Kapitel 41

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Noch nie saßen wir so lange einfach nur da und schwiegen. Wir aßen still, wir tranken still und die einzigen Worte, die wir wechselten waren "Gib mal bitte das Salz" und "Sollen wir bezahlen?"

Der Regen hatte mittlerweile wieder aufgehört und wir beschlossen nach Hause zu gehen, auch wenn wir uns dann wahrscheinlich einen ellenlangen Vortrag von Herr Kolsten anhören mussten. Aber wir wussten nicht mehr, wo wir in der Stadt rumstreunen und warten konnten, worauf auch immer.

Als wir die Tür zum Bungalow aufschlossen, war er leer. Faruk war also immer noch irgendwo.

Erschöpft von schlechter Laune und ohrenbetäubendem Schweigen, warf ich mich aufs Bett. Ich hörte wie Rehava und Violetta sich in der Küche hinsetzten und anfingen zu reden.

"Ehrlich gesagt hab ich kein Plan, was wir machen könnten, damit er sich wieder abregt", murmelte Rehava.

"Hm", machte Violetta. "Ich rede auf jeden Fall mit ihm, wenn er wiederkommt."

Das war das Letzte, was ich noch mitbekam, bevor ich dann endgültig wegdöste.

Dieser Schlaf hielt aber nicht wirklich lange. Eine halbe Stunde später zerrte Rehava aufgeregt an meinem Arm. "Dylan! Aufwachen!"

Ich grummelte irgendwas unverständliches in mein Kopfkissen und drehte mich auf die Seite, damit er mich in Ruhe ließ.

"Dylan! Herr Kolsten steht vor der Tür!" Er ließ nicht locker und als wäre es Herr Kolstens Signalwort gewesen, klopfte es nun an der Tür.

"Oh ne", stöhnte ich genervt, aber den Ärger würden wir so oder kriegen. Entkommen konnten wir ihn nicht.

Violetta saß an meinem Fußende, rappelte sich auf und ging zur Tür. "Ach, wir werden es überleben", sagte sie. "Das war schon immer so."

Ich richtete mich gespannt auf.

Herr Kolsten stand mit verkreuzten Armen vor der Brust in unserem Zimmer und sah uns nacheinander an.

"Wo ist Faruk?", fragte er.

Ich zuckte mit den Schultern, aber Rehava sagte, er sei kurz an den Strand gegangen.

Unser Lehrer nickte kurz. "gut, gut... Und jetzt erklärt ihr mir mal bitte, was das gestern sollte."

Rehava strich sich über die Oberschenkel und stellte sich dann ruckartig und selbstbewusst auf. "Wie Sie wissen, hat Glücks...Ehm...Dylan sich gestern den Arm verletzt. Aber in Wahrheit war nicht nur er an dem Sturz beteiligt, sondern auch ein anderer netter Junge, den wir gestern kennenlernen durften, also..."

"Worauf willst du hinaus?", unterbrach Herr Kolsten ihn ungeduldig.

Rehava verdrehte die Augen und erzählte einfach weiter. "Jedenfalls hat dieser Junge sich eine weitaus schlimmere Verletzung zugefügt und musste die Nacht im Krankenhaus verweilen, worauf wir ihm einen Besuch am Nachmittag versprachen, den wir selbstverständlich nicht versäumen konnten. Wir wollten Sie natürlich nach Erlaubnis fragen, jedoch brauchten Sie zu lange, um wieder zu kommen." Jetzt verschränkte Rehava die Arme vor der Brust und wartete geduldig auf eine Antwort.

Violetta musste sich unübersehbar das Lachen verkneifen und auch ich hatte Schwierigkeiten, nicht wenigstens ein bisschen zu grinsen.

"Ist das wieder einer deiner aufwendigen Ausreden?" Herr Kolsten guckte mir prüfend ins Gesicht, worauf er wohl erwartete, dass ich ihm widersprechen würde.

"Nein, ist es nicht", antwortete Violetta dann an meiner Stelle.

"Wie auch immer, das entschuldigt euer Verhalten nicht. Ihr könnt nicht einfach so abhauen, ohne mich zu fragen..."

"Ich hab doch einen Zettel geschrieben", murmelte Rehava mit der Sicherheit, das würde alles wieder gut machen.

Herr Kolsten warf ihm einen ermahnenden Blick zu, doch sein Gesicht gab zu erkennen, dass er den Brief genauso witzig fand, wie wir es taten.

"Na gut. Über die Strafen unterhalten wir uns noch. Seid bitte morgen früh um 08:30 Uhr am Lehrerbungalow. Wir werden gemeinsam mit den anderen Schülern frühstücken gehen und von dort aus direkt nach Hause fahren, also vergesst euer Gepäck nicht und räumt hier etwas auf." Er zeigte auf den Küchentisch, auf dem sich leere Verpackungen, Starbucksbecher und Kippenstümmel befanden. "Ich werde morgen eine Bungalowkontrolle durchführen und erwarte, dass hier alles wie vorher aussieht, verstanden?"

Wir nickten gelangweilt und verabschiedeten uns.

"Gar nicht so schlimm wie ich dachte", grinste ich.

"Joa...ihr könnt euch später bei mir bedanken." Rehava klopfte mir auf die Schulter.

"Letzter Abend...", murmelte Violetta.

"Ich werd das hier vermissen." Ich strich über meine Bettwäsche und schaute mich im Zimmer um.

Herr Kolsten hatte Recht.

Wir lebten in einer einzigen Müllhalde. Den Fernsehen hatte Faruk als Kleiderschrank benutzt und seine Pullover hingen unordentlich über den Bildschirm.

Irgendwie fehlte er gerade. Wie wir hier auf den Betten saßen und uns gegenseitig nochmal die Woche erzählten, auch wenn jeder von uns dabei gewesen war.

Wir lachten über die Insekten, die ich auf Faruk geschüttet hatte und darüber, wie wir durch den halben Wald gerannt sind, nur um pünktlich für Herr Kolsten im Bungalow zu sein und über unser selbstgemachtes Boot, welches aus Faruks Matratze bestand.

Bisher fiel es mir nie wirklich auf, aber wenn Faruk nicht dabei war, merkte man das auch. Er hatte an allen Erlebnissen eine genauso große Bedeutung wie wir alle und ich wusste, dass ich das irgendwie wieder gut zu machen hatte.

ViolettaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt