte, die ihr mittlerweile wie ein guter Freund geworden war, bevor sich Pennywise unmittelbar neben ihr manifestierte.
Die Kiefer schmerzhaft aufeinandergepresst, wanderte ihr Blick langsam an ihm empor. Frisches Blut klebte an seiner Kleidung und sowie sie den Blick weiter hob, rann eben jenes noch an seinen Mundwinkeln herab.
Heimsuchung!" hauchte er bedrohlich und unterbrach somit ihren Versuch zu schreien.
Seine behandschuhte Hand umschloss mühelos ihre Kehle und drückte zu, während ihr kurz schwarz vor Augen wurde.
„Kleine Juna – merk dir..." zischte er, bevor sie gänzlich in die Schwärze zu gleiten schien. „Das war Stufe Eins!"  

You'll be mine.        ES FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt