Kapitel 38

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Ein stattlich gebauter Kellner führte uns zu dem Tisch, wir setzten uns hin und schauten uns aneinander an. Vielleicht war das die längste Zeit, in der ich ihr ununterbrochen in die Augen geguckt hatte. Sie lächelte und blickte verlegen auf das Besteck.

Violetta verlegen zu sehen war was neues für mich. Ich freute mich jedes Mal, wenn sie es war. Ich fühlte mich dann irgendwie größer und machtvoller.

Ich saß tatsächlich mit ihr in einem Restaurant, welches dazu wahrscheinlich zu einem der schönsten in der Stadt gehörte. Ich war gerade auf dem Date, welches gleichzeitig auch mein erstes Date war, auf das ich so lange gewartet hatte.

Seit ich sie zum ersten Mal in der Schule sah mit ihrem geblümten Rucksack, ihrer gold-braunen Haut und den trockenen, ungekämmten Haaren.

Und jetzt war dieser Tag. Ich war hier mit genau diesem Mädchen! Ein Mädchen, was gestern einen fremden Jungen geküsst hatte, der 'irgendwie ganz nett' war und das von meinem zweitbesten Freund geliebt wurde, der jetzt zur gleichen Zeit mit Rehava im Bungalow hockte und sich vermutlich ausmalte, wie es Violetta wohl mit ihren Freundinnen erging.

Was war das hier eigentlich für eine unglaublich verkorkste Situation?

Sie legte ihren Kopf schief und holte mich aus meinen Gedanken. "Woran hast du gedacht?", fragte sie mich und ich schüttelte mit dem Kopf, als sei es unwichtig, was es nicht war.

Der Kellner kam und wir bestellten zu trinken.

"Ist dir mal aufgefallen, dass sich Faruk und Rehava viel besser miteinander verstehen, seitdem ich sie darum gebeten habe?" Sie grinste mich an und mir fiel ein, dass ich vielleicht ein Gespräch hätte anfangen sollen, anstatt über meine äußert seltsame Situation nachzudenken.

"Also jetzt wo du es sagst, fällt es mir schon auf." Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Mir fiel auf, dass mir kaum noch schlecht war, obwohl ich jeden Grund dazu gehabt hätte, da mir verdammt nochmal kein Gesprächsthema einfiel.

"Faruk steht also auf mich...Sag nicht, der hat deswegen mit seiner Freundin Schluss gemacht?" Erschrocken guckte sie mich an und ich zögerte, was ihr Frage beantwortete.

"Oh nein! Ich mache alle Beziehungen kaputt, was bin ich für ein Mensch?!" Sie vergrub ihren Kopf in ihre Hände und ich wusste, dass ich ihr jetzt irgendwie widersprechen musste. Aber bevor ich mir einen guten Satz ausdenken konnte, der mir sowieso nicht eingefallen wäre, kam sie mir zuvor.

"Lucy hat mir immer noch nicht auf meine SMS geantwortet, obwohl sie es gesehen hat."

"Die braucht halt noch ein wenig Zeit, um das zu verarbeiten und sich abzuregen", sagte ich und sie nickte. "Ich schätze, du hast Recht."

Unser Trinken kam und wir stießen an. Dann trank ich viel und oft, um nichts sagen zu müssen und sie fing an zu lachen. "Das ist so süß, wie aufgeregt du bist. Brauchst du aber nicht zu sein, also sei am besten wie immer."

Ich wurde rot. "Ich bin wie immer. Tut mir Leid, ich bin von Geburt an ein langweiliger Mensch. Ich hatte weder eine besondere Kindheit, noch hab ich irgendwelche sagenhaften Geschichten erlebt, die ich meinen Kindern, deren Kindern und meinen Urenkelkindern erzählen könnte."

Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Wenn du ein langweiliger Mensch wärst, von denen ich glaube, dass sie nicht existieren, säße ich hier nicht mit dir. Du hingegen sitzt hier mit mir, obwohl ich ein schlechter Mensch bin."

Ich legte den Kopf schief. "Wärst du ein schlechter Mensch, von denen ich nicht glaube, dass sie existieren, wäre ich nicht hier."

"Du glaubst, es gibt keine schlechten Menschen?", fragte sie neugierig.

"Ja. Höchstens Menschen, die von irgendwas oder von irgendwem schlecht gemacht worden sind. Von Natur aus, sind wir alle gut. Das ist ein Unterschied."

Sie wollte was erwidern, doch der Kellner kam, um unsere Bestellung aufzunehmen. Vor lauter Gedanken hatte ich sogar vergessen, mir die Karte anzuschauen, also sagte ich, ich bräuche noch ein wenig Zeit.

Violetta bestellte als Vorspeise eine Suppe und ich beobachtete sie. Ich hatte sie noch nie wirklich gekannt, ich wusste nichts über ihren kleinen Bruder, von dem mir Rehava mal erzählt hatte, ich wusste nichts von ihrer Mutter, geschweige denn von ihrem Vater, der in Australien wohnte. Ich wusste nicht, dass sie eine beste Freundin namens Lucy hatte, die nach diesem Vorfall sicherlich nicht mehr ihre beste Freundin war. Was war mit ihrer Lieblingsmusik? Oder hatte sie Haustiere? Aber noch nie war sie mir so fremd, wie in diesem Moment. Ich weiß nicht wieso, aber ich hatte mich in eine Person verliebt, die ich nicht kannte und sie kannte mich nicht. Das seltsamste an der Sache war, dass es mir egal war.

Wenn ich könnte, würde ich alles hinter mir lassen und mit ihr nach Sydney ziehen. Und ich wusste, dass ich es ihr sagen musste, auch wenn ich das erste Mal wusste, dass sie und ich keine Zukunft haben werden. Aber das war ok, so redete ich mir es jedenfalls ein und als der Kellner weg war, sagte ich es ihr.

"Ich habe mich in dich verliebt."

Ihre Augen weiteten sich, sie starrte mich förmlich an und dann lächelte sie. Ihre Wangen nahmen einen rosanen Farbton an und ich fühlte mich übermächtig.

ICH hatte Violetta erröten lassen!

Derjenige, der vor zwei Monaten noch gedacht hatte, mein Leben mit meinem einzigem Freund, dem korpulentem Nerd, verbringen zu müssen. Vielleicht sollte ich ihn mal anrufen...

Violetta räusperte sich, grinste immer noch wie ein Honigkuchenpferd, bis ihr Gesicht plötzlich erstarrte, der Mund leicht geöffnet wurde und ihr Blick durch mich hindurch fiel, auf das, was hinter mir war.

Verwirrt drehte ich mich um. Das erste, was ich sah, waren ein angespannter Kiefer, zusammengepresste, vertrauensvoll-braune Augen und kleine Fältchen, die sich über seine Augenbrauen bildeten. Am Schlimmsten war, das dieser Blick einzig und allein an mich gewandt war.

ViolettaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt