Harry:
Es war schon früh am Morgen und die Schicht war ziemlich ereignislos gewesen, als ein schriller Pfiff einer Trillerpfeife Harry aus seinen Gedanken schreckte. Er zuckte zusammen und sah auf die Uhr. Es war 3:40 Uhr.
Die Trillerpfeife konnte nur bedeuten, dass ein Kollege Hilfe benötigte und augenblicklich war Harry wieder hellwach. Weil es um ihn her so still war, war es ein Leichtes gewesen, die Richtung der Trillerpfeife ausmachen zu können und so rannte Harry mit wild hin und her schwingender Laterne die Straße hinauf. Der Kollege blies immer wieder und lotste Harry so in die Bucks Row. Als er um die Ecke bog, sah er vor einer langen Mauer mehrere Personen. Alle schienen sich über etwas gebeugt zu haben, das am Boden lag und Harry eilte mit schnellen Schritten darauf zu.
Die Kollegen Neil und Mizen waren bereits vor Ort, vermutlich hatte die Trillerpfeife von einem der beiden Harry hergelockt. „Sehen Sie sich das an", sagte der Polizist, der den Namen Mizen trug und hielt seine Laterne hoch. Harry sah im Lichtschein der Lampe eine Frau auf dem Bürgersteig liegen. Sie war mittleren Alters, lag auf dem Rücken, trug zwei Röcke übereinander und einer davon war hochgerutscht. Die Beine waren gespreizt und in einiger Entfernung lag eine dunkle Haube auf dem Bürgersteig. Der Schal um ihren Hals glänzte dunkel und nass vom Blut, ansonsten war nirgendwo Blut zu sehen. „Lebt sie noch?", fragte Harry leise und beugte sich über die Frau. Mr Neil schüttelte den Kopf, griff nach dem Schal und zog ihn zur Seite. Erschrocken zuckte Harry zurück und hätte sich beinahe übergeben.
Der Hals der Frau war aufgeschnitten. Man hatte ihr die Kehle durchtrennt.
Rasch legten die Männer den Schal wieder über die klaffende Wunde und richteten sich auf. „Wurde sie überfallen? Oder ausgeraubt?", fragte Harry laut und sah sich um. Bei einem Kampf hätten sich vielleicht einige Habseligkeiten auf dem Bürgersteig verteilt, doch da war nichts außer dieser schwarzen Haube. „Vielleicht wurde sie woanders getötet. Hier ist viel zu wenig Blut. Wenn einem die Kehle aufgeschnitten wird, dann verliert man eine Menge Blut. Das ist, wie wenn man ein Schwein schlachtet. Das geht nicht sauber vonstatten.", mutmaßte Mr Neil und sah sich um.
Harry folgte seinem Blick: vielleicht gab es Schleifspuren. Doch lediglich im Rinnstein war etwas Blut. „Ja, man könnte sie hergebracht haben", überlegte Harry und nickte langsam. „Ich hole einen Arzt", sagte Mizen, nickte seinen Kollegen zu und machte sich rasch davon.
Der Arzt tauchte etwa 15 Minuten später am Tatort auf. Er sah müde aus. Sicherlich hatte man ihn geweckt, doch als er die Leiche sah, war alle Müdigkeit vergessen. Er stellte seine Arzttasche ab und ging einmal neben der toten Frau in die Knie. Die Polizisten hielten ihre Lampen hoch, um dem Arzt genug Licht zu spenden und sahen ihm dabei zu, wie er die Frau untersuchte. „Glauben Sie, man hat sie hierher geschafft?", wollte Harry irgendwann wissen und vermied dabei, auf die ekelhafte, tiefe Schnittwunde zu blicken. Sie zog seinen Blick geradezu magisch an.
Also blinzelte er schnell und versuchte sich darauf zu konzentrieren, auf den Rockzipfel der Frau zu sehen.
Der Arzt, Dr Llewellyn, sah zu den Polizisten auf und schüttelte den Kopf: „Nein, ich glaube nicht, dass sie an einem anderen Ort getötet wurde. Sie trägt eine ganze Menge Stoff am Körper, das hat das Blut aufgesaugt. Bringt sie mir in die Leichenhalle, dann kann ich sie mir genauer ansehen."
Die tote Frau wurde von den Polizisten auf einen Handkarren geladen und sie fuhren ihn durch die Straßen bis ins Leichenhaus des Arbeiterkrankenhauses in der Old Montague Street.
Harry fühlte sich nicht gut bei dem Gedanken, dass er erst vor wenigen Tagen hier gewesen war, um eine andere Frau anzusehen, die ebenfalls mit einem Messer getötet worden war. Es schien sich auf eine bizarre Art und Weise zu wiederholen.
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Murder in the streets
FanfictionEin Sergeant, wird nach Whitechapel versetzt um die Polizei dort zu unterstützen, die im Fall der ermordeten Martha Tabram ermittelt. Ein junger Mann kämpft sich durch den Alltag im East End und will eigentlich nur eines: zurück nach Hause. Doch da...