Prolog

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Mit baumelnden Beinen saß ich auf dem höchsten Dach, welches diese Stadt zu bieten hatte. Ich konnte von hier oben alles sehen, vom großen Statdpark bis hin zum Hafen. Die kühle Abendluft füllte meine Lungen und wirbelte mein helles Haar auf. Ich hatte das Gefühl ich würde auf einem Thron sitzen und über diesen kleinen Teil der Welt herrschen. Jeder dieser kleinen Menschen zu meinen Füßen war mein Diener, und hatte die Aufgabe mich zu amüsieren. Sie machten ihre Sache hin und wieder gut. Ich fühlte mich unter ihnen fast schon wohler, als in meinen eignen Reihen.

Menschen waren in vielen Hinsichten um einiges belustigender als wir. So einfältig und leicht zufrieden zu stimmen. Sie sahen nicht das was ich sah, und fühlten nicht das was ich fühlte. Nein. Sie waren wahrlich keine Engel. Doch wäre jeder wie wir, wäre die Welt wohl ein langweiliger Ort und unsere Existenz grundlos.

Und mit diesem Gedanken, drückte ich mich von der Kante ab.

Ich fiel in die Tiefe, breitete meine Arme aus. Der Wind rauschte über meine Haut, blies mir so kräftig in die Lungen, dass ich kaum noch zu Atem kam. In meinem ganzen Körper kribbelte es voller Adrenalin und mein Herz wummerte kräftig gegen meinen Brustkorb.  Meine Blicke hatten sich auf den Asphalt verankert, welcher mit rasender Geschwindigkeit näher kam. Im letzten Moment, in dem ich mich noch im freien Fall befand, fingen mich zwei riesige Schwingen ab, welche aus meinem freien Rücken ragten und mit strahlend weißen Federn besetzt waren. Wobei selbst die Beschreibung "strahlend weiß" schon ein wenig untertrieben waren. Es war das weißeste Weiß, das man sich vorstellen könnte. Heller als frisch gefallener Schnee oder Wolken an einem Sommertag.
Durch sie brach ich mir nicht sämtliche Knochen bei meiner Landung auf dem Beton des Bürgersteiges, sondern konnte eine elegante Landung vollziehen. Mit den Händen in den Hosentaschen meiner weißen, kurzen Shorts setzte ich den ersten Fuß auf den Boden und verlagerte mein Gewicht erneut auf meine Beine. Würden die Menschen mich sehen können, gäbe es bestimmt Applause und bewundernswerte Blicke. 

Ich stand in mitten des Menschenfluss, welcher um diese Uhrzeit besonders extrem war. Die meisten kamen von der Arbeit und wollten auf dem schnellsten Weg nach Hause. Zu ihren Partnern, Kindern, Haustieren oder einfach nur um endlich ein wenig Ruhe zu bekommen. Sie waren so sehr auf sich selbst fokussiert, dass sie gar nicht bemerkten wie ein Engel ihren Weg kreuzte, und sich still und heimlich über dieses kurzlebige Leben lustig macht. Ihr Blick war beschränkt und ihr Geist ebenso. 

Etwas streifte mein Bein, etwas kleines, weiches und vor allem warmes. Ich ließ meinen Blick auf den vorbeiziehenden Kinderwagen fallen, aus dem die winzige Hand ragte. Der kleine Fleischklops verrenkte sich in dem fahrenden Wagen nach mir, war wohl fasziniert von meinem Antlitz. Kleinkinder und Tiere waren die einzigen die solche wie mich erkennen konnten. Ihr Blick war noch so unschuldig und frei, dass ihr Geist ebenso anfällig für Übernatürliches war. Außerdem schienen Kleinkinder zu wissen, tief in ihren Instinkten, wie viel Macht wir über sie hatten.

Ich zog meine Flügel wieder in meinen Rücken zurück, da die Navigation durch die Menschenmassen deutlich einfacher ging, wenn man nicht aufpassen musste sie keinem vor den Kopf zu hauen. Leichten Schrittes holte ich die gehetzte Mutter samt Fleischklops ein, warf einen neugierigen Blick auf das hübsche Kind im Inneren, und dann einmal zur Mutter. Die hellen Augen werden wohl vom Vater kommen, doch sie schien ihr braunes Haar geerbt zu haben und die natürliche Schönheit. Ich lief neben dem Kinderwagen her, ließ das kleine Mädchen ihre kleine Hand um zwei meiner Finger greifen. Direkt strömte die Wärme dieses kleinen Klumpen Niedlichkeit in mich über. „Ich glaube ich habe deinen perfekten Traumjungen", fing ich einfach mal an mit ihr zu reden, ohne eine Antwort zu erwarten.
Ich hatte ihr Leben vor Augen, das vergangene so wie ihr Kommendes. Es war nichts genaues, nur Ausschnitte und Gefühle welche sie empfinden, und ein paar Entscheidungen welche sie treffen wird. Sie würde zu einer wunderschönen Dame werden, die viele Herzen brechen wird und der ebenfalls das Herz gebrochen wird. Zu ihrem Glück kannte ich da jemanden, der zu ihr passte und für sie da sein wird. 

Also machen wir das Ding mal fest!

Mit einem Fersentritt auf den Boden blieb die Zeit stehen. Die sonst so gehetzte Stadt gefror und Stille kehrte ein. Keine lauten Autos, keine gestressten Telefone, keine hitzigen Gespräche... einfach nur die Stille. Stille und tausende von rot leuchtenden Fäden die überall verteilt waren und sich durch die nun Graue Welt zogen. Denn mit dem Eintreffen des Stillstandes, verblassten auch jegliche Farben um mich herum - bis auf die der Fäden. Sie begruben den Boden, spannten sich über die Straßen und durch Hochhäuser. Von vielen sah man weder das Ende, noch den Anfang, doch warf man einen Blick auf die - in der Zeit fest gefrorenen - Menschen, so könnte man erahnen was sie verbanden. An jedem kleinen Finger befand sich ein Ende eines roten Faden. Wohin sie führten war allerdings schwer zu erkennen für das bloße Auge.  Manchmal erstreckten sie sich über die halbe Welt.
 Aber du brauchst dir keine Sorge machen, kleiner Mensch. Dein Junge lebt hier ganz in der Nähe und wird auch nicht fort gehen. Ich kniete mich zu der kleinen Julia runter, deren eigentlich blaue Augen mich voller Freude anstrahlten, auch wenn sie ebenfalls eingefroren war. Ich nahm ihren kleinen Finger und nahm ein dünnen Faden aus meiner Gürteltasche. Mit größter Vorsicht band ich ihr ein Ende um den Finger. Ich hielt eine Hand über den mit roten Fäden bedeckten Boden. "Dean, wo bist du denn?", murmelte ich fragend und grinste dann zufrieden, als sich ein roter Faden vom Rest abhob, sich sacht gegen meine Hand drückte. Ein Ende, was auf eine Verbindung wartet. Ich nahm es vorsichtig zwischen meine Finger und führte es mit dem Ende von der süßen Julia zusammen. Anstandslos verschmolzen sie zu einem.

Damit wäre mein Werk getan. Ich richtete mich wiederauf, strich dem kleinen Mops durch die kurzen braunen Haare und mit einem weiteren Fersentritt, verschwanden die Fäden, die Farbe kehrte zurück und die Zeit ging weiter. Lächelnd wank ich Julia hinterher, die sich noch lange im Kinderwagen nach mir umdrehte. Keine Sorge meine Süße, du wirst glücklich mit ihm werden.

Ich setzte meinen Weg fort. Es warten noch andere Kinder auf ihre Verbindung. Lassen wir sie nicht allzu lange warten!

Rot ist die Farbe des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt