8.August 1888 - Mittag-Nachmittag

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Louis:

Louis rieb sich die Augen und gähnte ausgiebig.

Das helle Sonnenlicht blendete ihn und schon jetzt hatten die Strahlen genug Kraft, um den Boden aufzuheizen. Er stand neben einem Blechmülleimer, in dem sich die Maden tummelten und sich durch das fraßen, was die Menschen weggeworfen hatten.

Louis' Nacht war kurz gewesen und er hatte kaum Schlaf gefunden, weshalb er jetzt fast im Stehen einschlief. Doch das konnte er sich nicht erlauben, immerhin musste er gleich wieder zu Mr Dundee ins Strohlager und weiterarbeiten.

Der Staub, der auch hier draußen in der Luft hing, brachte ihn zum Niesen und er wischte sich mit dem Ärmel seiner geflickten Jacke über die Nase, dann musterte er die rissige Haut an den Händen. Das Stroh, dass er jeden Tag zusammenbinden musste, war manchmal ziemlich scharfkantig und schnitt ihm ständig in die Haut, aber es sollte sich nicht beschweren, immerhin hatte er einen Job, auch wenn dieser nicht so gut bezahlt war.

Manchmal wünschte er sich eine weniger belastendere Arbeit, doch Louis brauchte jeden Pence. Daher konnte er nicht wählerisch sein und so stellte er sich täglich von 5:30 -17:30 in die staubige Halle und band Stroh zu Bündeln zusammen, damit sie auf dem Markt verkauft werden konnten. 2 Shilling bekam er dafür und konnte so zumindest täglich seinen Schlafplatz und etwas zu Essen bezahlen.

Das war wichtig, denn jeden Abend kam ein Mann und trieb das Geld der Bewohner ein. Wer nicht zahlen konnte, musste die Nacht im Freien verbringen und hoffen, dass sein Schlafplatz am nächsten Tag wieder frei war. Louis schlief nicht gerne auf der Straße, denn dort war es nachts unheimlich und er schreckte bei jedem Geräusch hoch. Daher zog er es vor, das kleine Zimmer zu bewohnen, auch wenn er es mit vier bis sechs anderen Menschen teilen musste.

„Tomlinson!", rief jemand aus der Halle und Louis zuckte zusammen. Er musste sofort wieder zurück an die Arbeit, sonst würde er sein tägliches Pensum nicht schaffen und den Job verlieren.

Rasch trat er aus der Sonne, drückte die schwere Holztür wieder auf und ging in die Lagerhalle, wo ein großer Haufen Stroh in der Mitte lag. Hier drin war es düster und die Luft war erfüllt von fliegenden Strohresten, die in der Nase kitzelten und in den Augen juckten. Der Staub setzte sich auch in den Lungen ab und häufig plagte Louis ein rasselnder Husten. Rasch band er sich sein Halstuch wieder vors Gesicht und stellte sich dann vor den großen Strohhaufen, griff sich ein Stück Schnur und machte weiter.

Am Nachmittag und einem 10 Stunden Arbeitstag, durchbrach ein blechernes Läuten die Stille im Strohlager. Feierabend für die Frühschicht. Mit schmerzenden Schultern hievte Louis das letzte Bündel Stroh auf einen Wagen, damit das Material über Nacht ausgeliefert werden konnte und stellte sich dann in der Schlange beim Zahlmeisterbüro an, um sein Geld abzuholen.

Die zwei Shilling, die er als Lohn ausbezahlt bekam, schob Louis in die Brusttasche seiner Weste. Es war die einzige Tasche, die kein Loch hatte und daher ein sicherer Platz für das Geld. Außerdem hatte er die Brusttasche im Blick und niemand würde ihm heimlich die Münzen stehlen können.

Die Sonne des Tages hatte den Boden wieder trocken werden lassen und wenn er nicht versehentlich in eine Pfütze dessen, was aus den Nachttöpfen auf die Straße gekippt wurde, trat, dann würde er trockenen Fußes nach Hause kommen.

Sein Magen knurrte, denn außer einem Stück Bruchzwieback und einer Tasse Tee hatte Louis heute nichts gegessen. Essen war teuer und eine Pause gab es für die Arbeiter auch nicht, weshalb er das Pub „Ten Bells" ansteuerte. Dort gab es günstigen Gin und manchmal eine Schale Porridge, wenn der Vorrat es zuließ. Vielleicht hatte er ja heute Glück und würde eine warme Mahlzeit bekommen.

Murder in the streetsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt