13.September 1888 - früh am Morgen

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Harry:

Wieder hatte er Nachtschicht und lief seine übliche Route durch das Viertel.

Heute war es eine kühle Nacht und Harrys Hand, mit der er den Griff der Lampe hielt, war mittlerweile eiskalt. Er zitterte und hauchte sich immer wieder in die Handflächen, um sich aufzuwärmen, doch es half einfach nicht. Die Kälte saß schon in den Knochen. Seufzend zog Harry seine Taschenuhr aus der Westentasche und sah darauf. Es war 2 Uhr am Morgen. Noch zwei Stunden, dann war er durch mit seiner Schicht.

Die Schornsteine der Fabriken, die bereits den Luxus vorweisen konnten, die ersten Dampfmaschinen zu haben, hatten heute eine Wolke aus Nebel über die Stadt ziehen lassen. Alles war diesig und verschwamm vor Harrys Augen, was es noch schwerer machte, Details zu erkennen.

Er bog in eine Straße ein, in der nur eine Gaslaterne brannte und selbst das Licht drang kaum durch den Nebel. Harry machte kleine Schritte, um nicht versehentlich auf etwas oder jemanden zu treten und brauchte so ziemlich lange, bis er die Gasse halb durchquert hatte. In einem Kellerabgang des Reihenhauses zu seiner Linken, der hinter einem angelehnten Holzbrett verborgen lag, raschelte etwas. Harry blieb stehen und bückte sich. Es ließ sich leicht beiseite schieben und er leuchtete mit der Lampe hinein. Dunkles Haar war alles, was er zu sehen bekam, dann hob die Person den Kopf und Harry erkannte Louis. „Was machst du hier unten?", fragte er und musterte Louis.

Seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte, schien er zusammengefallen zu sein. Seine Augen waren müde und er machte sich ganz klein. „Ich schlafe hier, wonach sieht es denn aus?", gab Louis zurück und seine Stimme hallte in dem Kellerabgang wider. „Ich...habe nichts anderes bekommen..."

„Hast du kein Geld mehr?", fragte Harry und ging vor dem Kellerloch in die Hocke, um besser zu Louis heruntersehen zu können. Louis senkte den Blick und schluckte: „Nicht mehr viel...es hat zumindest nicht mehr für ein Bett gereicht...ich habe mir zwar noch auf der Straße was verdient, aber dann waren alle Betten schon weg. Naja und so bin ich eben hierher gegangen. Bevor die Sonne aufgeht, werde ich weg sein, dann wird der Besitzer es gar nicht bemerken, dass ich hier geschlafen habe." Louis klang nicht so, als glaubte er, was er da sagte. Harry hob die Lampe etwas an und streckte eine Hand nach ihm aus: „Was hältst du davon, wenn du heute Nacht bei mir schläfst? Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn du hier bleibst. Du wirst dir noch den Tod holen."

Louis sah seine Hand an und Harry dann ins Gesicht. In seinem Blick lag Unsicherheit und er zögerte. „Jetzt komm schon, du weißt doch, wo ich wohne. Ich gebe dir meinen Schlüssel und du kannst schon mal ins Zimmer gehen. Ich muss meine Streife noch fertig machen." Sie sahen einander an, dann nahm Louis die Hand an und ließ sich von Harry aus dem Kellerloch ziehen. Als er vor ihm stand, hob Harry die Lampe und musterte Louis: seine Kleidung war schmutzig und man erkannte gut genug, dass er mehrfach in diesen Klamotten auf der Straße geschlafen haben musste. An seinem Hals waren dunkle Flecken zu sehen und Harry besah sie sich genauer: „Was ist da passiert? Hast du dich geprügelt?", fragte er und sah im Licht der Lampe nun genauer, dass Louis Hals einige Würgemale aufwies. „Das...das ist nichts", sagte Louis ausweichend und strich sich mit den Fingern über die dunklen Stellen. Harry hob eine Augenbraue, denn es war offensichtlich, dass Louis ihn anlog. Solche Flecken kamen nicht einfach so. „Ich hatte vorhin ja noch einen Kunden und der hat mich ein bisschen zu fest angepackt...", gestand Louis schließlich und wich Harrys empörtem Blick aus.

Er hätte sich jetzt darüber ärgern können, dass Leute die Dienste der Prostituierten annahmen, denn es gab für einen Menschen nichts Erniedrigenderes, als wenn jemand dafür bezahlte, Sex zu haben. Doch weil er selbst Louis bereits dafür bezahlt hatte, stand es ihm nicht zu, darüber zu urteilen - er war keinen Deut besser, als alle anderen. Er war sich sicher, dass auch Louis klar war, dass sie einander auf diese Art und Weise schon begegnet waren, doch er hielt es für unnötig, das anzusprechen.

Murder in the streetsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt