The End - Not scary at all

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Geistesgegenwärtig rannte sie zu der Tür mit der Aufschrift Not scary at all und riss sie auf.
Gleißend helles Licht schlug ihr entgegen, ließ sie für einen Augenblick blind werden und oft blinzeln.
Sie hob die Hand, um ihre Augen von dem grellen Licht abzuschirmen und trat durch die offene Tür hindurch.
Sanfte Klänge drangen an ihr Ohr und sie wandte den Kopf nach rechts, betrachtete den schwarzgekleideten Mann am Piano, der konzentriert auf seine Notenblätter schaute.
Dann wurde es still um sie her...
Sie richtete ihren Blick nach vorn, sah das Bild ihrer Mutter, welches eingerahmt von Kerzen auf einem kleinen Altar stand. Davor lagen einige Blumenkränze auf dem Boden...
Die Beerdigung...
Juna schluckte schwer, als der Trauerredner mit dem schlohweißen Haar hervortrat und mit seiner Rede begann, die ihr auf sehr negativem Wege den Atem raubte.
Sie zuckte zusammen, als sie sich selbst in der ersten Reihe neben ihrem Vater erblickte. Sie beobachtete sich, wie sie sich, auf ein Kopfnicken des Redners hin, erhob und an das hellbraune Pult herantrat.
Ihre Augen waren verquollen und gerötet, während tiefe Schatten darunterlagen.
Zitternde Hände breiteten einen Zettel aus und legten ihn auf dem Pult ab.
Sie erinnerte sich noch genau an diesen Moment.


„Mir war bewusst, dass ein Abschied Schmerz bedeutet, große Trauer mit sich bringt und mich lange beschäftigen wird...
Aber ich bin nicht allein! Genauso wie du, geliebte Mutti, nie allein warst.
Auch wenn uns zumeist 340 km durch meine Arbeit trennten, so waren wir doch immer bestrebt, zumindest zu telefonieren.
Die letzten 2 Jahre waren schwer für uns alle...
Und obwohl du die größte Last zu tragen hattest, muss ich sagen, dass uns diese Zeit noch enger zusammenwachsen ließ.
Auch wenn du sehr verschlossen warst, so war es dir ein Trost, wenn ich einfach nur da war und wir versuchten, dich auf andere Gedanken zu bringen.
Du warst immer darauf bedacht, trotz der schlimmen Diagnose für andere da zu sein und hast dir so manche Sorge angehört und versucht mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dafür danke ich dir.
Ich grübelte so manche Nacht darüber nach, wie ich die aufkommende Trauer verarbeiten könne... Doch leider gibt es dafür keine Antwort...



Ein herzzerreißendes Schluchzen entfleuchte ihrer Kehle, während unablässig Tränen auf das Papier tropften, während ihre zitternde Stimme weitere Worte verlas. Ein Zitat.


„Wir hielten zusammen in schwerer Zeit
Waren für jede Schlacht bereit
Und wir dachten
Es wär für immer


Doch wenn du gehst
Bleibt etwas hier
Unzerstörbar tief in mir
Schließ ich es ein in mein Herz
Für immer


Jetzt bist du fort, der Vorhang fällt
Ich schreite allein durch unsere Welt
Mir wird klar, nichts ist für immer
Doch ich blick nach vorn, schau nicht zurück
Ich halte die Stellung, nehm die Erinnerung mit
Weil ich weiß, sie bleibt für immer
Weil ich weiß, das bleibt für immer


Auch wenn du fehlst
Bist du bei mir
Ich denk an dich, als wärst du immer noch hier
Die Erinnerung an dich bleibt
Für immer"



Juna hatte jedes einzelne Wort ihrer eigenen, damaligen Rede mitwispern können, während sie die aufkommende Trauer auf die Knie sinken ließ.
Sie hatte darauf bestanden, ein paar eigene Worte sagen zu wollen, auch wenn ihr der Trauerredner davon abgeraten hatte, jedoch dachte sie damals, dass sie ihrer Mutter wenigstens diese letzten Worte schuldig war.
Es wurde dunkel um sie her...
Geruch von Kälte und Moder zogen auf, während das Plätschern widerwärtigen Abwassers an ihre Ohren drang.
„Wie fühlt es sich wohl an, in einem immer wiederkehrenden Schmerz gefangen zu sein?"
„Sag du es mir..." hauchte sie leise. „Der, der mich immer wieder diese Dinge sehen und mich daran zerbrechen lässt!"
Sie spürte, dass auch der letzte Teil menschlicher Hoffnung aus ihr wich.
Ihr Atem bildete weiße Schlieren vor den Augen.
„Was wirst du mir antun?" hauchte sie voller Angst, während sie nicht einmal mehr in der Lage war, zu blinzeln.
Ihr bleierner Körper kippte zur Seite, während sie das Gefühl hatte, von einer tonnenschweren Last erdrückt zu werden.
„Ich habe dir nie etwas getan..." schluchzte Juna erschöpft.
„Kannst du dir vorstellen, wie lange es dauert, einem lebendigen Menschlein die Haut abzuziehen?"
Ihre Antwort darauf, war ein schriller Schrei, der sich an den Wänden brach und zu ihr zurückkehrte.
Scharfe Krallen pellten ihr in dünnen Streifen die Haut vom Hals.
Sie wand sich wie ein Wurm aus seinen Klauen und wollte aufspringen, stolperte vor Panik über ihre eigenen Füße und landete mit dem Gesicht voran in brackigem Wasser.
Es drang in ihre Wunde ein, versetzte ihr einen Schmerz, der ihr den Atem raubte und sie auffahren ließ.
Rennen, stolpern, rennen, stolpern und fallen. Doch etwas hatte ihr Fußgelenk umklammert. Sie trat nach hinten aus. Immer und immer wieder und es erklang ständig das Geräusch brechender Knochen.
Ihr Herz hämmerte in der Brust, klang schon bald wie ein Paukenschlag, der ihr Trommelfell bald platzen lassen würde, bis sich das altbekannte, grauenvolle Kichern in die Geräuschkulisse mischte.
Triefend vor Dreck, Schlamm und Blut, richtete sich Juna auf und ihr Blick suchte verzweifelt nach einem Ausweg.
„Ich habe dich lange beobachtet..." knurrte es aus der Dunkelheit. „Doch nun... wird mir das Spiel mit dir zuwider!"
Es bewegte sich im schützenden Schatten um sie herum, umkreiste sie.
„Du langweilst mich, kleines Menschenkind!"
Ihr verzweifelt anmutender Blick traf auf zornesfunkelnde Augen und sie wusste, es wäre das Letzte, was sie sehen würde.
Hatte es noch einen Sinn davonzulaufen, wenn er sie immer wieder einholte?
Seine Kiefer schoben sich in einer obskuren Geste auseinander, während sie zuerst nur zusehen konnte, bevor sie die Angst packte und sie erneut rannte und dafür ein wütendes Brüllen erntete.
Sie rannte durch knöchelhohes, stinkendes Wasser, durch zahllose Gänge, die einem Labyrinth glichen und blieb erst stehen, als ihre Lunge vor Erschöpfung brannte.
Erschöpft beugte sie sich nach vorn und stützte ihre Arme auf den Knien ab. Das Seitenstechen hatte sie für einen kurzen Moment von dem abgelenkt, vor dem sie davonlief, Doch machte es Sinn? Innerhalb kürzester Zeit die gleiche Frage...
Sie hatte darauf geachtet, stets gegen die Fließrichtung des Wassers zu laufen, denn irgendwann müsste doch ein Ausgang kommen! Ganz bestimmt!
Sie schleppte sich weiter voran, doch dieses Mal langsamer, um ihre verbliebenen Kräfte zu sammeln.
„Bist du ein Angsthase?"
Die Kinderstimme dicht hinter ihr, ließ sie angsterfüllt innehalten, sich jedoch nicht umdrehen.
„Pennywise mag Angst!" Die Stimme hatte sich verändert. In ihr schwang bösartige Ironie mit, was ihr deutlich aufzeigte, dass ihre vermeintliche Flucht durch das Klinkerlabyrinth nicht geglückt war.
„I-ich habe dir n-nichts getan..." wimmerte Juna, als sie der betörende, süße Duft des Jahrmarktes einzuhüllen begann. „B-bitte ich... bitte... lass mich g-gehen..."
Wie erbärmlich sie um ihr kleines, unbedeutendes Leben bettelte...
Schlurfende Schritte näherten sich und sie kannte seinen Gang, seine Bewegungen, die ihr allesamt das Fürchten lehrten.
Sein stinkender Atem kroch in ihre Nase, als er dicht hinter ihr stehen musste.
Sie zitterte, bangte um ihr Leben, auch wenn sie wusste, dass er keinem Betteln, keinem Flehen nachgeben würde und doch flehte sie ihn im Stillen an.
„Nein!" zischte er in ihr Ohr, wobei sich glänzende Sabberfäden über ihre Schulter ergossen.
Seine rechte Hand schloss sich um ihre Kehle, drückte ihr die Luft ab und mit einem Male durchstach etwas ihre Haut.
Blut spritzte zu allen Seiten hervor, besudelte ihre eh schon verdreckten Klamotten, bevor es in dickflüssigen Rinnsalen ins Wasser troff, doch das alles schien surreal...


Einzig und allein die Frau in dem strahlend hellblauen Kleid, die ihr die Hand reichte, schien echt.
Wohlige Wärme hüllte Juna ein, benebelte ihre Sinne und vertrieb den Schmerz, all das Leid, als sie in diese katzengrünen, lebendigen Augen ihrer Mutter blickte.
Ihr lockiges, braunes, kurzes Haar wehte in einer Sommerbrise, während sie ihr entgegenlächelte und die Finger spreizte.
„Komm Schatz!" hörte sie von weit her ihre Stimme, die sie schon vergessen geglaubt hatte.
Juna löste sich von Pennywise, streckte ihre Hand aus, um die ihrer Mutter zu berühren.
Doch sie kam nicht umhin, sich noch einmal umzusehen, beobachtete ihren sterbenden Leib, der langsam ausblutete. Es war ihr egal!
Sie sah ihre geliebte Mutter wieder und nichts würde sie je wieder auseinanderreißen!
Lächelnd wandte sie sich von dem Grauen ab, das sie durchlebt hatte und ließ sich ins gleißend helle Licht führen...  

You'll be mine.        ES FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt