Sechs

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Marika stand schon um halb sechs Uhr morgens auf, um sich ja nicht zu verspäten. Obwohl sie todmüde war und ihr das Gespräch mit dem gruseligen Typen von gestern noch in den Knochen saß, wanderte sie mit einem Lächeln durchs Haus.

Sie gönnte sich eine heiße Dusche und danach ein Marmeladenbrot und einen Tee mit Honig und Zitrone zum Frühstück. Immer noch grinsend verließ sie um Punkt halb sieben das Haus und tänzelte förmlich die Straße hinunter. 

Die warme Frühlingssonne schien ihr auf die Haut. Nur die alten Leute und die Schüler waren außer ihr um diese Uhrzeit schon auf den Beinen und die wenigen Ladenbesitzer öffneten ihre Geschäfte.

Lächelnd über die Vertrautheit, die sie bei diesem Anblick verspürte, blieb sie vor der Apotheke stehen. Sie atmete einmal tief durch, eher sie die Türklinke nach unten drückte und eintrat. Jared stand am Tresen und betrachtete ein Bündel kleiner Blüten, deren Namen sie nicht kannte.

Langsam hob er den Blick und sah sie an. "Guten Morgen, Marika." "Guten Morgen. Konntest du heute gut schlafen." Er rieb sich über die Augen und lächelte schwach. "Nicht wirklich. Aber du bist nicht hier, um über meinen Schlaf zu reden. Als erstes mal die alltäglichen Dinge. Es muss mal ordentlich geputzt werden. Morgen gehen wir Kräuter sammeln. Ich bringe dir alles bei, was du für den Job wissen musst."

"Okay. Wo ist der Besen?" Er zeigte ihr eine kleine Abstellkammer, in der es extrem nach Putzmittel roch, aber sie sah nicht eine einzige Flasche mit dem üblichen Zeug. Stattdessen standen in einem Regal einige Behälter mit bunten Flüssigkeiten.

"Reinigende Putzmittel, die hautschonend sind. Alles aus eigener Herstellung.", erklärte er. Obwohl das ziemlich beeindruckend war, hörte Marika nicht einen Funken Stolz in seiner Stimme. Eher Desinteresse. 

Plötzlich herrschte Stille. Der Raum war klein und sie konnte seinen warmen Atem im Nacken spüren. "Marika?", fragte er und sein Ton war seltsam düster. "Ja?" "Diese Kette ... woher hast du die?" Sie drehte sich um und zuckte kurz, als er nur wenige Zentimeter von ihr entfernt war. 

"Ich ... also ..." Wie sollte sie die seltsame Situation mit dem geheimnisvollen Paket erklären? "Es war ein Geschenk.", wich sie aus. Sie spürte, dass er fragen wollte, von wem. Aber er besaß wohl genug Anstand, es nicht zu tun. "Ich fang dann mal mit dem Putzen an.", bestimmte sie nach schier endlosem Schweigen.

Jared sagte nichts darauf, sondern drehte sich um und stellte sich wieder hinter den Tresen. Es dauerte bis Mittag, bis Marika jedes Spinnennetz, jedes Staubkorn und jeden Fleck in der Apotheke entfernt hatte. 

Jared hatte sich die ganze Zeit über nur einzelne Pflanzen angesehen und immer wieder etwas in einem dunkelblauen Notizbuch notiert. Als er gerade aus dem Raum war, warf Marika einen flüchtigen Blick darauf. 

Als sie auf die Seiten blickte, riss sie erstaunt die Augen auf. "Was zum..." 

Die Seiten waren leer.

Aber er hatte doch schon stundenlang irgendwas reingeschrieben! Verwirrt blätterte sie alles durch, aber nicht ein Wort war zu sehen. Benutzte er etwa Geheimtinte? Wozu sollte das ein Apotheker tun?

Als Jared wieder den Verkaufsraum betrat, sprang sie wie vom Blitz getroffen von dem Notizbuch weg und gab vor, den Tresen abzustauben. "Hast du was Interessantes in meinen Aufzeichnungen gefunden?", fragte er und Marika fuhr zusammen.

"Tut mir leid, ich ... ich wollte nur..." Was sollte sie schon sagen? Ihr erster Arbeitstag und sie spionierte ihren Chef aus! Er musterte sie ganz genau, als würde etwas suchen, was ja doch nicht da war.

"Keine Angst, ich bring dir noch früh genug was über Kräuter bei." Er gab das Notizbuch in eine Schublade mit Schloss und versperrt diese. Marika senkte den Kopf. So viel zum Thema, Vertrauen aufzubauen. 

Der Zauberlehrling (Storyadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt