13. Kapitel

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Ihr Herz hämmerte so laut in der Brust, dass sie befürchtete, er könne es hören, doch das Einzige was er tat war, sie weiterhin leicht festzuhalten.
„Henry?" hauchte sie, nachdem sie in ihren Gedanken nochmals die letzten Worte Pennywise' widerholt und versucht hatte, etwas Ordnung hineinzubringen.
„Ja?"
„Runter!"
Er reagierte nicht gleich auf ihre Worte, weswegen sie sich leicht aufzustemmen versuchte. Sobald sie dies tat, folgte Henry ihrer Aufforderung.
Etwas unbeholfen und leicht errötet stand er nun neben dem Bett und starrte auf sie herab.
Juna hingegen lag noch immer auf der weichen Matratze, während ihr Blick starr auf Henry gerichtet war.
„Was ist passiert?" fragte sie weiter und blinzelte einmal.
„Du hast geträumt?" antwortete er wieder, doch als er weiterreden wollte, hob sie die Hand, damit er schwieg.
„Kein Traum..." murmelte sie so leise, dass nur sie selbst ihre Worte verstehen konnte.
Als sie die Beine aus dem Bett schwang und sich aufsetzte, überkam sie eine leichte Übelkeit, die sie jedoch unterdrücken konnte.
„Juna?" Henry hatte sich vor sie gehockt und seine Hand auf ihrem Knie abgelegt.
Er strahlte eine unglaubliche Hitze aus, doch das tat wahnsinnig gut.
„Hörst du mir zu?"
Sie nickte leicht, während besorgte blassgrüne Augen sie musterten.
„Was ist mit dir? Du verhältst dich irgendwie – seltsam." begann er, während sie die Unsicherheit in seiner Stimme deutlich heraushören konnte.
„Ich... weiß." murmelte sie und lehnte sich mit den Ellbogen auf die Knie, was Henry etwas zurückweichen ließ. „Ich... sehe... Dinge und... weiß nicht warum. Zuerst dachte ich, ich bilde mir das alles nur ein, doch... ich sehe immer das Gleiche... einen... Clown..."
„Einen Clown?" widerholte Henry, während sie den Sarkasmus aus seiner Stimme deutlich heraushören konnte, jedoch bemerkte er, dass es ihr durchaus ernst war. „Oh tut mir leid. Ich wollte das nicht ins Lächerliche ziehen."


Es war Weihnachten... Und Juna hatte sich seit Stunden in dem kleinen Bad verbarrikadiert, nachdem für Henry unerwartet Besuch, in Form seiner vermeintlichen Freunde aufgetaucht war.
Sein Verhalten in deren Gegenwart war für sie unverständlich und unerträglich, da er sich nun wie einer dieser aufmüpfigen Teenager verhielt, sowie es im Prinzip sein sollte. Warum also, machte sie ihm daraus einen Vorwurf?
Sie richtete ihren Blick langsam zum Spiegel auf, den sie vorsorglich mit einem großen, fleckigen Handtuch verdeckt hatte, um nicht hineinsehen zu müssen.
Mittlerweile war die Kälte vom Fliesenboden in ihren Körper gekrochen und ließ sie frösteln, obwohl die Heizung glühte. Seufzend erhob sie sich aus der Ecke, in der sie bis jetzt gehockt hatte, eingeklemmt zwischen Wand und einem Schrank.
Seltsam... Plötzlich stand sie schon am unteren Treppenabsatz, nahm die fremden Gerüche zweier Personen wahr, hörte ihr Grölen aus dem Wohnzimmer, bevor sie nach Henrys Autoschlüsseln griff, die auf der Kommode im Flur lagen.
Die Ledertasche daran war schon abgegriffen und weich, der Schlüssel an sich, war leicht verbogen. Wer weiß, was er damit angestellt hatte.
Von jeglicher Menschenseele unbemerkt, verließ sie das Haus. Ihr Blick fiel zuerst auf die dicke Schneeschicht auf dem Boden, bevor sie den glänzenden blauen Wagen ins Auge fasste, der unberührt von Schnee und Kälte dastand. Sie legte den Kopf ein wenig schief, als sie den roten Ballon bemerkte, der am linken Außenspiegel befestigt war.
Solcherlei Erscheinungen sollten sie nun nicht mehr wundern!
Sie umklammerte das kalte Lederlenkrad und fuhr los. Einwandfreies Schalten, keine anderen Probleme traten auf, als sich der Wagen seinen Weg zur asphaltierten Straße bahnte.
Ihr Blick wanderte zum Beifahrersitz, auf welchem ein vergilbter Zettel lag, mit krakeliger Schrift darauf - 29 Neibolt Street.
Sie ließ das Lenkrad los und hielt den Zettel unmittelbar vor ihr Gesicht, wo ihr wieder der süße Duft von Zuckerwatte in die Nase stieg.
„Ist es da, wo du wohnst?" hauchte sie, während die Schrift verschwamm und sich neu formte.
Ich warte!
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sich ihre Hände wieder um das Lenkrad schlossen. Sie spürte die Vibration des Wagens, lauschte dem Summen des Motors, bis es irgendwann ruhig um sie her wurde.
Die Kopflehne des Wagens war weich, beinahe bereute sie es, den Blick nach links gewandt zu haben.
„Was zur Hölle..."
Wie ein Mahnmal prangte im Licht des Mondes ein altes, halb verfallenes Haus auf. Es schien unter der Last des Schnees auf dem Dach zu ächzen, es wirkte so, als hätte es Mundwinkel, die sich langsam nach unten zogen, während die zugenagelten Fenster wie zugenähte Augen aussahen.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sich die Eingangstür öffnete. Das Quietschen und Knarren zerriss die Stille der Nacht und ließ sie die Hände auf die Ohren pressen.
„Ich warte..."
Die erklungene Stimme war weder männlich, noch weiblich, nicht nett, nicht erschreckend, einfach... nicht zu beschreiben.
Tief ein- und ausatmend stieg sie aus dem Wagen und sah zum Haus, direkt in den schwarzen Schlund hinter der Eingangstür. Wie ein lockendes Maul scharfer Zähne sah es aus. Langsam und schlurfend war etwas im Rahmen der Tür erschienen.
Eine erschreckende Gestalt, halb tot und doch am Leben. Faulige, schwarze Streifen, einst lebendiger Haut, hingen in Fetzen von den Knochen herab, während blinde Augen sie durchdringend ansahen.
Lockend hob es die Hand und wie im Märchen hob es den Zeigefinger, der halb abgebissen war und gab ihr Zeichen einzutreten.
Juna zögerte nicht, zeigte keinerlei Misstrauen, als sie sich wie benommen dem Haus näherte, das rostige Gartentor aufschob und sich die Hand an einer scharfen Kante aufschnitt.
Doch all das schien so real, so echt, so...
Das halbtote Ding, auf das sie nun zuschritt, machte ihr Platz, damit sie eintreten konnte.
Der Gestank von nasser Kälte und modernden Möbeln raubte ihr für einen Moment den Atem und ließ sie würgen, weswegen sie den Kragen ihres dünnen Pullovers hochzog um dessen Geruch wahrzunehmen. Doch der Gestank war zu mächtig, als dass es half.
Angewidert verzog sie die Nase, als sie sich weiter umsah. Gerümpel, zertretene Möbel und zentimeterdicke Staubschichten lagerten hier. Spinnweben hingen zuhauf von der Decke, in denen sich Spinnen befanden, die so groß wie ihre Faust waren. Eklige Tiere, jedoch äußerst nützlich. Ihr Blick glitt weiter durchs Dunkel und blieb an der verwesenden Gestalt hängen, die auf sie zu warten schien. Etwas wie ein Krächzen, das Worte darstellen sollte, entfleuchte dessen Kehle, während schwarze Flüssigkeit aus dem zerfressenen Mund rann. Polternd setzte sich das Ding in Bewegung, während Juna Mühe hatte, mitzuhalten, doch es war wie verschwunden, als sie schließlich eine marode Treppe hinabstieg und inmitten von Ziegeln und Bauschutt stehenblieb.
Das Licht des Mondes fiel genau auf eine Art runden Kreis aus Klinkerziegeln, die seltsam rot glänzten, während aus den Fugen die gleiche rote Farbe auszutreten schien.
Ihr Atem verdampfte vor ihren eigenen Augen, als sie sich näherte und feststellte, dass es ein Brunnen war. Auf dem gemauerten Kranz lag eine schwere Granitplatte, über die jemand noch einen Riegel geschoben hatte. Doch wozu?
Diese Apparatur schien schon Jahrhunderte alt zu sein, wenn man den Rost daran betrachtete. Ihre Fingerspitzen glitten über die raue Steinplatte und sowie sie dies tat, fiel ihr die verblasste Inschrift darauf auf.

You'll be mine.        ES FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt