Faruk, Violetta und ich standen alle gespannt und vollgepackt mit Schlafsäcken vor Rehavas Wohnung und warteten, bis er runterkam. Er hatte durch die Sprechanlage gesagt, er müsse noch was vorbereiten.
...Was sich später als einen Nudelsalat herausstellte.
"Alter, was hast du vor?" Faruk hielt sein Kopfkissen ratlos in die Luft.
"Ich will mit euch zelten."
"So weit war ich auch schon", murmelte ich.
"Steigt einfach ein."
Wir fuhren mit der Klapperkiste ganze zwei Stunden lang bis die Häuser immer weniger, die Wälder immer dichter und der Himmel immer dunkler wurde.
"Ich hab's gewusst", seufzte Violetta, als wir anfingen langsamer zu fahren.
"Er entführt uns in seine sperrliche Holzhütte mitten in nem dunklen Wald, wo er uns fesseln und nacheinander langsam unsere Genitalien zerstückeln wird..."
"Alter..." Faruk vergrub den Kopf in seine Hände. "Wenn du so Fantasien hast, ist es kein Wunder, dass du Horrorfilme liebst."
Ich dachte an meinen ersten Schultag, an dem ich nachmittags das erste Mal mit ihnen abhing und wir diesen fürchterlichen Film geguckt haben.
Und jetzt würden wir vermutlich die Hauptdarsteller höchstpersönlich sein.
"Ach was", stöhnte Rehava, nachdem ich mir schon Fluchtpläne und letzte Worte ausgedacht hatte.
Nicht, dass ich an die Theorie, dass Rehava ein Mörder ist, geglaubt hatte, aber ich war der Meinung, dass es mal ein Gedanke wert war, wie ich meinen Arsch in solch einer Situation retten würde.
Wir fuhren über einen steinigen Waldweg, bei dem ich mir sicher war, dass man hier nicht fahren durfte.
Dann hielten wir an und Rehava drehte sich grinsend zu uns um. "Aussteigen, Männer!"
Violetta verdrehte genervt die Augen. "Ich habe Brüste."
"Ist uns bereits aufgefallen, glaub mir." Dabei starrte Rehava absichtlich und sehr provozierend auf ihre Brust, worauf sie ihn nur lachend wegschubste.
Manchmal war ich neidisch auf seinen Mut.
Nach fünf Minuten wandern durch dunkles Dickicht, hielt Rehava an einer Stelle an, die genauso aussah wie alles andere hier. Dennoch schien er zufrieden zu sein und schmiss seinen Rucksack erschöpft auf die Erde.
"Ok ich wage noch einen Versuch: was zum Teufel machen wir hier?" Faruk hatte den selben entgeisterten Ausdruck wie vor zwei Stunden.
"Zelten."
"Und warum hier?", fragte ich.
"Weil's hier wunderschön ist."
Violetta zog die Augenbrauen hoch und ich machte es ihr gleich, denn es war ein stinknormaler, dazu echt gruseliger und einfacher Wald.
Nach 45 Minuten stand unser Zelt.
Erstaunlich.
Faruk hatte meinen vollsten Respekt.
Rehava entfachte mit seinem Feuerzeug ein hübsches, kleines Lagerfeuer, wobei ich dachte, er würde einen Waldbrand verursachen, so unvorsichtig wie er mit dem Laub umgegangen ist.
Dann aßen wir Dosenravioli, Rehavas Nudelsalat und Chips mit Currywurstgeschmack.
Wir redeten über schöne Tage, schlechte Tage, den Urlaub, eigene Wohnungen und Faruks Blasenentzündung, die er in der Grundschule mal hatte.
"...Aber dann tat es nicht mehr ganz so weh, wenn ich pissen musste und ich konnte wieder zur Schule gehen."
"Happy End", sagte Violetta.
"Absolut."
"Dylan, erzähl uns dein peinlichstes Erlebnis", sagte Rehava dann plötzlich und ich dachte über einen Moment nach, bei dem ich mir nicht sicher war, ob er wohl nicht doch zu peinlich war, um ihn zu erzählen.
"Einmal ging ich mit meinem Freund, einem sehr...korpulenter Nerd, in die Naturwissenschafts-AG...", begann ich.
"Peinlich genug." Violetta hielt stoppend die Hand hoch.
"Was? Ich hatte nun mal keine Freunde..Außerdem war er ganz nett. Naja, ok..."
Aus irgendeinem Grund versuchte ich hier gerade einen Jungen zu verteidigen, mit dem ich gezwungenermaßen vier scheiß Jahre abhängen musste.
"Nein, Schätzchen, ich meine die Tatsache, dass du in einer Naturwissenschafts-AG warst."
Ich verdrehte die Augen. "Ha-Ha...Wie auch immer, wir gingen also zur AG, in der nur hochintelligente Wunderkinder saßen..."
Violetta lachte.
"...Und Bill Hanken war auch in dem Kurs. Und ich hatte ihn gehasst. Er war übrigens kein Wunderkind. Es gab halt auch Ausnahmen. Er hasste mich auch und hat deswegen bei meinem Experiment einfaches Olivenöl mit einer gleichfarbigen und ätzenden Säure ausgetauscht, worauf die chemische Reaktion unerwartet schnell und stark geschah... Tja, am Ende hatte ich keine Augenbrauen mehr."
Rehava lachte. "Hahaha, was?"
"Jaa... Aber eigentlich war das peinliche daran, dass ich mir vor Schreck, als die ganze Säure in mein Gesicht spritzte, ein kleines bisschen in die Hose gemacht hab."
Jetzt konnten die anderen ihre Ravioli nicht mehr essen vor Lachen.
"Verdammt. Und du sagst auch noch, wir hätten dich nicht aus dem schwarzen Loch geholt." Rehava klopfte auf meine Schulter.
Wir redeten noch lange, bis es draußen zu kalt wurde und wir uns in unsere Schlafsäcke im Zelt legten.
Leider rauchten die anderen da auch, sodass ich alle paar Minuten den Reißverschluss aufmachen musste und nach Luft schnappte.
Im Laufe der Nacht verstand ich die Magie des Waldes. Ich verstand so allmählich was Rehava an ihm fande. Er war einfach und unglaublich monoton, aber so wunderschön ruhig, verlassen und friedlich. Keiner störte, keine Stimmen, außer unsere. Ab und zu ein Astknirschen oder ein Vogelflattern. Es war pure Natur. Im Gegensatz zu den Campingplätzen, zu denen ich immer mit meinen Eltern fuhr. An denen jegliche Art von Verpackungen in Büschen lagen und der Ü40-Campingclub bis tief in die Nacht Schlager hörte und Marshmallows grillte.
Man sagt, nach guten Tagen und Zeiten würden immer wieder schlechte kommen und umgekehrt. Und bei uns war der Unterschied, dass wir genau wussten, wann diese schlechte Zeit kommen würde. Wir redeten nur nicht drüber. Wir lachten und hatten Spaß, versuchten Negatives zu verdrängen, obwohl wir alle daran dachten. Es dauerte nicht mehr lange bis Violettas Umzug bevorstand und die Vorbereitungen liefen schon in vollen Zügen. Wie zur Hölle sollte ich nicht daran denken können?
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Violetta
Storie d'amoreDylan ist 17 Jahre alt und da seine Eltern meinen, er würde auf seiner Schule in tiefe Depressionen versinken, wenn er nicht bald neue Freunde findet, beschließen sie, sein Leben vollkommen auf den Kopf zu stellen, indem sie umziehen, Dylan die Schu...