Kapitel 12 {old rules}

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Das Rauschen und die Dunkelheit umgaben mich und unverändert wanderte ich in diesem dunklen unendlichen Gebiet herum auf der Suche nach der Erlösung oder klischeehaft nach dem Licht, dass mich herausholen würde. Die Suche dauerte an. Das frühere Pochen kehrte zurück, dass mich stehen blieben lies. In regelmäßigen Wellen stach es in mein Herz ein und aus.
Trotz alledem war der Schmerz im Vergleich von dem Schmerz vor meiner Ohnmacht angenehm, so dass ich mich nur noch auf ihn fokussierte. Um mich herum wurde es heller und zur gleichen Zeit verschwand das Rauschen blitzartig. Ein schwacher Lichtstrahl fiel durch den Raum, der ewig andauernden Dunkelheit meines Inneren, den ich hoffnungsvoll erwartet hatte. Meine Hände streckten sich zu ihm aus in der Erwartung befreit zu werden. Befreit von allem.
Das Licht kam näher, bis ich komplett von ihm eingehüllt wurde. Das Licht linderte alle meine Schmerzen, die ich fühlen musste, folglich fand die altbekannte Leere ihren Weg zurück zu mir.
Allerdings kam ein lautes Piepen mir entgegen, dass durch meinen gesamten Körper ging vergleichbar mit einem Stromschlag. Unsicher drückte ich die Augen zusammen und streckte meine Arme noch ein Stückchen heraus. Als Reaktion darauf löste sich alles um mich auf. "Kannst du mich hören?", hörte ich eine unbekannte verschwommene Stimme in meinem Kopf klingen. Der Nebel löste sich auf und ich spürte, die sanfte Bewegung meines Fingers tippen. "Sie bewegt sich!" Wieder erkannt ich diese Stimme weit entfernt von mir reden doch ich wollte, dass sie näher an mich herankommt, damit ich sie zuordnen konnte. Irgendwas in mir ermutigte mich nicht aufzugeben.
Ein starkes Ziehen ging von meinem Finger in meinem Arm bis in meinem Oberkörper über. Diese Erfahrung war magisch, einzigartig und ungewohnt. Das Ziehen belebte mein eingefrorenes Blut, infolgedessen ich meine normalen Kräfte zurückerhielt, um dem Kampf zu gewinnen. Ein letzter Blitzschlag durchzog meinen Körper, dann endlich öffnete ich meine erschöpften Augen ein kleines Stück nur um den Schrecken meines Lebens zu bekommen.
Vor mir saßen drei besorgte Gesichter, die mich prüfend musterten und zu gleich anlächelten. Jessica und der Chef des Sicherheitsdienstes waren natürlich keine Überraschung für mich, aber das dritte Gesicht passte nicht in diese Gruppe. Das konnte doch nicht wahr sein! Blondie lehnte sich nach vorne vor mein Bett, während er abwechselnd alle im Raum abcheckte. "Hat sie es geschafft?" Jessica drückte ihn mit ihrem Arm zurück auf seinen Sitz." Ja, das siehst du doch!?Sie hat ihre Augen geöffnet!"
"Was macht er hier!" hackte ich zornig nach und setzte mich auf, der Schmerz in meiner Brust war zum Glück verschwunden. Ein winziger Erfolg, auch wenn ich noch nicht wusste wieso es so weit gekommen war. Auf meine Frage hin, stand der Chef des Sicherheitsdienstes auf und hob Bellamys Bein an. "Keine Sorge er hat eine Fußortungsgerät mit integriertem Stromschlag, allerdings wollte er unbedingt dabei sein.", antwortete er mit seiner rauen Stimme und holte einen roten Knopf aus seiner Hosentasche. "Willst du sehen, wie es funktioniert?" Er tippte ungeduldig um den Knopf herum, in der Erwartung meine Zustimmung zu bekommen. Jedoch wollte ich das auf später verschieben sollte es nötig werden.
Mit Bedacht entfernte ich die Pflaster, die mir verpasst wurden. "Danke ich werde auf dieses Angebot zurückkommen.", meinte ich ernst, damit wir schließlich zu den wichtigeren Angelegenheiten kommen konnten. Währenddessen sah ich die Erleichterung in Bellamys Gesicht aufblitzen, als der Chef sein Bein losließ, wobei er leicht nickte.
"Kurz und schmerzlos bitte, wo bin ich und was ist mit mir passiert" Ich hatte keine Lust auf leeres Gerede, da ich schleunigst Fakten brauchte, um meinen Aussetzer zu verstehen. „Du hattest starken Herzrasen, welches in einem Herzinfarkt hätte, enden können. Der Ohnmachtsanfall hat deinem Körper geholfen diese Anfälle zu und durchzustehen. Insgesamt lagst du eine ganze Woche im Koma im Krankenhaus deiner Heimatstadt. Keine Sorge wir haben dich für das beste Zimmer, welches es hier gab, eingetragen. In dieser Zeit konnten auch Bellamys Wunden heilen, weshalb er heute anwesend ist.", erklärte mir Jessica mit ihrer ruhigen Stimme, dabei versuchte sie mich zuzudecken.
Ungeduldig schlug ich die Decke weg und versuchte aufzustehen, damit ich keine weitere Zeit verschwenden musste. Zeit kostetet Geld, das ist eine alte Bekannte Regel, die weit verbreitet ist. Für mich bedeutete es folglich Zeit kostet Rache. Ohne etwas sagen zu müssen, verstand Jessica was ich vorhatte und stützte meinen zierlichen Körper, um mir hoch zu helfen. Die anderen beiden blieben einfach stocksteif sitzen. Wenn sie dachten ich würde mich ausruhen, hatten sie sich komplett geirrt. Der Wunsch nach Vergeltung, der größer war als alles andere in meinem Leben, trieb mich an. Nichts auf dieser Welt konnte diesen Durst stillen.
"Ich möchte auf der Stelle in das Anwesen zurück!“, setzte ich meinen Sicherheitschef in Kenntnis, der schon die Tür geöffnet hat. "Denkst du das ist eine gute Idee?", entgegnete Blondie zögerlich und schaute dabei auf seine Fußfessel. Wegen seiner Frage gab ich ihm einen Killerblick, so dass er gehorsam durch die Tür verschwand. Spielte er jetzt den Beleidigten? Wo waren eigentlich Jack und Charlotte?
Die ersten Schritte fielen mir schwer, nichtsdestotrotz schaffte ich es mit Jessicas Hilfe meine Koordination zurück zu holen. "Wo ist Jack und ist Charlotte mich nicht besuchen gekommen?" Zusammen liefen wir durch die Tür zu der Rezeption. "Nachdem du deinen Anfall hattest, meinte Jack, dass er das Hin und Her mit dir nicht mehr ertragen kann und er beschlossen hat nach New York zu fliegen. Charlotte hingegen war am Mittwoch hier, allerdings wurde sie wieder dringend in der Firma gebraucht. Es tut mir leid, dass er dich im Stich gelassen hat, obwohl wir schon schlimmeres durchgestanden haben miteinander.", gab sie nüchtern zu.
Sein überstürzter Rückflug war mir egal, weil ich mich auf mich selbst konzentrieren musste. Manchmal muss man egoistisch sein! Es war nur schade, dass ich kein abschließendes klärendes Gespräch mit ihm führen konnte. Rückblickend war sein Verhalten ungewöhnlich und merkwürdig, deswegen müsste ich wohl oder übel da später nachhaken.
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Vergangenheit 6 Jahre zuvor: Luna ist hier 16!
 
Wie würdet ihr diesen einen entscheidenden Augenblick in euren Leben beschreiben, der alles auf den Kopf geworfen hat? Als Stunde null oder als Neuanfang? Der Moment, in dem alles stehen bleibt und man sich nur auf seine Atmung fixiert, damit man nicht in sich zusammenfällt wie ein gebautes Kartenhaus im Kindergarten. Oft habe ich genau über diesen Komplex gegrübelt, um es verarbeiten zu können, aber in dieser Lebensetappe meiner Pubertät wusste ich noch nicht, dass es noch schlimmer seien kann. Mein größter Albtraum stand mir noch bevor und würde mich mit endlosen Panikanfällen zurücklassen. Als Folge werde ich niemals meine Schuldgefühle überwinden können.
Wie naiv ich doch durch die Welt gelaufen bin, wurde mir in den letzten Jahren oft vorgezeigt, doch dieser Knall änderte meinen Lebenssinn, meine Moralvorstellung und meine gesamte Persönlichkeit auf ewig. Die meisten Menschen würden dieses Ereignis als Trauma bezeichnen, aber ich nannte es einen Weckruf, den ich maßgeblich nötig hatte. Fressen oder gefressen werden, ganz simpel und plausibel, dass es auch Steinzeitmenschen vor uns verstanden hatten. Nun war ich an der Reihe es zu verstehen.
Meine Atmung war flach, meine Finger krallten sich hilfesuchend in den Sitz und meine Augen waren gefühlt mit eiskalten salzigen Tränen, die über meine Wangen nach unten flossen. Obwohl ich es unterdrücken wollte, gab ich mich meinen Gefühlen hin. Jede Faser meines Körpers schrie vor Entsetzen, Angst und Verzweiflung. Wie konnte er das tun? Aus dem Nichts heraus ohne Grund...
Tief in meinen Gedanken tauchte der Wunsch auf, dass ich es heute Vormittag doch beenden hätte sollen, wenn ich ungestört gewesen wäre. Dann wäre mir das vor mir erspart geblieben. Mir war kalt und heiß zu gleich wie als würde ich an einer Erkältung leiden. Sorglos wischte er das Blut von seiner plötzlich aufgetauchten Waffe an seiner Hose ab. Eine Blutpfütze war vor ihm und in ihr lag der Mann, der uns wahrscheinlich in den Graben stürzten wollte. Ich hasse ihn abgrundtief für sein Verhalten. Die Nacht war klar und ich erkannte den Mond majestätisch am Himmel hängen. Er strahlte mich förmlich an. Unverändert verbrachten wir einige Minuten an dem Tatort.
Leise öffnete Jennifer ihre Autotür und versuchte die Leiche mit meinem Vater in ihren Kofferraum zu platzieren, dabei wich sie meinem Blick konstant aus. Im Gesicht meines Vaters sah ich keine Emotionen sei es Wut, Trauer oder Angst. "Mein Vater hat einen Menschen vor meinen Augen umgebracht", wiederholte ich flüsternd, als ich meine Tränen wegwischte. Planlos blieb ich sitzen und summte eine alte Melodie aus meiner Kindheit, um mich zu beruhigen. Die Leiche wurde über den alten abgefahrenen Feldweg geschlürft.
Ich schaute direkt in sein totes versteinertes Gesicht, in dem das Einschussloch zu sehen war. Von diesem Anblick wurde mir übel, so dass ich mir die rechte Hand vor meinen Mund hielt. Das war mein Preis für meine Feigheit, ich war mir sicher. Auf der anderen Seite fühlte ich auch etwas anderes, dass durch mein Blut Floß was sich später als Gefühl Vergeltung herausstellen wird. Als sie endlich fertig waren, setzte sich mein Vater demonstrativ wortlos in das Auto und startete den Motor. Das war der Anfang vom Ende dieses Lebensabschnittes. Ein langersehnter Neuanfang ins Ungewisse...

Mein Verderben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt