*desire (years&years & tove lo)*
Ein lauter Pfiff ertönt und ich laufe erleichtert zur Mitte der Halle, wo Herr Rau auf uns wartet. Endlich sind wir fertig mit dem Aufwärmungslauf, noch eine Runde mehr hätte ich nicht durchgehalten. Hoffentlich können wir jetzt endlich anfangen, mit dem richtigen Volleyballtraining, auf das ich mich schon ziemlich gefreut habe.
Endlich mal wieder raus und den Kopf frei bekommen. Der ist nämlich total belastet damit, eine Idee zu entwickeln, wie Chris das Problem mit seinen Eltern lösen könnte. Er hat tatsächlich ernst gemacht und schläft jetzt erstmal vorübergehend bei mir zu Hause.
Chris musste nicht mal seine Sachen von sich zu Hause abholen, denn er hat schon so oft bei mir übernachtet, dass er sogar eine eigene Schublade in meiner Komode hat, voll mit Klamotten. Die Matratze war auch schnell neben meinem Bett auf dem Boden beziehfertig gemacht und schon war seine Unterbringung gesichert.
Vorübergehend.
So ein Mitbewohner zu haben ist auf der einen Seite toll, aber auf der anderen auch wieder irgendwo anstrengend. Besonders wenn man zum Beispiel früher aufstehen muss, weil jetzt noch eine Person mehr das Bad blockiert.
Ich will mich aber nicht beschweren. Wer Hilfe braucht, bekommt sie auch.
Außerdem war Chris ein nervliches Wrack, nach dem Kuss mit Vincent und dem folgenden Gespräch zwischen ihm, Elias und mir. Ich weiß zwar jetzt viel besser, was in Chris vorgeht, ihn scheint die Situation mit seinen Eltern ziemlich mitzunehmen. Dazu kommt jetzt noch, dass er sich dafür schämt, Vincent mit diesem Kuss so überfallen zu haben. Auch wenn ich meinem besten Freund schon zehn mal versichert habe, dass Vincent den Kuss total locker hinnimmt, denkt er immer noch, er hat mit dieser Aktion die Beziehung zu Vincent ein für alle mal ruiniert.
Das glaube ich aber kaum. Er macht da drum viel zu viel Drama.
„Spielt euch bitte zu zweit ein", meint unser Trainer und ich begebe mich in Richtung der Mädchen, um eine Partnerin zu finden. Gerade will ich Greta und Julia fragen, ob wir uns einfach zu dritt einspielen, da berührt mich eine warme Hand an meinem Arm. „Wollen wir?"
Ich bleibe stehen und drehe mich verwundert um, nur um mich zu vergewissern, dass mir meine Ohren keinen Streich gespielt haben. Elias steht vor mir und betrachtet mich halb gelangweilt, halb interessiert. Er war es also tatsächlich, der mir diese Frage gestellt hat. „Ähm, in Ordnung", meine ich leicht verunsichert und ziehe den Haargummi um meinen Zopf etwas fester. „Holst du einen Ball? Nimm einen von den grünen, das sind die besseren."
Elias nickt langsam und steuert dann auf den Ballkorb zu, während ich wie eine bekloppte auf der Stelle stehen bleibe und nicht weiß, was ich mit mir anfangen soll. Wieso hat Elias ausgerechnet mich ausgewählt, wenn sicher jeder der Jungs aus seinem Team liebend gerne mit ihm trainieren würde?
Elias wirft mir einen Ball zu und ich fange ihn leicht erschrocken, bevor er in mich hineinkrachen kann. Volleyball ist kein Sport, bei dem man die Konzentration verlieren sollte. Das kann schnell mal mit einem Bluterguss, einer kaputten Brille oder einer Gehirnerschütterung enden. Zumindest wenn man mit Jungs spielt, die so gar keine Rücksicht nehmen.
Ich werfe Elias den Ball wieder zurück und bemerke im gleichen Moment, dass mein Körper nach dem Laufen jetzt schon wieder kalt ist, es deshalb in meinem Arm schmerzhaft zieht, als ich die Wurfbewegung durchführe und dass Elias keinen grünen Ball ausgesucht hat, sondern einen roten.
„Der ist aber nicht grün", rufe ich neunmalklug über das Spielfeld zu Elias und lasse meine Arme ein wenig kreisen, um sie wieder aufzuwärmen. Elias starrt eine Sekunde auf den Ball, der inzwischen wieder bei ihm gelandet ist, dann schaut er sich um, als würde er überprüfen, ob das jemand mitbekommen hat, bevor er nur schlicht mit den Schultern zuckt. „Der hier ist besser."
Seltsam, aber wahrscheinlich hat er recht und der Ball ist auch ganz in Ordnung.
Wir beginnen also, uns den Ball auf verschiedenste Weise zuzuwerfen. Ich bin so konzentriert, dass ich gar nicht merke, dass wir uns die ganze Zeit anschweigen.
Wieder rettet mich der Pfiff vom Sportlehrer, bevor mir das Schweigen unangenehm werden konnte. Alle hören auf, sich einzuspielen und halten den Ball fest, damit so viel Ruhe ist, dass jeder Herrn Rau gut verstehen kann. „Wir üben heute Pancakes. Immer fünf, dann tauscht ihr", brüllt er durch die Halle und einige stöhnen genervt auf. Besonders die Mädchen, stelle ich mit einem Blick in die Runde fest.
Ich habe diese Übung auch lange Zeit gehasst, aber hat man einmal im Training den Bewegungsablauf verinnerlicht, fällt es viel leichter, es auch tatsächlich im Spiel anzuwenden.
Ich schaue also rüber zu Elias und begebe mich dann auf den Weg zu ihm. Er prellt den Ball zweimal auf die Erde und schaut mich prüfend an. „Willst du beginnen?"
Nickend gehe ich ein paar Schritte von ihm weg. Im Grunde besteht die Übung darin, den Ball in der letzten Sekunde vor dem Boden abzufangen. Dafür muss man sich mit ausgestrecktem Arm und viel Schwung auf den Boden fallen lassen und lässt den Ball einfach auf der Hand abfedern. Man liegt also am Ende der Übung flach auf dem Bauch, was ihr sicher auch ihren Namen gegeben hat. Ich mache mich also schon mal seelisch bereit, den Boden zu wischen, wie ein Pinguin der über Eis rutscht, während Elias den Ball einige Zentimeter von sich weg fallen lässt.
Ich schmeiße mich hin und rutsche auf dem Boden lang. Leider verfehlt mein Arm den Ball und ich erhebe mich frustriert. „Es würde dir helfen, die Augen offen zu lassen. Dann triffst du auch bestimmt den Ball."
Elias legt den Kopf schief und mustert mich mit leicht zusammengekniffenen Augen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich wohl meine Augen geschlossen habe. Ich nicke ihm, dankbar für diesen hilfreichen Tipp zu und mache mich wieder bereit.
Dieses Mal rutsche ich auf dem Boden lang und zwinge mich, meine Augen offen zu lassen. Obwohl dies gar nicht so einfach ist, klappt es tatsächlich und der Ball trifft auf meinen ausgestreckten Handrücken, wodurch er vor dem Erdboden gerettet ist und weitergespielt werden könnte. „Sehr gut", lobt mich Elias lächelnd und ich kann nicht anders, als ihm auch zuzulächeln. Dieses Lächeln steht ihm einfach zu gut.
Ich wiederhole die Übung noch einige Male, dann tauschen wir. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dir so schnell zu Füßen liege", zwinkert er mir zu und begibt sich auf Position. Ich schmunzele kurz über seinen kleinen Witz und versuche, nicht schon wieder zu viel darüber nachzudenken. Ich sollte mich wirklich bemühen nicht alles gesagte zu analysieren.
Nach einigen Sekunden werfe auch ich den Ball in die Höhe, Elias wirft sich im selben Moment auf den Boden und schlittert darauf lang. Erinnert mich ein bisschen an die Haltung von Superman.
Die Millisekunde, in der ich das gedacht habe, war wohl zu viel Ablenkung, denn Elias kracht mit vollem Schwung in meine Beine, bevor ich aus dem Weg treten kann und zieht mir wortwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Mit einem dumpfen Aufprall lande ich halb auf Elias, halb auf dem Boden.
Nach einer Schrecksekunde rappele ich mich stöhnend ein Stück auf. „Verdammt, ich hab' nicht aufgepasst. Entschuldige!"
„Meine Schuld", meint Elias dazu nur und reicht mir seine Hand, um mich auf die Beine zu ziehen, nachdem er selbst aufgestanden ist. Ich schaue ihm schüchtern in seine schönen blauen Augen.
„Seid ihr in Ordnung?", unterbricht Herr Rau unseren Augenkontakt und fasst uns beide leicht an der Schulter an, als wolle er überprüfen, ob wirklich noch alles dran ist. „Bin weich gelandet", sage ich dazu nur schulterzuckend und Elias versucht sich ein Lachen zu verkneifen.
Volleyball mit Elias ist doch nicht so schlimm, wie ich anfangs gedacht habe.
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Just OrDINAry
Teen FictionOrdinary, gewöhnlich, durchschnittlich, normal, unauffällig. Alles Worte, die mich perfekt beschreiben. Kein Wunder, dass im Ersten sogar mein Name steckt. Irgendwie scheine ich dann aber doch nicht mehr so gewöhnlich zu sein, als ich nach der Jahrg...