*lie to me (mikolas josef)*
Chris und ich stehen in der Schlange in unserem Schulessenraum. Eigentlich habe ich keine Lust auf diese Pampe, die die Lehrer doch tatsächlich ‚Essen' nennen, besonders, da ich ja die letzen Wochen, in den Ferien, nur ordentliches Essen bekommen habe. Uns Schülern bleibt aber leider kaum etwas anderes übrig, denn wer Nachmittags Unterricht hat, kommt an kein anderes Essen heran, da wir das Schulgelände in den Pausen normalerweise nicht verlassen dürfen.
Ich fühle mich auch nicht so gut, dass ich den Brei einfach so wegessen könnte. Dazu bin ich seit den letzten Stunden nervlich viel zu sehr belastet. Ich weiß nämlich nicht, was ich zu Elias sagen soll. Mir ist die ganze Sache mit der Jahrgangsfeier eben rückblickend betrachtet extrem peinlich. Was ist da nur in mich gefahren?
„Siehst du sie irgendwo?", raunt Chris mir ins Ohr und ich fühle mich wie ein Agent im Einsatz.
Tatsächlich habe ich die beiden schon beim Reinkommen gesichtet. Ich nicke also möglichst unauffällig in ihre Richtung, was bei mir allerdings nicht ganz so unauffällig aussieht, wie ich dachte, denn ein Mädchen, welches zwei Tische vor den Jungs sitzt, runzelt ihre Stirn und schaut sich suchend um. Sicher hat sie gedacht, ich nicke ihr zu.
Schnell drehe ich mich weg, um nicht noch als Stalker rüberzukommen und lasse mir stattdessen eine Kelle Brei auf meinen Teller klatschen. Lecker.
Ich stelle mich mit meinem Teller an die Seite, um den anderen Schülern platz zu machen und warte auf Chris, der sich seine Portion ‚irgend etwas' erst noch abholt.
Als er bei mir ankommt raune ich ihm zu: „Und du bist dir sicher, dass Vincent auch schwul ist?"
Er nickt mir bestätigend zu. Dann hoffen wir mal, dass sein Schwulenradar nicht kaputt ist.
Wir setzen uns in Bewegung, doch ich werde mit jedem Schritt nervöser. Kurz vor dem Tisch, an dem die beiden sitzen, drehe ich ab und will mich verkrümeln, aber Chris greift nach meinem Ärmel und zieht mich unaufhaltsam und ohne Rücksicht mit sich.
Ich stoße mir bei der Aktion sogar schmerzhaft das Knie an dem Tisch, an dem wir vorbei laufen, aber Chris interessiert das so gar nicht.
Vincent und Elias sitzen sich gegenüber an einem kleinen, viereckigen Tisch, an dem auch nur zwei Stühle sind. Genauer gesagt sitzt Vincent aufrecht, während Elias mit dem Kopf auf dem Tisch liegt. Sieht aus, als würde er schlafen.
Wir stellen unsere Teller eiskalt auf dem Tisch ab, drehen die Stühle vom Nachbartisch herum und setzen uns zu den beiden. Hätten wir das vorher nicht so abgesprochen, wäre ich sicherlich vor Nervosität im Boden versunken und hätte diese Aktion nicht so ausführen können.
Vincent mustert uns mit zusammengekniffenen Augen und ich bekomme schon schiss vor der Reaktion, die sicher gleich kommt.
„Ihr wart auf unserem Jahrgangstreffen", eröffnet er das Gespräch nach einigen Sekunden und seine Augen bleiben ein wenig länger an mir hängen, als an Chris. Vielleicht ist er doch nicht schwul?
„Ihr hättet wenigstens noch zum Aufräumen bleiben können", zwinkert er uns zu und gleich finde ich ihn total sympathisch. Andere Leute wären vielleicht sauer geworden, wenn irgendjemand auf einer Feier erscheint, der dort eigentlich nichts zu suchen hat, aber er scheint es ganz entspannt hinzunehmen.
Elias hat währenddessen seinen Kopf immer noch mit dem Gesicht auf seinen verschränkten Armen und die schwarze Kapuze seines Pullovers so tief nach unten gezogen, wie nur möglich. Ich erahne eigentlich nur, dass es Elias ist, weil er und Vincent immer zusammen abhängen. Sonst hätte es auch jeder beliebige sein können, denn sein Gesicht ist verborgen.
„Ich bin Chris und das ist Dina", stellt uns mein bester Freund vor und ich nicke Vincent begrüßend zu. Er sieht davon ab, sich uns noch mal vorzustellen. Sicher nimmt er an, dass wir wissen, wer die beiden sind. Stattdessen liegt sein Blick immer noch auf mir und gibt mir so den Anlass, ihn genauer zu betrachten.
Seine hellen, braunen Haare sind an den Seiten kürzer geschnitten und nach oben hin länger. Die Längeren fallen geordnet, als hätte er jede Strähne an ihren Platz gerückt, nach links hinten. In seinem rechten Ohrläppchen steckt ein kleiner und einfacher silberner Ohrring. Er hat wirklich dunkle Augen, die mich genau so interessiert mustern, wie ich ihn.
Es wäre schade für die Frauenwelt, sollte er tatsächlich schwul sein, denn er sieht wirklich gut aus. Kein Wunder, dass Chris ihn anhimmelt.
Ich räuspere mich und ein kleines Lächeln zieht sich über sein Gesicht. „Du warst ganz schön voll", sagt er belustigt und nickt dann vor sich, in Richtung des immer noch schlafenden Elias. „Ich glaube ihr habt noch einiges zu klären."
Wie recht er damit hat.
Was mich allerdings ein wenig daran hindert, mit Elias drauf los zu plaudern ist, dass ich mich nicht traue, ihn einfach so zu wecken.
Weil mir nichts besseres einfällt, fange ich also an, meinen Essensbrei in mich reinzuschaufeln.
Vincent hat sich derweil Chris zugewendet. „Wir sind Partner", fängt Chris an zu reden und ich verschlucke mich fast an meinem Essen. Ich sehe Vincent zwar nicht frontal, kann aber förmlich spüren, wie er eine Augenbraue hochzieht. „Das wüsste ich aber."
Chris überlegt kurz und scheint dann endlich seinen Fehler zu bemerken. Peinlich berührt zupft er an seinem Oberteil herum. „So meine ich das nicht. Wir sollen dieses ‚Zwölftklässler helfen Elftklässern'- Projekz zusammen machen."
Jetzt scheint auch Vincent zu verstehen, was Chris von ihm will. Mein bester Freund setzt an, um weiter zu reden, doch Vincent unterbricht ihn: „Eine Frage habe ich, bevor du weiter redest noch: wieso wart ihr eigentlich bei unserer Jahrgangsfeier?"
„Das ist eine wirklich gute Frage", sage ich gedehnt, während Vincent neugierig zwischen uns beiden hin und her schaut. „Chris kann sie dir beantworten."
Als könnte ich kein Wässerchen trüben, schaue ich zu besagtem. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie ich seine Frage beantworten soll, ohne Chris' Plan preiszugeben.
Allerdings scheint es Chris ähnlich zu gehen, denn er schaut hilflos zu mir zurück, während Vincents Blick gnadenlos auf ihm liegt. „Ähm", versucht er sich gequält herauszureden. „Dina wollte dich kennenlernen."
Mit einem Klatsch landet mein Löffel in dem Brei. Hat er nicht gesagt.
„Tatsächlich?", fragt mich Vincent überrascht und alles was ich mache ist, mechanisch zu nicken. Ich bin hier anscheinend die einzige, die ihren Freund nicht in solch' einer Situation in die Kacke reitet und alles abstreitet.
Chris schaut mich zwar entschuldigend an, aber das hilft mir auch nicht weiter.
Mein Blick schweift kurz zu Elias. Hoffentlich hat der das nicht mitbekommen. Es geht ja kaum schlampiger, als auf eine Party wegen einem Typen zu gehen, allerdings dann mit einem anderen im Bett zu landen. Und genau so kommt die Lüge von Chris rüber.
„Da muss ich dich leider enttäuschen, denn ich stehe nicht auf Frauen", meint Vincent und schaut mich entschuldigend an. Dann hatte die Aktion wenigstens ein gutes und wir wissen jetzt, dass Chris' Schwulenradar doch noch funktioniert. Ich setze ein gekünsteltes Lächeln auf und sage gedehnt: „Ach, ist doch gar nicht schlimm."
Chris schuldet mir auf jeden Fall einen Gefallen. Aber einen ganz schön großen.
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Gefällt euch die Geschichte bis hier hin oder habt ihr Verbesserungsvorschläge? Ich habe kein Problem mit Kritik, also ruhig raus damit :)
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Just OrDINAry
Teen FictionOrdinary, gewöhnlich, durchschnittlich, normal, unauffällig. Alles Worte, die mich perfekt beschreiben. Kein Wunder, dass im Ersten sogar mein Name steckt. Irgendwie scheine ich dann aber doch nicht mehr so gewöhnlich zu sein, als ich nach der Jahrg...