5.Oktober 1888

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Harry:

Die nächsten Tage waren leichter. Zumindest was den Umgang mit Louis betraf. Der fühlte sich deutlich wohler, seit er mit ihm gemeinsam am Morgen die Wohnung verließ und tagsüber draußen sein konnte. Nachdem Harry ihm mehrmals eingeschärft hatte, sich auf keinen Fall zu betrinken und in Schwierigkeiten zu bringen, war er sich sicher, dass Louis sich daran hielt.

Die Zeitung hatte den Ripper Brief mittlerweile veröffentlicht, woraufhin eine Flut an neuen Schreiben bei der Central News Agency und der Metropolitan Police eingegangen waren. So war am 1.Oktober eine blutbeschmierte Postkarte von „Saucy Jack" angekommen, in der man sich dafür bedankte, den ersten Brief eine Weile zurückgehalten zu haben. Für die Polizei war das ein eindeutiges Zeichen, dass der Brief und die Karte vom selben Verfasser stammten und die Dreistigkeit des Mörders, die Polizei auf diese Art und Weise zu verhöhnen, hatte Mr Payne dazu veranlasst, noch weitere Unterstützung anzufordern - und mehrere Pfeifen am Tag zu rauchen.

Nun patrouillierten über 80 Polizisten in der Nacht durch Whitechapel und der Abstand der einzelnen Patrouillen betrug nicht mehr als Fünf Minuten. Im Prinzip sollte es dem Mörder nun unmöglich sein, nochmal zuschlagen zu können.

Außerdem hatte man nach mehreren Zeugenaussagen einige Verdächtige festnehmen können, was die Polizisten deutlich positiver stimmte. Endlich konnte man so etwas, wie einen Erfolg verbuchen.

Im Revier der Metropolitan Police saßen im Augenblick ein russischer Arzt, ein polnischer Jude, sowie ein irischer Quacksalber in Haft. Weil man sie nicht lange festhalten konnte, arbeiteten Harry und die Kollegen nun fieberhaft daran, deren Alibis zu überprüfen.

Im Gefängnisbereich der Station standen Harry und Gibbs im dunklen Flur und lugten durch einen schmalen Spalt ins Innere einer Zelle in der der Quacksalber saß. „Er heißt Francis Tumblety und kommt aus Amerika. Er wurde uns gemeldet, weil ein Amerikaner versucht hat, in einem Krankenhaus konservierte weibliche Fortpflanzungsorgane zu erwerben. Der Amerikaner trug einen Schlapphut, genau wie Tumblety einen besitzt und manche Aussagen behaupten auch, den Mörder mit Schlapphut gesehen zu haben. Festgenommen hat man ihn allerdings unter Anderem auch, wegen homosexuellen Handlungen", erklärte Gibbs leise. Harry warf einen Blick auf den Mann, der im Halbdunkeln saß und böse zu ihnen herüberblickte. Seine Augen stierten ihn regelrecht an und ein mächtiger Schnauzbart verdeckte seinen Mund.

„Die Sache mit dem Krankenhaus macht ihn in der Tat verdächtig", antwortete Harry und sah seinen Kollegen an. „Hat man ihn bei den homosexuellen Handlungen erwischt?"

„Nein, nicht direkt, aber es wurde gemeldet, dass er mit einem Stricher zugange war." Harry schluckte und sah den Mann nochmal genauer an.

Könnte es der Kerl sein, den er mit Louis zusammen gesehen hatte? Damals im Hinterhof?

„Leider kann man ihm nichts dergleichen direkt nachweisen. Aber vielleicht gelingt es uns, seine Alibis für die Morde zu überprüfen", schlug Gibbs vor und Harry nickte. Hoffentlich hatte der Mann keines für die Tatnächte vorzuweisen - er würde ihn nur zu gerne drankriegen.

Mr Gibbs schloss die Klappe, die das kleine Sichtfenster in die Zelle verdeckte und sie verließen den Gefängnistrakt, um sich beim Polizeizeichner ein Bild Tumbletys erstellen zu lassen. Mit diesem würden sie nochmal alle Zeugen der Morde, oder zumindest Menschen, die die Opfer kurz vorher noch gesehen hatten, befragen. Vielleicht erkannten sie den Mann auf dem Bild ja wieder.

Dann hätte man den Ripper gefasst.

„Er hat ihn ziemlich gut getroffen, meinen Sie nicht, Sir?", fragte Gibbs und sah die Zeichnung mit schiefgelegtem Kopf an. „Ja, man erkennt auf jeden Fall, wer es sein soll", sagte Harry und steckte das Bild ein. Sie hatten sich eine Liste mit den Zeugen gemacht, die die Opfer zuletzt gesehen hatten. Darauf standen die Namen, sowie die Arbeitsorte oder Adressen der Zeugen und nun galt es, diese Menschen im Gewusel von Whitechapel wieder zu finden.

Murder in the streetsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt