Today, we suffer in silence

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Es waren nur noch drei Wochen bis zur großen Feier anlässlich Halloweens. Zu so großen Feiern liefen die Vorbereitungen schon wochenlang vorher auf Hochtouren, so wie es auch dieses Mal der Fall war. Katakuri schlief wenig, war gereizt und noch dazu kamen ihm immer wieder Dinge in die Quere. Lieferengpässe waren nur die kleinsten Probleme und wenn es so weiter ging, würde es an einigen Dingen auf dem Fest fehlen. Die Kleinsten freuten sich bereits auf die Süßigkeiten, die extra für diesen Anlass hergestellt wurden, und es war eine Tradition, dass die jüngsten Geschwister sich verkleideten. Für die Kinder war es ein riesiger Spaß, für die Minister ein riesiger Haufen Arbeit. Früher hätte er es gern getan, hätte die Kleinen zu ihren gelungenen Kostümen Komplimente gemacht und heute konnte er es kaum erwarten, dass diese Farce endlich vorbei war.
Die Lieferengpässe bereiteten allen Ministern Sorgen, so dass an diesem Abend eine Versammlung von Perospero zusammengerufen wurde. Lösungen mussten her, schnell und effektiv. Katakuri selbst war nur interessiert an Ergebnissen, zügig und effizient, und doch hatte er keine Lust auf die Versammlung zu gehen. Selten ließ er sich auf den häufig angesetzten Versammlungen blicken, hatte immer zu viel zu tun und nie die Motivation dafür. Seine Lustlosigkeit hielt nun schon eine ganze Weile an: Woche, Monate, Jahre... Der Grund dafür war ihm bekannt, doch er verdrängte es mit aller Kraft. Durch Konzentration hielt er seine Gedanken stets im Fokus, ließ sich nicht von kleinen Belanglosigkeiten ablenken. Zu dumm, dass es nicht immer funktionierte.
»Fangen wir an.« Perospero sah in die Runde, eine wilde Ansammlung von Ministern des gesamten Archipels. »Smoothie, was ist mit den Lieferungen der Tiere? Hast du die Spinnen und Skorpione jetzt endlich bekommen?«
»Nein, nur die Schlangen und einen Haufen Kürbisse – dich ich nicht bestellt habe.«, erwiderte die junge Ministerin des Safts. »Wer zum Teufel wollte vierzig riesige Kürbisse haben?«
»Bestimmt Makino's Team.«, mischte sich Oven ein. »Sie wollte doch die Dachterrasse mit Kürbissen schmücken, wie vorletztes Jahr.«
»Ohh, das sah toll aus!«, schwärmte Galette verträumt. »Man konnte in die Kürbisse richtig reingehen!«
»Hier geht's nicht um die Deko, sondern um das Essen.«, knurrte der Älteste der Geschwister und sah mit strengen Blick in die Runde. »Können wir ein einziges Mal beim Thema bleiben?!«
»Vor drei Jahren hat Makino die Kerzen schweben lassen – ich frage mich, wie sie das nur gemacht hat?«, mischte sich Poire jedoch wieder ein. »Und die Flammen waren blau!«
»Genug!«, fuhr Perospero die jüngeren Geschwister an und fuhr sich genervt mit der Hand übers Gesicht. Auf jeder Versammlung war es das Gleiche, die jüngsten Minister konnten einfach nicht beim Plan bleiben und die wichtigen Dinge diskutieren, sie wichen oft vom Thema ab und alles endetet in einem einzigen Kaffeeklatsch.
Katakuri selbst hatte sich einen Platz ganz hinten rausgesucht, lehnte mit dem Rücken an der Wand und beobachtete das Ganze mit wachsendem Unmut. Er wollte nach Hause, musste sich noch so einige Gedanken über die Arbeit der kommenden Tage machen. Es war genug zu tun, da wollte er nicht noch den Babysitter auf dieser verdammten Veranstaltung spielen.
»Hat sie das nicht von, ach, wie war ihr Name...«, überlegte Poire laut. »Da waren wir erst acht. Erinnerst du dich, Galette?«
Ihre Schwester dachte ebenfalls nach und kam schließlich darauf. Sie warf deinen Namen in den Raum und sofort zuckte Katakuri's Kopf hoch. Deinen Namen von den anderen Geschwistern zu hören war selten und es fühlte sich seltsam an, schlecht und nicht richtig. Als würden sie in seine Privatsphäre eindringen, ihre Nase in Angelegenheiten stecken die sie nichts anging. Er spürte Oven's kurzen Blick auf sich und seufzte dann tief auf. Wohin er auch ging, du wartetest schon hinter der nächsten Ecke auf ihn, es war zum kotzen.
»Richtig, sie hatte ein Händchen für Tricks aller Art.«, erinnerten sich die jüngeren Geschwister zurück. »Großer Bruder, du hast sie doch gut gekannt – war sie wirklich so gut im tricksen?«
Alle Blicke richteten sich auf Katakuri, der sich vorkam wie die Attraktion in einem Zirkus.
»Woher soll ich das wissen.«, knurrte er kühl. Gerade schaffte er es, dass er sich wieder auf seine Aufgaben konzentrieren konnte und dann begannen sie ihn über dich auszufragen. Was er auch tat, du warst überall und er wurde immer wieder gezwungen sich mit deiner Person auseinander zu setzen. Es war zum verrückt werden!
»Oh, ich dachte ihr-«
»Jedenfalls, die Lieferungen.«, mischte sich Daifuku ein, der den reißenden Geduldsfaden seines großen Bruder zu bemerken schien. »Peros, wie sieht's aus? Kriege ich meine Bestellungen langsam mal?!«
Der Älteste schien etwas verdutzt über diesen plötzlichen Themenwechsel - war aber gleichzeitig erleichtert, dass jemand die Sache ernst nahm. Im Hintergrund knirschte Katakuri ungeduldig mit den Zähnen, mit Wut in der Brust und einem schmerzenden Magen. Sie sollten sich alle aus seinen Angelegenheiten raushalten!
»Hast du in den Umschlag geschaut?« Amande tauchte neben ihm auf, wie immer mit einer Zigarette im Mundwinkel und den desinteressierten Blick versteckt unter dem großen Hut. Wie sie sich stets an ihn heranschleichen konnte war Katakuri ein Rätsel, aber so war die junge Ministerin nun einmal. Man bemerkte sie erst wenn es zu spät war, was schon einige Feinde das Leben gekostet hatte.
»Nein.«, erwiderte er auf ihre Frage hin und ihre grünen Augen sahen zu ihm auf. Der stechende Blick prüfte ihn auf Lügen, doch selbst ihr war es nicht möglich hinter die Fassade zu sehen.
»Du solltest es.«, sagte sie und richtete ihren Blick wieder auf die Versammlung. »Immerhin geht es um sie.«
»Was interessiert es dich überhaupt?«, knurrte er gereizt. Auch wenn Katakuri versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, er hatte das Thema satt. Ständig lagen ihm die beiden jüngeren Drillinge damit in den Ohren und nun auch noch Amande. Konnte er nicht einfach seine verdammte Ruhe haben und dich vergessen?
»Interesse würde ich es kaum nennen.«, sagte sie mit dem seltenen Ansatz eines Lächelns auf den Lippen. »Aber du solltest hineinsehen.«
Damit wandte sie sich ab, ging rüber zu Cinnamon und verfolgte die Versammlung weiter. Was konnte denn so Wichtiges in diesem Briefumschlag sein, dass Amande sich so sehr darum scherte? 


Wie üblich dauerte die Versammlung noch lange an, Themen wurden gewechselt und wieder verrannten sich einige der Geschwister in Klatsch und Tratsch. Bis es Perospero irgendwann reichte. Der Älteste sprach ein ernstes Machtwort und drohte allen Anwesenden mit dem Ausschluss zur Feier. Schlagartig wechselte daraufhin die Stimmung, denn die größte Party des Jahres wollte niemand verpassen. Von da an ging es zügig voran, es wurden Abmachungen getroffen, Lösungen gefunden und endlich konnte Katakuri verschwinden. Er sehnte sich nach seinem Bett, wollte schlafen um nicht mehr nachdenken zu müssen. Die Nächte waren kurz, aber es waren einige Stunden in denen er sich nicht konzentrieren und auch nicht einen einzigen Gedanken an dich verschwenden musste. Er konnte es leugnen so oft er wollte, vor Oven, Daifuku und all den anderen Geschwister: Er vermisste dich jeden Tag. Ihm fehlte dein vorlautes Mundwerk, das herausfordernde Funkeln in deinen Augen und die Art wie du ihn angesehen hattest. Als wäre er das einzig Wichtige auf der Welt, noch wichtiger als die Luft die du zum Atmen brauchtest.
Katakuri sank auf sein Bett, war fertig mit diesem nervenaufreibenden Tag und einfach nur müde. Er war immer müde, egal zu welcher Zeit des Tages und was er auch immer gerade tat. Die Erschöpfung kam nicht von der vielen Arbeit, er war noch immer topfit – es kam von innen heraus. 

Katakuri gähnte herzhaft, drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er starrte an die Decke, dachte über die Versammlung nach. Allem Anschein nach hatte die Familie Charlotte dich nicht vergessen, auch wenn ihm das wohl lieber gewesen wäre. Konnten sie dich nicht einfach alle totschweigen, so wie er es tat? Es war die beste Lösung für alle Beteiligten.
Plötzlich fiel ihm der Umschlag ein und Katakuri setzte sich auf. Ein kurzer Blick zum Nachttisch, bis er sich ein Herz fasste und in der Schublade kramte. Der Umschlag war nach ganz unten gerutscht, schon ein wenig zerknittert. Wie lange hatte Amande ihn wohl aufbewahrt? Er schien alt zu sein, so ausgeblichen wie das Papier war.
Katakuri zögerte. Wollte er wirklich wissen was in dem Umschlag war? Er grübelte kurz, wägte seine Optionen ab. Wenn ihm der Inhalt nicht gefiel, würde er ihn einfach zerreissen. Oder verbrennen, es kam ganz auf den Inhalt an.
Es war ein... Bild? Ein altes Foto, wohl eines der Wenigen die von der Zeit damals noch existierten. Ein Gruppenfoto von Oven, Diauku, Katakuri und dir. Es war kurz vor deinem Verschwinden aufgenommen worden und verdammt, du sahst so glücklich aus. Strahltest ihm aus dem Bild heraus entgegen, während er mit allen Mitteln versuchte dem Gruppenfoto zu entkommen. Doch du hattest den Arm um seine Schultern geschlungen, hindertest ihn an der Flucht. Glückliche Zeiten waren das: Voller Abenteuer, Gefahren und einer Menge Spaß. Er vermisste diese Zeit schmerzlich. Jetzt war es nur noch Arbeit und er wusste noch nicht einmal wofür. Big Mom interessierte sich kein bisschen für ihre Kinder, ob sie lebten oder starben war ihr vollkommen egal. Hauptsache sie kam voran und sie würde eine Menge Inseln ausrauben können. Schätze anhäufen und Verbündete rekrutieren, das war der Alltag der Big Mom Piraten. Jeden Tag aufs Neue. Ein Abenteuer war es nicht gerade.
Katakuri seufzte leicht und sah noch einmal auf das Bild in seinen Händen. Er wollte das Bild zerreissen, es in tausend kleine Fetzen zerkleinern – doch er konnte nicht. Ein Stich fuhr durch seine Brust, aber er unterdrückte mit seiner Konzentration jede Emotion im Keim. Er war nicht mehr Mitte zwanzig, er konnte sich diese dummen, sinnlosen Gefühle nicht erlauben. Auf Flour Island musste ein Geschäft am Laufen gehalten werden!
Katakuri zögerte noch ein weiteres Mal, bis er endlich einen Entschluss fasste. Er packte das Foto an beiden Ecken und riss es in der Mitte durch. Das ratschende Geräusch trieb ihm eine kleine Gänsehaut über den Rücken und sein Herz sank für den Bruchteil einer Sekunde ab. Er bereute seine Tat für einen kurzen Moment, doch seine rationale Seite gewann schnell wieder die Oberhand. Es war besser so und ohne unnötige Ablenkungen konnte er sich wieder ganz seiner Arbeit widmen.

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