Zehn

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Marika war zwar todmüde, aber schlafen konnte sie nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht. Sie trank den Tee schnell aus. Er schmeckte wunderbar und roch nach Lavendel. 

Irgendwann wurde es ihr jedoch zu blöd und sie wollte aufstehen, als sie ein leises, kaum hörbares Kichern vernahm. Verwirrt ließ sie ihren Blick durch die Dachkammer gleiten, aber da war niemand. 

Sie stand auf und schwankte leicht zu den verstaubten Bücherregalen hinüber. Und dort, im obersten Regal, saß ein seltsames, kleines Wesen. Es war mit goldenen Schuppen übersät und hatte ein längliches Maul. Zwei Flügel an der Seite und die langen Klauen ließen sie beinahe aufkreischen. 

Ein Drache. Zwischen den Büchern saß ein kleiner Drache.

Sie musste doch schreien. "Hör auf zu brüllen, da kriegt man ja Kopfweh!", beschwerte sich das Wesen mit einer kindlichen Stimme. Sie taumelte einige Schritte zurück, bis sie das gegenüberliegende Regal im Rücken spürte.

"Du bist nicht echt.", flüsterte sie. "Was denkst du denn?", fragte es, sprang auf den Boden und ging langsam auf sie zu. Sie wollte weiter zurückweichen, aber das Regal hielt sie davon ab. "Nein! Nein, das muss sich mir einbilden!"

"Tust du aber nicht!", erwiderte es und grinste frech. Sie hörte Schritte und Jared betrat die Dachkammer. Er sah erst die erschrockene Marika und dann den kleinen Drachen an. "Chalid? Was soll das? Marika bekommt noch einen Herzinfarkt!"

Er kannte dieses Ding!? 

"Tut mir leid. Aber sie ist doch sowieso Wrens Enkelin, oder?" "Ja, aber sie ist eine..." Was immer er sagen wollte, es blieb ihm im Hals stecken. Chalid sah aus, als würde er nicken. "Ich verstehe. Darum hat sie sich erschreckt." 

"Okay!", rief Marika laut dazwischen. Das war wirklich zu viel. "Ich weiß nicht, was für eine Freakshow das hier sein soll, aber das ... ihr ... " Sie fand nicht mal die passenden Worte. Sie stürmte an Jared vorbei nach unten, wo schon die nächste Überraschung wartete. 

Im Verkaufsraum fegte ein Besen über den Boden. 

Von allein.

Marika schluchzte und ließ sich an dem Treppengeländer nach unten sinken. Sie war verrückt. Jared trat hinter sie. "Marika..." "Halt die Klappe." Das hatte sie noch zu jemanden gesagt. Aber es war ihr auch egal. 

Entweder weil es ein böser Traum war, oder weil sie den Verstand verloren hatte. So oder so hielt es nicht länger aus. Sie wollte zur Tür hinaus, aber Jared baute sich vor ihr auf. "Warte mal!" 

"Lass mich sofort vorbei, du Irrer!" Sie griff zur Türklinke und Jared nach ihrem Handgelenk. "Nein! Marika, jetzt reiß dich mal zusammen und hör mir nur eine Minute zu!" Nur widerwillig ließ sie ihre Hand sinken. 

"Wenn du da jetzt raus rennst und wie eine Verrückte überall rumerzählst, dass du Drachen und magische Besen gesehen hast, dann erwartet dich etwas viel Schlimmeres, als jedes Irrenhaus." "Und was!?" "Menschen, die an dir interessiert sind, weil du anders bist."

"ICH BIN ANDERS?!?", fauchte sie. "Wer spielt denn hier Bibi Blocksberg!? In meinem Haus bewegen sich die Putzsachen nur, wenn ich sie in die Hand nehme und in meinen Regalen befinden sich nur Bücher!"

"Das ist es ja gerade!", schrie er zurück. Das sollte eben nicht so sein. Du solltest das alles hier kennen, aber deine Familie hat dich davon ferngehalten, weil das" Er nahm ihre Hand und hielt sie ihr wie ein Mordindiz vor die Nase. "normales Blut ist." 

"Und was sollte es normalerweise für Blut sein!?" "Goldblut. Magierblut, um genau zu sein." "Aha, also ist jeder auf der Welt plötzlich ein Magier und ich hab das als Einzige irgendwie nicht mitbekommen oder wie!?"

"Nein, es ... Nicht jeder Mensch. Aber ein paar. Und deine Familie gehört dazu. Wie fast jeder in Rabensdorf. Aber du ... du bist anders." Aus irgendeinem Grund hatte sie Tränen in den Augen. "Tja, dann wär das ja geklärt. Kann mich jetzt bitte für den Rest meines Lebens in dem Haus meiner zauberhaften Großmutter verkriechen?"

"Marika, komm schon. Das ist viel auf einmal und das muss schlimm für dich sein, aber es gibt wirklich Leute hier, die dir gefährlich werden könnten. Die Halskette. Ein verfluchter Talisman. Darum wurdest krank." "Also hat mich irgendjemand passiv vergiftet." "Ja." "Kann es sein, dass das dieselbe Person war, die dich angegriffen hat?"

Er biss sich auf die Lippe, leugnete es aber nicht. "Ganz sicher sogar." "Schön!" Sie warf theatralisch die Arme in die Luft. "Also, wer versucht uns umzubringen!?" Inzwischen kam auch Chalid die Treppe runtergehüpft wie eine normale Hauskatze.

"Beruhige dich erst mal. Wie soll man denn in dieser Aufregung über irgendwas reden können?", fragte er genervt. Marika rannte eine Träne über die Wange. "Jared, bitte. Ich will nach Hause. Ich will zumindest ein paar Stunden meine Ruhe."

Er sah sie an mit einem Ausdruck, den sie nicht zu deuten wusste. Schließlich ließ er sie vorbei und sie sprintete die Straße rauf Richtung Haus.

Der Zauberlehrling (Storyadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt