19. Kapitel

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Noch lange nach seinem Verschwinden hallten seine Worte in ihrem Kopf. Fast so, als sollte sie sich diese einprägen. Und tatsächlich das tat sie... Jedes einzelne seiner Worte hatte sich schmerzhaft in ihre Gedanken gebrannt. Jede seiner Taten würde unvergessen bleiben...
Jedes Erscheinen würde ewig bleiben...
Blinzelnd öffnete sie die Augen und sah an eine sterile weiße Decke, von der schon der Putz stellenweise abgebröckelt war.
Sie erinnerte sich nicht daran, dass die Decken im Haus der Bowers so hoch gewesen waren und... vor allem nicht weiß!
Juna wollte auffahren, doch wie schon einmal, waren ihre Handgelenke mit ledernen Riemen am Bettgestell festgebunden!
„Nein!" Was als Wispern begann, wurde zu einem grellen Schrei, der von den Wänden widerhallte. „NEIN! NEIN!"
Tränen der Verzweiflung und der Unwissenheit rannen an ihren Wangen hinab, um in ihrer Kleidung zu versickern.
Kleidung... Sie strampelte die leichte Decke weg und beäugte den Krankenhauskittel den sie trug.
Ein metallisches Klicken war zwischen ihren Schreien zu hören, die zentimeterdicke Tür schwang auf und hindurch traten drei Männer. Alle in sterilem weiß gekleidet, mit ausdruckslosen Gesichtern. Einer von ihnen hielt ein schwarzes Schreibbrett in den Händen. Er war auch der Einzige, der nah an das Bett herantrat, während sich Juna noch immer verzweifelt gegen ihre Fesseln wehrte, obwohl sie wusste, dass sie nicht entkommen konnte.
Als der Mann sie einfach nur anschaute und nichts sagte, hörte sie auf, herumzuzappeln und erwiderte seinen Blick.
„Guten Tag Juna!" sagte er und seine Stimme klang übertrieben freundlich.
Sie musterte misstrauisch sein Gesicht, er wirkte älter, als er in Wirklichkeit war. Seine Haut war seltsam blass und wirkte verbraucht. An seinem markanten Kinn prangte ein ungepflegter, schwarzer Bart, durch den er ständig mit den Fingern fuhr. Dieses eklige Geräusch, welches diese Geste verursachte, regte Juna unglaublich auf, jedoch hielt sie sich zurück. Sie ließ den Blick weiter über sein Gesicht schweifen und verweilte für einen kurzen Augenblick an einer viel zu großen Nase und blieb schließlich an stechend grünen Augen hängen.
„Wo bin ich hier?" Ihre Stimme war tränenerstickt, dennoch hörte man die Wut heraus.
„Schsch!" machte der Mann und lächelte gekünstelt. „Dir wird hier geholfen werden!"
Sie riss die Augen auf, als ihr Hirn endlich die Antwort ausspuckte, wo sie sich befand.
Die Irrenanstalt... Juniper Hill?!
Sie presste die Kiefer aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten.
Was, um Hilles Willen war geschehen, dass man sie hier eingewiesen hatte?
Ihr tränenschimmernder Blick glitt zu den anderen beiden Männern, die reglos links und rechts neben der offenen Tür standen. Ihr Atem verließ stoßweise die Lunge, während das Gefühl in ihr emporkroch, giftigen Nebel einzuatmen.
„Was sie hier tun, ist Freiheitsberaubung!" warf sie dem Mann vor, der nur lächelnd den Kopf schüttelte. „Was ist verdammt noch mal so lustig?"
Das Lächeln des Mannes erstarb sofort.
„Wir werden dir hier helfen, Juna!" erklärte er ruhig. „Denn du bist krank!"
Mit diesen Worten wurde sie allein zurückgelassen.
Ihr Herz pochte schmerzhaft in der Brust. Was sollte sie nun tun? Sie war nicht krank!
„Ach... Nein?" kicherte es von irgendwoher.
Panik machte sich in ihr breit. Ihr Kopf fuhr suchend herum und knackte schmerzhaft, als sie über die linke Schulter hinwegsehen wollte. Sie konnte seine Anwesenheit spüren, sog den Duft von frischem Popcorn und Zuckerwatte ein, der sie beruhigen sollte, doch dieses Mal würde sie nicht auf ihn hereinfallen!
„Möchtest du wissen..." vernahm sie seine zischenden, drohenden Worte. „Was Stufe Zwei ist?"
Ihr Herz setze für einen kurzen Moment aus, als sich, wie von Geisterhand, ihre Fesseln lösten.
Sie wusste, dass im nächsten Augenblick nichts Gutes geschehen würde, hielt die Luft an und blieb kerzengerade im Bett sitzen und schloss die Augen, um seinen Anblick nicht ertragen zu müssen, sollte er auftauchen.


Der Platz auf dem sie nun stand, war gefüllt mit Menschen, die fröhlich lachten, sich unterhielten und kleine Weidekörbe in den Händen hielten, in denen sich gefärbte Eier befanden.
Juna wirbelte herum. Ihr Blick blieb an einem großen Fabrikkomplex hängen. Aus dem meterhohen Schornstein drang schwarzer Rauch und stieg gen Himmel, um vom Wind davongetragen zu werden.
Die Kleidung der Menschen war seltsam... Die Frauen trugen altertümliche Kleider...
Niemand jedoch, schien sie zu bemerken. Sie versuchte den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken, was nicht gelang.
Selbst sie begriff schnell, dass es wieder eine von Pennywise' Illusionen sein musste, in der sie sich befand.
Und das war nicht gut...!
Sowie sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, riss sie etwas schmerzhaft an den Haaren zu Boden, sodass ihr Kopf auf dem Boden aufschlug.
Wieder blitzten weiße Sterne vor ihren Augen auf, währen sich der Rand ihres Blickfeldes langsam grau färbte.
„Niederwerfung!" zischte die wütende Stimme neben ihrem Ohr. „Pack dich – zieh dich – reiß dich nieder – kraftvoll auf das Kopfsteinpflaster!"
Wieder erklang sein grausiges Lachen, während sie seine Stiefel musterte. Das schwarz-weiße Karomuster darauf, schien zu tanzen.
Sie spürte samtenen Stoff an ihrem Gesicht, sanft umschloss Pennywise ihr Kinn mit Daumen und Zeigefinger und zwang sie so, ihn anzusehen.
„Kleine Juna!" Ihr verschwommener Blick wurde mit jedem Moment, in dem sie ihn ansah, klarer. „Und nun sieh, was mir Freude bereitet!"
Mit einem Ruck zerrte er sie mit sich nach oben und wandte sie so, dass sie genau auf das Gelände der Fabrik sehen konnte.
Viele Knaben und Mädchen tummelten sich auf der Wiese, suchten und fanden buntbemalte Ostereier.
Doch mit einem Mal erschütterte eine laute Explosion alles um sie her. Schwarzer Qualm und Dreck wirbelten auf, während verzweifelte Schreie um sie her erklungen, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen.
Etwas schlug neben ihr auf dem Pflaster auf und als sie den Blick darauf senkte, schrie auch sie.
Etwas, das mal ein Kopf gewesen sein musste, lag unmittelbar zu ihren Füßen! Er war seltsam deformiert, während tote Augen zu ihr aufsahen.
Sie presste ihren Kopf an Pennywise' Brust, krallte sich in seine Kleidung und weinte und atmete heftig ein und wieder aus.
Eine warme Hand legte sich auf ihren Hinterkopf und strich sanft über ihr Haar, während die Welt um sie herum noch immer in Panik war. Wilde Schritte und Hilferufe verbanden sich zu einem undefinierbarem Geräusch, das Juna in den Ohren schmerzte.



Sie lag mit offenen Augen im Bett und starrte an die, sich öffnende Tür.
Eine junge Frau in Schwesternuniform war eingetreten und balancierte ein Brett zum kleinen Tisch in Bettnähe.
„Du musst essen!" sagte sie freundlich, nachdem sie die Lederriemen gelöst hatte und leicht lächelte.
Junas Blick wanderte langsam zum Tisch. Auf dem Tablett befand sich ein runder Teller aus Plastik, auf dem zwei Weißbrotscheiben lagen, daneben ein winziges Stück Butter und eine Scheibe undefinierbare, rote Wurst. Einzig und allein der rotbackige Apfel brachte angenehme Farbe mit ins Spiel.
„Ich komme dann später wieder!" lächelte die Frau erneut, deren Aussehen Juna nicht beschreiben konnte, da ihr Blick stetig am Tablett haftete.
Das Essen darauf begann zu faulen, kurz nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte.
Aus dem, nun braunen Apfel kroch eine dicke weiße Made hervor und fraß sich an anderer Stelle wieder hinein.
Angewidert stand sie dennoch auf und sah sich in dem Raum um.
Es gab ein Fenster!
Schnell trugen sie ihre nackten Füße dahin, doch am Rahmen befand sich kein Griff zum Öffnen!
Sie sah nach draußen, durch das schwere Eisengitter vor dem Fenster, in einen gepflasterten Innenhof, in dessen Mitte eine große, blattlose Eiche stand.
Wie lange hatte sie da gestanden, als die Tür erneut aufging und die junge Frau wortlos eintrat?
Etwas enttäuscht sah diese auf das Tablett, dann zu Juna, der sie ein warmes Lächeln schenkte.
„Keinen Hunger?"
Juna sah sie kopfschüttelnd an, um danach das Essen zu mustern, das noch immer vor sich hinmoderte.
„Möchtest du vielleicht etwas anderes?" fragte die Frau sanft, bevor sie das Tablett vom Tisch nahm. „Hm – ich bringe dir erst einmal etwas Ordentliches zum Anziehen!"
Juna verneinte kopfschüttelnd und sah der Frau hinterher, wie sie das Zimmer verließ.
Sie musste hier raus!
Doch... wer hatte sie hierhergebracht... und... warum?
Ihre Gedanken kreisten umher und kamen immer wieder zu ein und demselben Ergebnis – Henry!
Und diese Erkenntnis schmerzte fürchterlich.
Die Tür öffnete sich erneut, schloss sich, etwas wurde neben ihr abgelegt, die Tür öffnete und schloss sich wieder.
Seufzend sah sie auf die farbenfrohen Sachen, die man ihr gebracht hatte. Ein gelber Strickpullover, eine rote Jeans, weiße Socken und schwarze Turnschuhe. Alles war feinsäuberlich in durchsichtigen Plastiktüten verpackt.
Müsste sie nicht erfüllt sein von Unruhe?
Als sie sich den Pullover überwarf, dachte sie an diese Illusion zurück. Was war da geschehen? Was war explodiert?
„Wieso lässt du mich das sehen..." murmelte sie vor sich hin, doch ihre Frage blieb unbeantwortet.


Auch in den kommenden Tagen sprach er nicht zu ihr, erschien nicht. Was erhoffte er sich, wenn er ihr diese grausigen Dinge zeigte?
Die einzigen Worte, die ihre Lippen verließen, waren Heimsuchung und Niederwerfung.
Sie aß nichts, trank nichts.
Sie wusste, was geschehen würde, wenn die junge Frau gleich eintrat, um ihr ein Tablett mit Essen zu bringen, doch anders als sonst, trat ein Mann ein, den sie noch nie gesehen hatte.
Sie war zu schwach, um sich aufzurichten.
Als der Mann ihren jämmerlichen Zustand betrachtete, schenkte er ihr ein warmes Lächeln, sagte irgendetwas, dass sie nicht verstand.
Er redete weiter, sah sie irgendwann fragend an, bevor ein leichter Stich in ihrer rechten Armbeuge sie zusammenzucken ließ.
Etwas Kaltes pulste durch ihre Venen und ließ sie Sekunden später klarer sehen wie zuvor. Das Rauschen in ihren Ohren ließ nach, während sie mehrmals blinzelte.
„Nur ein leichtes Medikament zur Stabilisierung des Kreislaufs!" lächelte der Arzt und schien auf eine Reaktion ihrerseits zu warten, die nicht kam.
„..." Juna wollte tief einatmen, musste jedoch husten. „Wo bin ich?"
Ihre trockenen Lippen schmerzten, während sie das erste Mal seit Tagen wieder Durst verspürte und nach der Wasserflasche auf dem Nachtschrank neben dem Bett tastete.
Doch anstatt diese zu ergreifen, fiel sie mit einem lauten Knall zu Boden.
„Durst?"
Juna nickte schwächelnd.
Der Mann hob die kleine Flasche auf, öffnete den Verschluss und reichte ihr diese.
Gierig trank sie, bis ihre Kehle brannte.
„Juniper Hill..." flüsterte der Arzt, als befürchtete er, jemand könne sie belauschen. „Du bist hier in einer psychiatrischen Klinik."
„Ich bin nicht krank!" fuhr sie ihm ins Wort, doch er schien es keineswegs böse aufzufassen.
„Nun... ich möchte in den kommenden Tagen, sobald dein Gesundheitszustand wieder stabil ist, einige Tests machen!" erklärte er weiter und sah sie durchdringend an.

Was blieb ihr für eine Wahl, als dem zuzustimmen, auch wenn sie sich fürchtete?

You'll be mine.        ES FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt