29.Oktober 1888 - Früh am Morgen

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Louis:

Er hatte einen Stuhl unter die Türklinke geklemmt, ein Messer in der Hand und stand zitternd in der Ecke des Zimmers, wagte kaum zu blinzeln und behielt die Tür im Auge. Was, wenn der Mann zurückkam, sobald er Harry weggelockt hatte?

Dann wollte er vorbereitet sein.

Das Blut rauschte ihm in den Ohren und sein Atem ging schnell, trotzdem blieb er angespannt. Jeden Moment müsste die Klinke heruntergedrückt werden. Seine Hand war schweißnass und das Messer drohte ihm aus den Fingern zu rutschen.

Wie lange würde es dauern, bis der Mann zurückkam?

Die Angst kroch ihm durch den ganzen Körper und er hatte sich noch nie so eingesperrt gefühlt, wie gerade in diesem Moment.

Im ganzen Haus war es still und als er wieder Schritte auf der Treppe hörte, blieb sein Herz fast stehen. Die Schritte kamen direkt auf die Zimmertür zu und als jemand anklopfte, machte Louis einen Satz vor Schreck.

„Louis, ich bin es!", sagte Harry und der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Natürlich bekam er die Tür nicht auf, die Louis blockiert hatte und spähte durch den Türspalt. „Louis, kannst du mich reinlassen?"

„Ja, natürlich", japste er und löste den Stuhl. Atemlos blickte er Harry an, der ziemlich zerzaust aussah und genauso außer Atem war, wie er selbst. „Hast du ihn gekriegt?"

„Nein, er ist mir entwischt...es tut mir leid, Louis." Harry senkte betreten den Kopf. „Ich hätte dich so gern in Sicherheit gewusst. Entschuldige bitte, dass ich dich nicht beschützen konnte", sagte er leise und sah aus, als hätte er den größten Fehler seines Lebens begangen. „Ist schon gut, ich bin auch froh, dass er dir nichts getan hat", sagte Louis leise, legte das Messer beiseite und umarmte Harry fest.

Wenn der Mörder ihm etwas getan hätte, ihn vielleicht im Treppenhaus abgestochen oder in einen Hinterhalt gelockt, dann würde er sich das nicht verzeihen.

„Wofür ist das jetzt?", fragte Harry verwirrt, legte aber die Arme ebenfalls um ihn und erwiderte die Umarmung. „Danke, dass du da warst...ich hatte solche Angst, dass er dich umbringt und dann zu mir zurückkommt", gestand Louis und drückte das Gesicht an Harrys Schulter. „Er wird bestimmt nicht zurückkommen. Wenn er weiß, dass ich da bin", sagte Harry leise, klang jedoch nicht überzeugend. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht", nuschelte Louis und hob den Kopf: „Er wird warten, bis ich alleine auf dem Weg zur Arbeit bin und mich dann dort abpassen. Ganz sicher. Ich bin erledigt."
Fahrig strich er sich übers Gesicht und drehte sich weg. „Louis, wir kriegen das hin. Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen und tagsüber wird er sich nicht an dich heranwagen, da bin ich mir sicher."

„Und, wenn er hier auf mich wartet? Immerhin war er schon im Haus", bemerkte Louis unsicher und erschauderte. „Ich werde dich jede Nacht bis hier ins Zimmer bringen, damit du nie alleine durchs Treppenhaus gehen musst. Dann bekommt er keine Chance."

Diese Worte beruhigten Louis zwar kurzzeitig, doch es änderte nichts daran, dass jemand ins Haus gekommen war und nach ihm gesucht hatte. Derjenige wusste nun, wo er untergekommen war, das zu wissen, war nicht angenehm.

Harry drückte Louis erneut fest an sich, dann sagte er leise und bedauernd: „Ich muss nochmal gehen. Meine Schicht ist noch nicht zu Ende." Louis hob ungläubig den Kopf: „Was? Du willst nochmal weg? Nein du kannst mich doch jetzt nicht alleine lassen. Wenn der Mann zurückkommt..."

„Das wird er nicht", sagte Harry eindringlich und sah Louis fest ins Gesicht. „Für ihn war das gerade verdammt knapp und ich bin mir sicher, dass er dieses Risiko so schnell nicht wieder eingehen wird. Er weiß, dass ich ihn fast geschnappt hätte und wir ab jetzt auf der Hut sind. Es wäre sehr dumm von ihm, dieses Haus heute Nacht noch einmal zu betreten." Da könnte Harry richtig liegen, trotzdem behagte es Louis ganz und gar nicht, zu wissen, dass der Polizist wieder hinaus auf die Straße wollte. „Kannst du nicht trotzdem hier bleiben?", bat er leise und gab sich alle Mühe ein gutes Mittelmaß zwischen Mut und Ängstlichkeit zu finden. Harry sollte nicht denken, dass er nicht alleine bleiben konnte, aber jetzt in dem Moment fiel ihm diese Vorstellung äußerst schwer.

„Louis, ich würde gerne bleiben, aber ich muss meine Streife beenden. Ich werde versuchen einen Kollegen hier in der Straße zu positionieren. Würde dich das beruhigen?"

Louis nickte und Harry schien erleichtert zu sein. Er nahm seine Sachen wieder auf und ging auf die Tür zu, wobei seine Schritte langsam waren, als fiele es ihm auch sehr schwer, jetzt zu gehen.

Louis hörte den Schlüssel im Schloss, den einrastenden Riegel und fühlte sich zum ersten Mal wohl dabei, wenn Harry ihn einsperrte. Die Tür war zu und außer Harry würde niemand hereinkommen können. Hier war er sicher und wenn Harry recht hatte mit seiner Vermutung, der Mann würde es heute nicht noch einmal wagen, herzukommen, dann hatte er heute Nacht seine Ruhe.

Er trat ans Fenster und sah hinunter auf die Straße. Die Nacht war nicht mehr so finster, wie noch vor einigen Stunden, denn der Morgen kündigte sich an. Der Himmel schien ein wenig heller geworden zu sein. Oder kam es ihm nur deswegen nicht mehr so dunkel vor, weil Harry da war?

Nachdenklich legte Louis die flache Hand an das kalte Fensterglas und strich mit dem Finger über den Rahmen. Harry beschützte ihn und auch, wenn er bisher nie so empfunden hatte, würde Louis doch sagen, dass der Polizist die Dunkelheit aus seinem Leben genommen hatte. Zwar nicht vollständig, denn es war noch genug davon vorhanden, um ihn nachdenklich und traurig zu machen, aber oft war da Hoffnung und ein gutes Gefühl in der Brust, das er dem Polizisten zu verdanken hatte.

Vielleicht hatte Harry ihm heute Nacht ja das Leben gerettet. Louis sah nach unten und erkannte Harry, der mit einem anderen Polizisten sprach. Sie standen in der Nähe einer Laterne und hatten die Köpfe zusammengesteckt. Er gestikulierte zum Haus hin und der Kollege nickte, bevor er sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite positionierte. Wie gut, dass jemand da war, der den Hauseingang im Blick behielt, dachte Louis und senkte den Blick.
Der kleine Knopf, den Harry für ihn hatte annähen lassen, schimmerte ein wenig im diffusen Licht und Louis wurde ganz warm ums Herz, wenn er daran dachte, dass Harry das für ihn getan hatte.

Sowieso war er viel zu gut für ihn und Louis konnte sich einfach nicht erklären, womit er eine solche Aufmerksamkeit verdient hatte. Er war weder besonders nett zu Harry gewesen, noch war dieser ihm etwas schuldig. Nun gut, anfangs hatte Harry ihm geholfen, weil er ihm versehentlich die Hand gebrochen hatte, doch das war noch lange kein Grund, ihm weiter hin so unter die Arme zu greifen. Louis war es doch gar nicht wert.

Er war es nicht wert, dass Harry sich sorgte und sich so für ihn einsetzte. Und doch tat er es.

Oder war der eigentliche Grund, weshalb der Polizist ihn so beschützte der, dass er eben diesen Mord beobachtet hatte und nun in Gefahr war?

Louis zog sich die Hose aus und schlüpfte ins Bett. Schlafen konnte er allerdings nicht, dabei war es schon richtig spät. Harry war ein Polizist, dessen berufliche Ehre es war, sich um die Sicherheit der anderen Leute zu kümmern. Er, Louis war Zeuge eines Mordes geworden und somit war es Harrys Aufgabe, ihn zu schützen. Der Gedanke war böse und setzte sich sofort in Louis Kopf fest. Er verdrängte die Hoffnung, dass man sich seinetwegen um ihn sorgte. Das tat weh und Louis wünschte sich, er wäre niemals darauf gekommen.

Harry scherte sich bestimmt nicht um ihn als Person, sondern lediglich um ihn, als Zeugen. Als lebender Zeuge war er Polizei von Nutzen und nur deswegen stand jetzt ein Polizist vor der Tür und hielt Wache.

Einen anderen Grund gab es nicht und sobald der Mörder gefasst war, würde Louis wieder auf der Straße schlafen, im Armenhaus unterkommen und den ganzen Tag lang für einen Hungerlohn schuften. Wenn der Mörder gefasst war, dann würde Harry ihn gehen lassen.

Und vergessen.

.-.-.-.
Oh man ihr glaubt gar nicht wie schwer es mir fällt, meine Updates zurück zu halten.

Dieses Buch ist schon seit dem 19.5 beendet und ich könnte jeden Tag updaten oder alles auf einmal raushauen...aber ich bin mit dem neuen Buch noch nicht weit genug im Vorsprung als dass ich mir das erlauben könnte, also muss ich mich zurück halten. Das ist verdammt schwer.

Aber der Plot vom neuen Buch ist cool das kann ich euch versprechen;)
LG

Murder in the streetsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt