Today, we fall apart

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Es war schon spät in der Nacht, als Katakuri und Oven auf Flour Island ankamen. Hakuriki Town lag still da, alle Bewohner der Insel waren bereits in den Häusern verschwunden und nur die beiden Brüder waren auf der Straße zu sehen. Oven's Weg nach Brown Island führte ihn über das Gebiet seines Bruders und auch wenn sie den Weg zusammen gegangen waren – sie sprachen kein Wort miteinander. Katakuri war kein redseliger Mensch, im Gegensatz zu Oven. Der Jüngere hatte immer eine Meinung zu allem und scheute nicht davor sie laut auszusprechen. Doch in dieser Nacht war er ungewöhnlich still, schien genau wie Katakuri ganz in Gedanken versunken zu sein.
Dabei war Oven kaum mit deinem Jahrestag beschäftigt, er hatte sich daran gewöhnt. Wirklich Sorgen machte er sich um seinen großen Bruder, auch wenn das nur selten von Nöten war. Nie würde Katakuri es zugeben, doch von den Drillingen hatte dein Verschwinden ihn am meisten getroffen. Seit dem Tag vor zehn Jahren war er wie ausgewechselt: Einst ein großer Bruder, der alles für das Wohlergehen seiner Geschwister tat, war er inzwischen nur noch ein Schatten seiner Selbst. Kalt, distanziert und auch wenn er seine Pflichten stets erfüllte – er war nicht mehr mit dem Herzen bei der Sache. Wenn er sich früher die Zeit genommen hatte um mit den kleineren Geschwistern zu spielen und ihnen beim Kampftraining zu helfen, nun würdigte er sie kaum eines Blickes. Einst die Geduld in Person war er inzwischen äußerst reizbar geworden. Man musste jeden Tag aufpassen, dass man es sich nicht mit ihm verscherzte.
Oven hatte immer gedacht, dass er alles über seine Brüder wissen würde. Das besondere Band zwischen ihnen reichte tief, doch das hatte sich im letzten Jahrzehnt geändert. Daifuku ließ sich kaum noch blicken und Katakuri hatte eine eiserne Festung um sich herum aufgebaut, Mauern die niemand mehr durchdringen konnte.
»Du hast sie wirklich geliebt, oder?« Die beiden blieben vor Katakuri's Haus stehen und Oven sah ihn auffordernd an. Selbst in der Dunkelheit spürte der Jüngste den stechenden Blick, wusste dass er zu weit ging. Er rechnete mit einer erbosten Antwort oder sogar einem Schlag ins Gesicht – doch er bekam nur eisiges Schweigen. Als wäre jede Gefühlsregung von Katakuri mit dir zusammen ins Ungewisse verschwunden.
»Du solltest zur Halloweenfeier kommen. Perospero wird sonst sauer.«, sagte Katakuri und ließ seinen Bruder einfach auf der Straße stehen. Oven schnaubte ungeduldig und schüttelte den Kopf. Sturer Idiot!Sie waren doch Brüder – da konnte man über alles reden! Damals mit 18 hätten sie über 'Gefühle reden' nur gelacht und sich lieber gegenseitig Schläge auf die Schultern verpasst bis es blaue Flecken gab. Heute, ganze zwanzig Jahre später hatte sich das Blatt gewendet. Oven konnte genau fühlen wie die brüderliche Verbindung verblasste, als wären sie inzwischen Fremde geworden. War es denn so falsch, dass er seine Geschwister liebte und sich Sorgen machte? 


Für einen Moment blieb Katakuri hinter der Tür stehen und schloss die Augen. Er holte tief Luft und zog sich den Schal von den Schultern. Wie immer musste er früh aufstehen, für ihn gab es immer viel zu tun. Nie ein Tag an dem er es leicht angehen konnte, nie etwas freie Zeit. Aber so hatte er es sich ausgesucht und er würde sich niemals offen darüber beschweren.

Mit einem Gähnen streckte er sich, versuchte den Schmerz in seinem Nacken loszuwerden. Durch das regelmäßige Training war er zwar fit, doch man würde ja auch nicht jünger. Vor Fünfzehn Jahren noch hatte ihn nichts umhauen können, Muskelkater war ihm absolut unbekannt und schmerzende Knochen waren undenkbar gewesen.
Wie schnell man doch alt wird, dachte Katakuri. Viel zu schnell.
Zum Glück blieb dir das erspart. Er war ganz Daifuku's Meinung: Zehn Jahre ohne auch nur eine Spur, das konnte nur eines bedeuten: Du warst tot und eigentlich hatte es keinen Sinn, dir überhaupt nachzutrauern. Ohne ein Wort warst du von einen auf den nächsten Tag verschwunden. Noch am Abend hattet ihr zusammen gegessen, gelacht und schon am nächsten Morgen warst du unauffindbar. Die einzige Erklärung war, dass du zurück in deine Heimat geschwommen warst. Wie sonst wärst du einfach so vom Schiff verschwunden? Und das auch noch direkt auf der Grand Line?
Doch da nie ein Wort von dir kam ging Katakuri davon aus, dass das Schicksal es nicht gut mit dir gemeint hatte und du den Tod gefunden hattest. Wärst du bei ihm geblieben, hätte er dich beschützen können.
Aber warum sich Gedanken machen um lang vergangene Geschehnisse, wenn es im Hier und Jetzt wichtigere Dinge zu erledigen gab? Morgen war ein neuer Tag, morgen würde er wieder eine Menge zu erledigen haben und das Gegrübel hielt ihn bloß vom Schlafen ab.
Erschöpft fiel Katakuri auf sein Bett und schälte sich aus seiner Weste, ließ den Schal neben sich aufs Kopfkissen fallen. Es wollte schlafen und diesen furchtbaren Tag endlich hinter sich lassen. Er hasste den Jahrestag wie die Pest, weil er dann jedes Mal nicht schlafen konnte. Deine Stimme schlich sich durch seine Träume und er kam einfach nicht von eurer letzten Begegnung los. Kurz bevor du verschwandest wolltest du etwas Wichtiges mit ihm besprechen, doch es war nie zu dem Gespräch gekommen. Was hattest du ihm sagen wollen? Was war so wichtig gewesen, dass du ihn damals mitten in der Nacht geweckt hattest?
Krampfhaft versuchte er nicht an dich zu denken, wollte seinen Kopf leeren und seine sonst allgegenwärtige Konzentration wiederfinden – aber es tat weh. Der Gedanke an dich war unerträglich, so dass er das Gesicht ins Kissen drückte und im Kopf alle Lieferungen der nächsten Monate aufzählte um deine Stimme zum Schweigen zu bringen. 


Der folgende Morgen war kalt und trotzdem wachte Katakuri schweißgebadet auf, mit Kopfschmerzen und dem faden Nachgeschmack von Albträumen. Bereits nach wenigen Sekunden verblasste das Geträumte schon und die Realität holte ihn ein. Er musste aufstehen und seinen morgendlichen Rundgang machen. Schauen ob die Felder in Ordnung waren, ob die Fabrik lief wie sie sollte und die Lieferungen fertig waren. Routine war sein ständiger Begleiter geworden in den vergangenen Jahren, eine willkommene Entwicklung. In Totto Land geschah selten etwas Unvorhergesehenes und seit er sein Observationshaki so mühselig trainiert hatte konnte er sogar einige Momente in die Zukunft sehen. Keine Überraschungen konnten ihn noch aus der Bahn werfen, nie wieder würde er unvorbereitet sein. Er war Katakuri Charlotte, er war perfekt und immer auf alles gefasst.

»Guten Morgen.«, grüßte Amande ihn, als er sein Haus verließ. Sie hatte schon auf ihn gewartet, waren sie doch für den Morgen verabredet gewesen. Seine jüngere Schwester, als Ministerin der Nüsse, wollte mit ihm die kommende Fuhre von Mandeln besprechen. Auf Flour Island wurde nicht nur Weizen zu feinem Mehl gemahlen, sondern auch Mandeln. Alle Inseln arbeiteten Hand in Hand wenn es um die Produktion von Essen ging.
»Morgen.«, erwiderte Katakuri halbherzig und ging an ihr vorbei zu den Weizenfeldern. Amande war eine ruhige Frau, stets desinteressiert an ihrer Umgebung und das mochte Katakuri wohl am meisten an ihr. Sie war verschwiegen und gab nur selten ihre Meinung kund, in der Familie Charlotte eine wertvolle Eigenschaft.
Sie folgte ihm ohne weitere Aufforderung und schwieg den gesamten Weg bis hin zu den Feldern.
»Wie viel schickst du dieses Mal?«, fragte Katakuri schließlich.
»350 Kilo.«, antwortete sie und zündetet sich eine Zigarette an. »Ich brauche das Mehl zeitig, wenn du so freundlich wärst.«
»Übermorgen.«
»Gut.«
Amande folgte ihm weiterhin, über dem schmalen Pfad zwischen den riesigen Feldern. Was sie noch wollte war Katakuri ein Rätsel, aber er war nicht so ungehobelt wie seine Brüder und würde sie einfach wegschicken. Perfekt zu sein bedeutete auch, dass er höflich sein musste.
»Kann ich dir noch mit irgendetwas anderem helfen?«, fragte er nach einiger Zeit des Schweigens. Die junge Frau nahm sich einen Moment Zeit um zu antworten, schüttelte denn schließlich den Kopf.
»Nein.«, erwiderte sie kurz angebunden. »Aber Perospero lässt ausrichten, dass du dich nicht vor der Feier drücken kannst.«
Verdammter Perospero, führte sich auf als wäre er das Oberhaupt der Familie!
»Ich verstehe.«
»Und noch etwas.« Amande blieb stehen und Katakuri tat es ihr gleich. »Ich weiß, was gestern für ein Tag war. Ihr kommt jedes Jahr in meinen Verantwortungsbereich und betrinkt euch.«
Was, wollte sie jetzt etwa auch schon den Moralapostel spielen?
»Hier.« Sie griff in ihre Tasche und zog einen Umschlag heraus. Katakuri nahm ihn entgegen, als sie sich auch prompt mit einem kurzen Nicken verabschiedete. Gemütlich schlenderte Amande zurück zur Stadt um ihren eigenen Verpflichtungen nachzugehen. Er sah zum Umschlag in seiner Hand, beschloss jedoch ihn nicht zu öffnen. Nicht, wenn er noch eine ganze Reihe wichtiger Dinge zu erledigen hatte. Später.
Dass Amande sich einmischte war neu. Nie hatte sie etwas zum Jahrestag gesagt, es nicht im geringsten auch nur erwähnt. Natürlich hatte sie dich damals gekannt, doch ihr standet euch nie allzu nahe. Wenn du jemanden ein Geheimnis anvertraut hättest, dann ja wohl Oven: Deinem besten Freund für zehn Jahre. Er hatte dich damals gefangen, den Biss von dir kassiert und seitdem wart ihr durch dick und dünn gegangen. Abgöttisch liebte er dich, als wärst du seine leibliche Schwester. Nach wie vor glaubte er an dich, glaubte dass du am Leben warst und irgendwann zurück kommen würdest.
Naiver Idiot, dachte Katakuri verbittert. Sie ist tot. Belasse es doch einfach dabei.

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