Kapitel 18

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Für mich waren natürlich noch nicht alle Fragen beantwortet, doch ich schwieg einfach. Vielleicht hatte Violetta ja auch Recht. Ich war nur wieder dieser komische Junge, der nicht redet und neu auf die Schule gekommen ist und seitdem mit ihr abhängt, weil er, nun ja, eben nicht viel redet, also auch nicht großartig nervt. Ich war inzwischen echt wütend so betrachtet zu werden, aber andererseits war es mir eigentlich auch mehr als egal. Warum sollte es mich interessieren, was gleichaltrige von mir denken? Müsste ich ihnen gefallen, nur weil ich mit ihnen auf eine Schule gehe? Meiner Meinung nach sind doch diese Schulfreundschaften sowieso nicht für immer. Spätestens nach dem Abschluss trennen sich die Wege und man geht dem Berufsleben nach. Die Tatsache, dass meine Mutter eine Freundin hatte, mit der sie sich schon in der Grundschule gut verstand, ignorierte ich und war fest darüber im Klaren, dass mir so ziemlich alles am Arsch vorbei gehen sollte. Was natürlich total dumm ist, da man so oder so, ob man es nun zugeben will oder nicht, einen guten Eindruck, sowie viele Spuren hinterlassen möchte. Ich stellte mir schon in den frühen Kindheitsjahren die Fragen, ob der Gegenüber mich mochte, ob ich ihm sympathisch war und ob das „wir“ zwischen uns eine Zukunft haben sollte oder nicht. Bei Violetta, Rehava und Faruk hatte ich nicht die geringste Ahnung. Die kurze Zeit, die ich mit ihnen schon verbracht hatte, war zweifellos ausgezeichnet und um ehrlich zu sein, vielleicht sogar die beste in meinem Leben, aber vielleicht war ja auch das der Punkt. Ich hatte halt keine außergewöhnlichen Ereignisse bisher erlebt und Freunde hatte ich sowieso nur oberflächlich. Vielleicht war ich einfach nur überrascht davon, wie mein eigenes Leben eine Wendung nahm und ich Dinge, die ich noch nie hatte, entdecken durfte.

Wir waren inzwischen in unserem Bungalow angekommen (es war immer noch unangenehm still und man hörte selbst die Moskitos summen, die über unseren Betten herumschwirrten und in der Nacht wahrscheinlich unsere Beine attackieren werden).

Es war ein langer Tag und als wir mit der Jahrgangsstufe in der Nachbarstadt waren, dachte ich echt, der Tag würde der Beste unseres bisherigen Urlaubs sein. Wir ließen uns erschöpft auf den Matratzen nieder und schwiegen weiter.

„Ey, so kann das doch jetzt nicht weitergehen“, seufzte Rehava und stand entschlossen auf. „Leute, wir sind im Urlaub. Es ist geiles Wetter mit einem geilen Strand, einem geilen See und was weiß ich noch, es ist so ziemlich alles geil hier! Also von Trübsal blasen würden wir ihn nur vermiesen und dann könnten wir auch unseren scheiß Möwenschlüsselanhänger wegschmeißen, weil diese Zeit dann keine schöne Erinnerung mehr wäre!“ Er lachte kurz und ich bewunderte seinen Mut das Schweigen zu brechen.

„Du hast Recht“, murmelte Faruk und guckte bedröppelt auf dem Boden. Ich glaube Violettas Umzug hat ihn am meisten fertig gemacht. Auch Violetta und ich stimmten zu und Rehava nickte zufrieden.

„Dann lasst uns die Nacht jetzt verdammt nochmal genießen“, rief er motiviert und klopfte mir auf den Rücken.

„Lasst ihn uns genießen, indem wir in einen tiefen Traum fallen und uns auf unsere weichen Matratzen legen“, lächelte Faruk besonnen und streckte sich gähnend.

„Nein, man.“ Rehava zog ihn an den Füßen und versuchte ihn vom der Decke runterzuziehen, aber Faruk hielt sich an dem Bettgestell fest und beschwerte sich empört.

„Ey, es ist gleich neun Uhr! Das bedeutet Bettruhe lieber Rehava!“ Bei seinen Worten fing er selber an zu lachen und ließ so seine Hände von dem Holzbalken los. Er fiel mit einem lauten Knall auf die Fliesen und fing nur noch mehr an zu lachen. Er versuchte zurück auf sein Bett zu klettern, was ziemlich amüsant aussah, da Rehava seine Arme in der Hand hielt und er nun wie ein sterbender Fisch auf der Decke zuckte. Violetta und ich zogen an den zwei Enden der Matratze und zogen sie samt Faruk vom Bettgestell. Rehava erkannte gleich was wir vorhatten und fasste direkt mit an. Wir trugen Faruk durch das Zimmer (was bei einem 85kg Jungen leichter gesagt als getan war) und er schrie wie ein kleines Mädchen und schnappte nach Luft, da ihm vor lauter Lachen schon die Tränen übers Gesicht kullerten.

„Och nein, wie süß“, kicherte Violetta angestrengt und schwang die Matratze ein wenig hin und her, als sei er ein Baby in einer Wiege.

Wir trugen ihn durch die Tür raus zum Steg und so dumm wie er nun mal war, warfen wir ihn plus Matratze in den See, bevor er überhaupt ahnte, was wir vorhatten.

Er klatschte auf das Wasser und die Enten in ein paar Meter Entfernung schnatterten aufgeregt und schwammen weg.

„Hey, das ist jetzt echt nicht mehr lustig“, schrie er vergeblich wütend, denn kurz darauf fing er wieder an zu lachen. „Das ist echt kalt!“ Er paddelte zurück zum Ufer, aber kletterte nicht hoch. „Hier ist noch Platz für drei“, rief er und klopfte grinsend auf den Platz neben sich. 

„Oh nein“, flüsterte Violetta, aber ich packte sie schon an den Hüften und trug sie mit Leichtigkeit über meinen Schultern. Ich warf sie neben Faruk und die Matratze sackte leicht ein, sodass sie noch nasser wurde. Sie wollte mich anschreien, aber dann bemerkte sie, wie cool es dort war und machte eine Handbewegung, damit wir auch kommen würden. Das taten wir auch. Und zwar gleichzeitig, was natürlich keine sehr überlegte Idee war, da wir fast untertauchten, aber es machte Spaß. Vom Platz her reichte es echt, abgesehen davon, dass immer einer fast im See landete. Wir zogen unsere Schuhe aus und warfen sie auf den Steg. Dann paddelten wir mit den Füßen oder Händen weiter in die Mitte des Sees hinein.

„So schön hier“, raunte Violetta. Sie lag auf dem Rücken und ließ uns Männer schön für sich arbeiten. Ihre Haarspitzen waren nass und ich konnte ihr Apfelshampoo und den Duft ihres Parfums bis zu mir riechen. Er vermischte sich mit dem Billigdeo von Faruk und dem Rasierwasser von Rehava. Aber von allen war ihr Geruch am intensivsten und stach hervor.

„Wusstet ihr, dass es fast jeden Stern, den ihr sieht, schon seit Jahrhunderten nicht mehr gibt“, fragte sie und zeigte in den noch-blauen Himmel, in dem ein einziger Stern aufleuchtete.

„Das weiß jeder“, sagte Rehava.

„Nein, ich hab’s nicht gewusst“, staunte Faruk.

„War ja klar.“

„Ach Jungs, ich werde euch echt vermissen, aber ich würde mich auch sehr privilegiert fühlen, wenn ihr euch bis zu meiner Abreise nicht mehr streiten würdet“, lächelte Violetta. Als sei es ein Befehl gewesen, nickten beide verständlich und begruben das Kriegsbeil.

In der Zwischenzeit dachte ich darüber noch, ob ich in ihrem „Jungs“ beinhaltet war. Ob sie mich auch vermissen würde? Ich meine, laut ihr kenne ich sie ja noch nicht mal richtig. Ach egal, sie war sauer, da kann einem schon der ein oder andere ungewollte Satz rausrutschen. 

ViolettaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt