Kapitel 9

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Als die Lehrerin den Raum betrat, mit diesem Mädel im Schlepptau, sah sie mich kurz verwundert an, ehe sie gedanklich bereits mit dem Thema abschloss. Sie begrüßte die Klasse, machte den Vermerk im Klassenbuch und widmete sich dann dem Unterricht. 

Ich habe 45 Minuten Zeit um einen beschissenen Faden um seinen Finger zu wickeln. Wenn ich es jetzt nicht schaffe muss ich mich unnötigerweise länger mit den Beiden herum schlagen, und das konnte ich meiner eh schon gestressten Haut nicht antun. 

Sollte ich wegen den Beiden nur einen Pickel bekommen, dann ist aber Holland in Not! Dann werde ich wirklich zur Furie. "Ich hätte nicht gedacht, dass du deine Sexualität so offen auslebst... Eigentlich hätte ich nicht einmal gedacht, dass ihr Engel sowas wie eine Bevorzugung überhaupt habt." gestand Damon mir leise während er die Aufgaben aus dem Buch fast wie auf Auto-Pilot löste. Er holte mich damit aus meinen Gedanken zurück und ließ meine hellen Augen auf sein Profil wandern. Sein Blick huschte derweil immer wieder zu mir, worauf mir eine geniale Idee kam. Was kann ich den besser als Leute um meinen Finger zu wickeln? Ob es bei ihm überhaupt auch geht? Bisher scheint er ja nicht abgeneigt und sogar an mir interessiert.. Aber wir spielten für unterschiedliche Teams und er hatte noch dazu Megan. "Hallo? Erde an Louis.." pfiff er leise und wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. Naja, ein versuch ist es wert! 

Ich lächelte ihn süßlich an und stütze verträumt meinen Kopf auf eine Hand ab. Ich ließ mit Absicht eine Strähne in mein Gesicht fallen und blinzelte bezaubernd. "Mir ist gerade nur aufgefallen, dass du eigentlich ziemlich heiß bist." schnurrte ich mit halb gesenkten Augenlidern. Er schien kurz nicht zu wissen, wie er reagieren soll, ehe sich seine Hand wieder nach mir ausstreckte. Dieses eine mal werde ich ihm wohl gestatten müssen meine Haare an zu fassen. Entgegen meinen Erwartungen klatscht er jedoch seine Handfläche gegen meine Stirn. 

Wait what? 

Ich blinzelte ihn verwirrt, fast schon schockiert an. "Dein Fieber ist noch immer da." stellte er nachdenklich fest und nahm seine Hand zurück. Sein fucking ernst? Ich verdrehte genervt über seine falsche Auffassungsgabe die Augen und stöhnte leise. Gerade als sich die Lehrerin uns zu wenden wollte, blieb die Zeit um uns herum stehen. Damon blinzelte mich fragend an und beobachtete mich dabei wie ich aufstand. "Gib mir deine Hand." forderte ich ernst und streckte ihm meine Entgegen. Gerade als er Luft holte um unnötigerweise Fragen zu stellen schüttelte ich meinen Kopf. "Frag nicht, sondern mach es einfach." seufze ich kurz davor meine Nerven zu verlieren. 

Seine Hand streckte sich vorsichtig aus, näherte sich nur bedächtig meiner. Bei jeder kleinsten Zuckung könnte er sie noch zurückziehen, und darauf achtete er auch. Seine dunklen Augen waren aufmerksam, wachsam und behielten jede Zelle meines Körpers im Blick. Irgendwie waren seine Blicke etwas unangenehm, vor allem weil zum ersten mal jemand 'fremdes' meine Engelsgestalt - die ich natürlich annehmen musste - zum ersten mal vom so nahen sah. 

Endlich spürte ich die Wärme seiner Hand in meiner. Ich schloss behutsam meine Finger um seine Hand und lächelte engelsgleich. Seine  Naivität wird ihn jetzt zum Verhängnis. Ich zog seine Hand grob zu mir, worauf er sich strecken musste. Fast gleichzeitig landete meine Handkante in seiner Halsbeuge. Er fiel in sich zusammen und landete fast auf dem Boden, hätte ich ihn nicht aufgefangen und auf den Tisch gewuchtet. 

Wenn er das Zuckerbrot nicht will, dann eben die Peitsche. Ende. 

Ich zog einen Faden aus meiner Gürteltasche und band dieses geschickt um den Finger von Damon. Nachdenklich musterte ich das Ende des Fadens und überlegte bereits wo ich es verstecken könnte. Meiner Planung wurde jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht, da - ehe ich mich versah - das Ende sich mit einem anderen verband. Ich musste nicht einmal nachsehen um zu wissen, welches Ende gerade mit dem vom Damon verschmolz. 

FUCK! 



Damon

Durch einen kräftigen Schlag auf den Tisch wurde ich wieder wach. Noch nicht ganz bei der Sache sah ich mich um und erblickte das wütende Gesicht von Fr. Spear. "Ich weiß, für Sie ist der Unterrichtsstoff einfach, aber das befugt Sie nicht, einfach in meinem Unterricht zu schlafen!" herrschte sie mich vor der gesamten Klasse an. Ein paar Kicher gingen durch die Reihen, welche ich mit einem scharfen Blick jedoch sofort unterband. 

Diese kleine Mistbiene. "Entschuldigung, das wird nicht wieder vorkommen. Die Müdigkeit hat mich einfach übernommen, ich habe letzte Nacht wohl zu viel gelernt." entschuldigte ich mich für meine Tat - bei der ich ganz sicherlich nicht beteiligt war, jedenfalls nicht Aktiv. "Ich hoffe es." und damit wendete sie sich wieder der Tafel zu. 

Mein Blick schoss gleich vernichtend zu dem Engel, der ganz vertieft in seinen Aufgaben schien und sogar etwas panisch aussah. Meine Wut dämpfte sein Anblick aber nur gering. "Was sollte das?" zischte ich leise und erhaschte kurz seinen Blick auf mir. "Ich wollte dir nur zeigen, dass ich trotzdem noch stark bin, obwohl ich zurzeit unter ein paar Symptomen leide." murmelte er nur leise und kritzelte in Rekord Zeit in seinem Block herum. 

Kam es mir nur so vor, oder ist er irgendwie ruhig und zurückhaltend? "Ich hätte jetzt mit einem schnippischen Kommentar gerechnet." gab ich ehrlich und vor allem leise zu. Wir wollen den Drachen nicht noch weiter reizen, sonst versprüht er wieder sein Feuer und schickt mich zum Rektor. "Lass das rechnen sein, darin bist du anscheinend nicht gut." kam es nur wieder frech zurück. Ein Zucken durchfuhr meine Lippen und irgendwie fand ich es amüsant - wie eigentlich immer. Seine Persönlichkeit ist erfrischend. 

Er ist - obwohl er so aussieht - keineswegs zerbrechlich und weiß sich sehr wohl mit Worten und Taten zu wehren. Er ist nicht dumm und feige schon gar nicht. Das einzige was mich an ihm störte war seine Umgangsweise mit mir und seine Sicht auf die Dinge. Er ist wie alle Engel verblendet und erkennt nicht den wahren Grund unseres Bestehens. Nur weil wir schwarz tragen sind wir noch lange nicht 'die Bösen' oder 'das Schlechte'. 

Ich muss ihn aufklären. Vielleicht können wir ja mit ihm frieden stiften und durch ihn auch die anderen überzeugen. Wir müssten uns nicht mehr bekämpfen.

Leider sehe ich da zwei Probleme. Eines heißt Megan und das andere Louis. Megan wird garantiert nicht einverstanden sein, dass wir uns mit dem 'Feind' verbünden, das wollte sie noch nie. Zum anderen wird Louis mir nicht sofort glauben, und mich als Lügner darstellen. 

Es war also wirklich nicht so leicht wie ich es mir wünschte. Vielleicht wird sich aber noch eine Gelegenheit ergeben. 

"Grins mich nicht so dumm an." murrte der weißhaarige und seine klaren blauen Augen gruben sich tief in meine. Ich habe tatsächlich noch nie einen Engel gesehen, der so helle und vor allem klare Augen hatte wie er. Man konnte jede Struktur in ihnen sehen und deutlich erkennen wie sie zur Pupille hin immer dunkler wurden. Sie bildeten einen perfekten Einklang zu seinem weißen lockeren Haar und den zierlichen schmalen Gesichtszügen. Hohe Wangenknochen und ein spitzes Kinn. Selbst für einen Mann war er unwahrscheinlich anziehend. 

"Was wird das?" zischte er und erst zu spät erkannte ich, wie sich meine Hand wieder auf Wanderschaft gemacht hat. Seine langen Finger schlossen sich fest um mein Handgelenk und hielten mich auf meinen Weg - wohin auch immer dieser führen sollte - auf. Ein elektrischer Schlag durchfuhr meinen Körper und stellte ihn unter Strom. Louis schien das gleiche zu fühlen, denn seine Augen weiteten sich für ein paar Sekunden. Der Moment hielt jedoch nicht lange, denn der Engel ließ mich los und stand ohne etwas zu sagen auf. Er verschwand aus der Klasse, murmelte noch ein schnelles "Muss aufs Klo" und kam auch bis zum Unterrichtsende nicht wieder. 

Was war das denn gerade? Ich kann mich nicht davon abhalten immer wieder auf meine Hand zu sehen und mir diese Frage zu stellen. Dieses neue Gefühl, welches wie ein Blitz bei mir einschlug, und unbeschreiblich war, war mit Louis verschwunden. Es fühlte sich jedoch interessant an, so interessant, dass ich mehr davon spüren wollte um es zu analysieren und zu entdecken.  

Vielleicht wusste der Engel ja mehr darüber, denn ohne Grund wäre er nicht so schnell verschwunden. 

Rot ist die Farbe des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt