Harry:
Es klopfte an der Tür. Zaghaft und schüchtern, doch Harry hörte es trotzdem.
Rasch schlüpfte er in seinen Morgenmantel und drehte den Schlüssel im Schloss um. Er wohnte noch nicht einmal eine Woche hier und hatte sich noch nicht wirklich an die neue Umgebung gewöhnt. Doch es war besser, als bei Mrs Stubbs, der er nicht mehr wirklich vertraut hatte, seit sie einmal unbefugt sein Zimmer betreten hatte.
Louis stand auf dem schäbigen Flur, hatte die Schultern hochgezogen und blickte ihn an. „Guten Morgen, Sir. Habe ich Sie geweckt?", fragte er, doch Harry schüttelte den Kopf: „Nein, ich war schon wach. Komm rein." Er trat beiseite und ließ Louis ins Zimmer, dann drehte er sich wieder zum Waschtisch um und rasierte sich zu Ende. „Das Wasser kannst du hinten im Hof entsorgen", sagte er zu Louis, der rasch nickte. „Wo soll ich anfangen?", fragte er leise und Harry zuckte die Schultern. „Warte noch ab, bis ich mich auf den Weg zur Arbeit gemacht habe, dann hast du deine Ruhe. Wenn du fertig bist, schließe die Tür ab und bringe mir den Schlüssel auf die Wache."
„Ja, Sir", sagte Louis erneut und stand ein wenig verloren im Raum herum. „Setz dich bitte, du machst mich nervös, wenn du da so herumstehst", sagte Harry und Louis ließ sich schnell auf einen Stuhl sinken.
Konzentriert entfernte Harry die letzten Bartstoppeln, wusch das Messer in der Schüssel aus und trocknete sich das Gesicht ab, dann zog er sich um. Dass Louis ihn dabei sehen konnte, störte ihn nicht im Geringsten. Immerhin hatte er ihn mehr oder weniger unbekleidet bereits zu Gesicht bekommen. Beim Gedanken daran, hielt er inne und drehte sich zu Louis um. Langsam zog er sich die Hosenträger über die Schultern und griff dann nach der Fliege, um sie sich um den Hals zu binden. „Louis, darf ich dir eine Frage stellen?"
„Natürlich."
„Verkaufst du dich noch immer?" Es war eine sehr direkte Frage und daher natürlich vollkommen verständlich, dass Louis ihn mit großen Augen und überraschtem Gesicht ansah. „W-wieso fragen Sie?" Harry wandte sich zum Spiegel um und fing an, die Fliege zu binden, das war keine allzu leichte Angelegenheit und er zog konzentriert die Brauen zusammen. „Polly Nicols, das Opfer von letzter Woche war eine Prostituierte. Auch Martha Tabram hat sich gelegentlich verkauft und auch wenn wir bisher nicht sagen können, ob die Morde vom selben Täter begangen waren, wage ich zu behaupten, dass man als Prostituierte momentan eher gefährlich lebt."
„Aber ich bin keine Frau", sagte Louis und kicherte. Er schien Harrys Warnung nicht ernst zu nehmen. Ein wenig verärgert drehte er sich zu ihm um und griff nach seiner Jacke: „Gut, ich wollte es dir nur gesagt haben. Pass auf dich auf, wenn du nachts auf der Straße bist. Ich gebe dir dein Geld, wenn du mir den Schlüssel vorbeigebracht hast." Und mit diesen Worten verließ Harry sein Zimmer.
Louis wollte seine Warnung nicht hören. Oder sie war ihm egal. Vielleicht glaubte er auch, dass er sich hier im Stadtteil besser auskannte, als Harry es tat, weil er aus der City kam. Doch immerhin arbeitete er bei der Polizei und bekam mit, was los war.
Nach dem Tod von Polly Nicols hatte die Presse bereits von einer Mordserie gesprochen und der Druck auf die Polizei war unglaublich groß geworden. Mr Payne hatte alle Kollegen von den täglichen Pflichten entbunden, damit großzügige Befragungen durchgeführt werden konnten. Doch diese hatten zu keinem nennenswerten Ergebnis geführt. Man hatte Polly zwar in der Mordnacht zusammen mit einem Mann gesehen, doch die Beschreibungen unterschieden sich so dermaßen, dass sie der Polizei keinerlei Hinweise waren.
So war es gestern zu der Bestattung der Toten gekommen, ohne dass die Polizei auch nur einen einzigen Tatverdächtigen hätte festsetzen können. Im Treppenhaus verschloss er die Knöpfe seiner Jacke und trat dann hinaus auf die Straße.
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Murder in the streets
FanfictionEin Sergeant, wird nach Whitechapel versetzt um die Polizei dort zu unterstützen, die im Fall der ermordeten Martha Tabram ermittelt. Ein junger Mann kämpft sich durch den Alltag im East End und will eigentlich nur eines: zurück nach Hause. Doch da...