Er war gestresst.
Den ganzen Tag schon war Katakuri gereizt und schlecht gelaunt, auch wenn er es nicht durchscheinen lassen konnte. Ruhig und distanziert wie immer kümmerte Katakuri sich um das Tagesgeschäft, setzte sich mit Perospero über die neuen Lieferungen auseinander und besprach sich mit Compote bezüglich des kommenden Festes. Was genau es war hatte er schon wieder vergessen – wichtig war nur, dass seine Anwesenheit nicht von Nöten war. Big Mom war es schon beinahe egal ob wirklich alle Kinder an den Festivitäten teilnahmen, solange genug Essen da war. Zu Katakuri's Glück, denn er hatte keine Lust auf eine weitere, verdammte Teeparty. Pflichtbewusst trug er seinen Teil bei, sorgte für genügend Vorräte und ließ sich entschuldigen. Er habe viel zu tun – eine Ausrede, die immer wirkte – und würde es unter all der Arbeit nicht schaffen teilzunehmen.
Es war Anfang Oktober und in knapp vier Wochen würde die große Halloweenfeier statt finden. Big Mom liebte diesen Tag fast so sehr wie Weihnachten oder Valentinstag; Genau genommen liebte sie jeden Tag der mit Essen zu tun hatte. Er musste einen Weg finden Halloween ebenfalls zu umgehen, er musste sich dafür eine bessere Ausrede einfallen lassen als nur 'Arbeit'. So sehr er seine Geschwister auch liebte und es ihm Spaß machte Zeit mit ihnen zu verbringen, auf die Feier konnte er gern verzichten. Vielleicht hatten Oven und Daifuku sich ja etwas einfallen lassen? Wie jedes Jahr hatten auch sie keine Lust auf die Kleinsten aufzupassen, wollten sich lieber einen schönen Abend mit etwas zu Trinken und gutem Essen machen. Man sollte meinen, dass er mit 38 langsam aus dem Alter des Babysitters raus war, doch weit gefehlt in dieser chaotischen Familie. Dass er seine Pflichten weitaus ernster nahm als seine gleichaltrigen Brüder hatte ihm schließlich den Rang des Kommandanten eingebracht, mal ganz abgesehen von seiner Stärke. Lange hatte er trainiert, lange hatte er sein Haki weiter ausgebaut und nach all der Mühe war es ihm endlich gelungen: Er hatte sein Observationshaki so weit verbessert, dass es ihm möglich war einige kurze Momente in die Zukunft zu sehen. Schon seit Wochen war es ihm möglich diese Fähigkeit zu nutzen, aber es war verdammt gewöhnungsbedürftig. Es würde noch einige Zeit dauern, bis er diese Kraft im Kampf einsetzen konnte. Eigentlich hatte er vor an diesem Abend noch etwas zu üben, doch er brachte es nicht übers Herz – immerhin war es mal wieder soweit. War wirklich schon wieder ein Jahr um?
Ein schweigendes Haus begrüßte ihn, als er nach einem anstrengenden Tag endlich Zuhause ankam. Stille. Das Ticken der Uhr an der Wand und der dumpfe Lärm der Straße von Flour Island. Anfangs hatte Katakuri noch außerhalb der kleinen Stadt Hakuriki Town gewohnt, doch nach einigen Jahren war die Stille einfach nicht mehr zu ertragen gewesen. Früher hatte er es geliebt, hatte seine Ruhe genossen und hasste den Lärm der kleinen Stadt. Heute hingegen konnte er dieses leere Haus nicht mehr sehen, doch sich Gesellschaft zu suchen war auch keine Alternative. So sehr er seine Familie auch wirklich liebte, sie konnten schnell unerträglich werden. Selbst seine Brüder waren oft eine Last, so oft wie sie sich stritten. Oven und Daifuku waren so verschieden wie Tag und Nacht, doch was war er dann?
Mit einem ungeduldigen Knurren schüttelte Katakuri den Kopf und versuchte die verzwickten, überflüssigen Gedanken loszuwerden. Konzentration, dachte er. Ich muss mich konzentrieren.Schritte waren aus der Küche zu hören und er sah auf, die stechenden Augen erspähten seine Haushälterin – sie schlich immer so umher, bedacht darauf kaum einen Laut von sich zu geben. Es reizte ihn nur noch mehr.
»Noch einen Wunsch?« Die Haushälterin hatte wie gewohnt alles von oben bis unten geputzt, das Abendessen zubereitet und war bereit zu gehen. Er mochte es nicht wenn jemand in seinem Haus war, doch er hatte nicht die Zeit es selbst sauber zu halten.
»Danke, das ist alles.«, sagte er und die ältere Dame verabschiedete sich gewohnt höflich von ihm. Eilig verließ sie sein Haus und für einen Moment fragte er sich, ob sie Angst vor ihm hatte. Viele Angestellte fürchteten ihn, dabei behandelte er sie stets mit Respekt und war freundlich. Sein Ruf eilte ihm voraus wo auch immer er war, selbst die Angestellten tuschelten über ihn. Niemand würde es je wagen ein böses Wort über ihn zu sagen, immerhin war er Katakuri Charlotte, Kommandant und Minister des Mehls – ob er wollte oder nicht.
Ein kurzer Blick auf die Uhr ließ ihn kaum hörbar seufzen und er zog sich den Schal von den Schultern. Er klopfte das Stück Stoff aus, war es doch voller Mehlstaub von diesem langen, langen Tag. Noch war der Tag nicht vorbei, denn um zehn Uhr war er mit seinen beiden jüngeren Brüdern verabredet. Zeit für ein Bad blieb ihm nicht und auch das Essen würde er sich wohl schenken können. Noch nie war er zu spät gekommen und jetzt würde er ganz sicher nicht damit anfangen, immerhin war es der wichtigste Tag des Jahres.
»Wurde ja auch langsam Zeit!« Wurde Katakuri einige Zeit später von Oven begrüßt. Die kleine Lichtung am Rand von Nuts Island war schon ein altbekannter Ort, für alle drei Brüder. Das kleine Wäldchen lichtete sich zum Ufer hin, so dass man einen guten Blick auf das süße Gewässer hatte und noch dazu in der Ferne schon die nächsten Inseln sehen konnte. Im Schein eines Lagerfeuers saß Oven mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, eine Flasche Bier in der Hand und viel entspannter als sonst. Es war merkwürdig: Wenn die drei Brüder allein miteinander waren, dann fühlte es sich beinahe so an wie früher. Sicher, sie waren um einiges älter geworden, grenzten alle schon an die vierzig – doch der brüderliche Unterton war nie ganz verschwunden.
»Wo bleibt denn Daifuku? Sonst ist er doch immer der Erste und du der Letzte.«, fragte Katakuri, ließ sich ebenfalls am Feuer nieder und rieb sich den Nacken. Seine Muskeln waren verspannt, er würde sicher schlecht schlafen mit diesen verfluchten Nackenschmerzen.
»Der sollte auch bald eintrudeln.«, erwiderte Oven und reichte dem Ältesten ein Bier. Katakuri war kein Fan Alkohol, es störte seine Konzentration. Normalerweise lehnte er jede Art von Trinken ab, doch an diesem einen Tag im Jahr brachte er es nicht übers Herz. Ein Abend im Jahr, das störte doch niemanden.
»Pero hat gesagt, dass wenn du nicht zur Halloweenfeier kommst, er dich persönlich in Karamell eindecken wird.«, sagte Katakuri zu Oven und nahm einen Schluck von seinem Getränk – es war so furchtbar bitter... Wie konnten seine Brüder das nur mögen?
»Pah, das soll er mal versuchen! Ich lasse das Karamell einfach schmelzen.«, erwiderte der Jüngere und schnaubte, amüsiert über die Drohung vom Ältesten der Familie.
»Geh trotzdem hin.«
Gerade wollte Oven etwas erwidern, als es im Wald raschelte und Daifuku aus der Dunkelheit trat.
»Du bist spät.«, kam es sofort von Katakuri, doch der Mittlere der drei Brüder winkte nur ungeduldig ab und griff sofort nach einem Bier.
»Perospero hat mich aufgehalten.«, erklärte er und ließ sich mit einem Ächzen am Feuer auf den Boden fallen. »Hat gesagt, dass wenn ich nicht zur Feier komme-«
»Er dich mit Karamell überzieht, wissen wir.«, unterbrach Oven ihn. »Das hat er uns allen gedroht.«
»Soll er doch auf die kleinen Teufel aufpassen! Oder Smoothie und Cinnamon, die können doch so gut mit den Kindern.«
»Smoothie, ist das dein Ernst?«, sagte Daifuku und lachte. »Sie würde doch am liebsten die ganzen Kids zu Saft verarbeiten!«
»Wir gehen alle hin. Punkt.«, beschloss Katakuri die Diskussion zu beenden und nach zwei genervten Seufzern seiner Brüder kehrte Ruhe ein. Das Lagerfeuer zwischen ihnen knisterte, das Wasser schwappte in kleinen Wellen gegen das Ufer. Sie alle waren aus dem selben Grund auf dieser Insel, an diesem Platz – an diesem Tag.
»Kaum zu glauben, dass schon wieder ein Jahr rum ist.«, murmelte Daifuku schließlich und nahm noch einen Schluck von seinem Bier. »Geht jedes Jahr ein bisschen schneller, hab ich so das Gefühl.«
»Mhm.«, brummte Oven zustimmend und er starrte gedankenverloren in die Flammen. »Jetzt sind's schon zehn Jahre.«
»Zehn Jahre.« Daifuku warf seinen Brüdern einen düsteren Blick zu. »Warum machen wir das denn überhaupt noch? Ist doch total sinnlos.«
»Du weißt warum.« Oven's Blick huschte für den Bruchteil einer Sekunde zu Katakuri, der den Kopf in den Nacken gelegt hatte und zum Sternenhimmel aufsah. »Sie ist unsere Freundin.«
»Sie war es.«, korrigierte Daifuku ihn verbittert. »Du glaubst doch nicht echt, dass sie noch lebt? Man, zehn Jahre!«
»Er hat Recht.«, mischte sich Katakuri plötzlich ein. Die roten Augen wanderten herab, glitten über das Feuer hinweg und verharrten auf dem dunklen Ozean. »Sie kann unmöglich noch leben, sonst hätte sie uns eine Nachricht geschickt. Oder wäre zurück gekommen.«
»Ich glaube nicht, dass sie tot ist.«, murmelte Oven mit trotzigen Unterton. »Unkraut vergeht nicht.«
Plötzlich schnaubte Daifuku auf und nickte ihm zu.
»Weißt du noch, als wir sie kennen gelernt haben? Hast du immer noch die Narbe?«, fragte er. »Du hast alles vollgeblutet!«
»Natürlich hab ich die Narbe noch, Idiot! Als würde die so einfach verschwinden.« Oven warf ihm einen belustigten Blick zu. »Tat verdammt weh, das sag ich dir.«
»Heul nicht, du altes Weichei!«
»Genug.« Katakuri musste die beiden wieder einmal voneinander abhalten, aber das war ja nichts Neues für ihn. Seit 38 Jahren musste er intervenieren, musste er die beiden davon abhalten sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Sie waren Brüder – sie hielten immer zueinander und doch prügelten sich die beiden seit Kindertagen wann immer sie konnten.
»Ich vermisse sie.«, seufzte Oven plötzlich schwermütig und hob seine Flasche an. »Frohen Jahrestag.«
Die Brüder taten es ihm gleich, sie stießen die Flaschen aneinander und tranken auf deinen Namen. Zehn Jahre war es her, seit du spurlos verschwunden warst. Zehn Jahre seit die Drei ein Wort mit dir gewechselt oder dich auch nur gesehen hatten. An einem kühlen Tag Anfang Oktober hattest du dich geradezu in Luft aufgelöst, ohne Abschied. Bis zu diesem Tag war dein Verschwinden ungeklärt und der Verdacht, dass du umgekommen warst lag nahe. Oven war der Einzige, der an dein Überleben zu glauben schien und trotzdem trafen sich die Brüder jedes Jahr an dem Ort, an dem ihr euch damals vor zwanzig Jahren kennen gelernt hattet...
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Roots
FanfictionKatakuri x Reader || Auch die Ältesten der Familie Charlotte waren einmal jung, leichtsinnig und hatten nur Unsinn im Kopf. Während der Anfänge der Familie gab es viel Chaos zu stiften und die Drillinge Katakuri, Oven und Daifuku mussten sich ja irg...