24 Risse in Mauern

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„Was mache ich denn bloß, wenn es wirklich so war, Stiles?" Derek blickte den jungen Mann an seiner Seite ratlos an: „Was mache ich, wenn sie wirklich gegen meinen Willen...? Das... das wäre ja fast so, als hätte sie mich...?"

Stiles holte tief Luft und erwiderte dann:

„Das sagst du immer wieder, Derek. Du sagst 'Das wäre fast so, als ob...', aber das ist nicht richtig, denn dann wäre es Vergewaltigung und nicht weniger als das. Punkt! Aus!"

Derek blickte ihn an, wie vom Donner gerührt. Es dauerte einen kurzen Moment, ehe er darauf antworten konnte:

„Aber..." stammelte er: „... ich bin ein Mann! Da kann sie doch gar nicht...? Ich meine... wer würde mir das schon glauben? Das ist doch lächerlich!"

„Warum ist es lächerlich? Zu denken, du könntest kein Opfer werden, bloß weil du ein Mann bist, das ist lächerlich! Weißt du, wie viele von den Jungs, die ich von der Straße kenne bereits Opfer einer Vergewaltigung geworden sind? Und bei mir selbst war es auch schon ein paar Mal kurz davor." Irgendwie hatte Stiles das Gefühl, Derek in dieser Sache nicht allzu sehr mit Samthandschuhen anfassen zu dürfen, sondern ihn mit Ehrlichkeit auf das vorbereiten zu müssen, was höchstwahrscheinlich geschehen war.

„Aber das ist doch etwas anderes! Kate ist eine Frau! Eine Frau kann einen Mann doch gar nicht zwingen!" wandte Derek hilflos ein.

Stiles seufzte:

„Kann sie doch, wenn sie den Mann, zum Beispiel mit einer Droge willenlos macht, oder etwa nicht?"

Derek sackte ein wenig in sich zusammen und schenkte ihm einen hilflosen Blick.

Stiles ahnte, was es für einen Kerl wie ihn bedeuten musste, sich eingestehen zu müssen, möglicherweise Opfer einer solchen Gewalttat geworden zu sein. Er war der Chef, der Mächtige, der, der die Geschicke so Vieler bestimmte. Einer wie Derek erlebte sicherlich nicht sehr oft Momente von Ohnmacht; nicht so, wie Stiles selbst, den sein Leben auf der Straße auf sehr gründliche Weise gelehrt hatte, dass Menschen Raubtiere waren und dass man höllisch aufpassen musste, um nicht ihre Beute zu werden.

Aber vielleicht erinnerte Derek diese Sache ja auch an ein anderes Mal in seinem Leben, als er zum Opfer geworden war; als man nämlich ihm und seiner Familie das Dach über ihrem Kopf angesteckt hatte, wobei er jeden verloren hatte, den er je geliebt hatte?

Stiles legte sehr sanft und bedächtig die Arme um den Älteren, weil er ihn auf gar keinen Fall bedrängen wollte, hauchte einen Kuss auf seine Schläfe und flüsterte:

„Lass' uns wieder zu dir nachhause fahren und versuchen, noch ein wenig zu schlafen. Morgen früh wissen wir vielleicht schon mehr!"

Derek schluckte. Dann erhob er sich von der Treppe vor dem Krankenhaus, nahm Stiles bei der Hand und sie kehrten zu Auto zurück.

Egal, was Stiles in dieser Nacht probierte, es wollte ihm einfach nicht gelingen, Derek zum einschlafen zu bewegen und irgendwann war auch er selbst vollkommen erschöpft und fühlte sich wie ein totaler Versager, denn schließlich hatte er hier bloß einen einzigen Job zu erledigen und doch gelang es ihm heute einfach nicht. Um sieben Uhr morgens gaben sie es einfach auf, erhoben sich, zogen ins Wohnzimmer vor die Glotze um und Greenburg brachte ihnen einen starken Kaffee:

„Jetzt bist du mir bestimmt böse, dass ich dir nicht helfen konnte, oder?" fragte Stiles beklommen und nahm einen vorsichtigen Schluck der heißen, bitteren Flüssigkeit.

Derek blickte ihn erstaunt an:

„Wie kommst du darauf, dass du mir nicht geholfen hättest? Ich wäre ohne dich heute Nacht höchstwahrscheinlich durchgedreht. Ich bin so froh, dass du bei mir warst, Stiles. Es hat mir immerhin ein bisschen Sicherheit gegeben."

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