8.September 1888 - Nachmittag

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Louis:

Dass der Polizist ihn bei sich hatte schlafen lassen, wollte einfach nicht in Louis' Kopf. Auch, wenn er immer wieder versuchte, es sich selbst zu erklären.

Polizisten waren Arschlöcher, die ihre Posten ausnutzten, um andere Leute zu unterdrücken. Das wusste jeder hier in Whitechapel und daher mochte niemand die Ordnungshüter, die sich wichtig machten. Und genau aus diesem Grund beschloss Louis, der guten Tat des Polizisten nicht allzu viel Gewicht zu geben.

Louis hatte Zayn am Nachmittag im Pub von seiner Begegnung mit dem Sergeant Styles erzählt und der hatte nur die Schultern gezuckt: „Vielleicht steht er ja auf dich und versucht sich an dich heran zu machen", sagte er und legte den Kopf schief, als würde er nochmal genauer über seine Worte nachdenken. „Wobei, was würde er von dir wollen? Geld hast du keines, das kann es schon mal nicht sein." Dafür bekam er von Louis einen Klaps auf die Schulter und er wollte gerade protestieren, als ein Mann auf einen Stuhl stieg und in die Hände klatschte, um sich Gehör zu verschaffen.

Das ganze Pub verstummte und alle Anwesenden blickten zu ihm hoch. „Ladies und Gentlemen!", rief der Mann laut und einige hoben ihre Gläser, um ihm zuzuprosten. Zayn pfiff laut und lachte. „Es gab heute Nacht wieder einen Mord. Die Tote ist Annie Chapman und wurde in der 29 Hanbury Street umgebracht. Der Mörder wurde natürlich nicht gefasst und die Polizei hat zu wenig Leute. Sie werden den Täter niemals fangen. Wir, die Bewohner von Whitechapel, wollen unser Leben nicht in Hände von überforderten Polizisten legen. Ich habe eine Bürgerwehr gegründet und wir brauchen dringend Leute, die uns dabei unterstützen, nachts Streife zu laufen. Der Mörder darf nicht mehr lange frei herumlaufen. Er bringt uns alle in Gefahr!"

„Recht hat er!", schrie ein Mann an der Bar.

„Jawohl!", riefen einige Gäste und waren aufgestanden. Louis blieb sitzen, doch ihn erschreckte die Nachricht über einen weiteren Mord genauso sehr, wie die anderen.

Jemand ging hier um und stach die Menschen ab.

Und er hatte letzte Nacht auf der Straße geschlafen. In welcher Gefahr er sich da befunden hatte, wurde ihm erst jetzt klar und er griff rasch nach seinem Gin, um einen Schluck auf den Schrecken zu trinken.

„Was ist los, du bist so blass", fragte Zayn und sah Louis an. „Nichts, ich bin nur erschrocken, dass schon wieder eine Frau getötet wurde", murmelte Louis und nahm noch einen Schluck. Der bittere Gin brannte in der Kehle und er spürte die Hitze des billigen Alkohols, die seine Brust hinunter rann.

„Wer mit helfen möchte, die Bürgerwehr zu unterstützen, meldet sich bei mir. Ich bin George Lusk!" Der Mann stieg von dem Stuhl und alle im Pub applaudierten. Augenblicklich gab es ein großes Stühlerücken und einige Männer schoben sich zu Lusk hindurch, um sich zu melden.

„Ich könnte mich auch melden, aber wenn ich mir die Nacht um die Ohren schlage, wird das meinem normalen Job nicht wirklich gut tun", überlegte Zayn und sah zu der kleinen Gruppe hinüber, die sich um den Tisch des Mannes gebildet hatte. „Was ist mit dir? Sicherlich bekommen die ein bisschen Geld dafür, dass sie nachts Streife gehen. Stell dich doch mal vor, vielleicht nehmen sie dich ja."

Louis folgte Zayns Blick und dachte nach. Versuchen könnte er es. Und er hatte genug Alkohol getrunken, um nun mutig zu sein, also stand er auf und ging ebenfalls zu Mr Lusk hinüber.

„Was willst du, Bursche?", fragte Lusk, als Louis an der Reihe war und sah ihn an. „Ich...ich wollte fragen, ob Sie mich für die Bürgerwehr gebrauchen können", sagte Louis und wurde mit jedem Moment unsicherer. Der Mann vor ihm strahlte eine gefährliche Präsenz aus und ihm war nicht mehr ganz so wohl dabei, sich hier zu bewerben. „Schreib deinen Namen hier auf", sagte der Mann und gerade als Louis den Stift entgegen nehmen wollte, flog die Tür auf und ein Junge stürzte herein: „Sie haben einen Tatverdächtigen!", rief er aufgeregt und alle wandten sich dem Kind zu. Sofort war Lusk auf den Beinen und stand neben dem Jungen: „Wen? Wen haben sie?"

Murder in the streetsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt