Mit oder ohne T-Shirt?

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Was sollte ich nun tun? Kurz lugte ich hinter den Baum hervor, um zu gucken, ob Tobias schon fertig war. Leider war er es und stand vollkommen angezogen neben der Straße und wartete. Nebenbei untersuchte er seine Wunden an seinen Armen. „Scheiße!“, fluchte ich leise, doch er hatte es gehört und fragte mich: „Was ist los?“ Ich biss mir auf die Unterlippe, sagte dann aber: „Ich habe keine Sachen.“  „Überhaupt keine?“  „Nur Unterwäsche.“ Ich hörte ihn leise kichern. „Aha, lachen kannst du also noch.“  „Du kannst mein T-Shirt haben. Es müsste lang genug für dich sein.“ Ich grübelte einen Moment darüber nach und schaute an mir runter. Ab jetzt hasste ich mich dafür, dass ich mir nur Spitzenunterwäsche kaufte. „Nein lass es. Ich laufe nach Hause und hole mir neue Kleidung. Gehe du schon mal ins Haus. Ich komme später nach.“  „Nein! Du bleibst hier! Ich will nicht, dass dir irgendetwas passiert. Du bekommst mein T-Shirt oder gehst in Unterwäsche zu mir. Entscheide dich. Aber ich lasse dich nicht alleine loslaufen.“ Ich verdrehte die Augen und bat ihm, mir sein T-Shirt auf die Stelle zu legen, auf der er stand. Als er dann wegtrat und sich auf meinen Wunsch umdrehte, flitzte ich schnell hinterm Baum hervor, schnappte mir das T-Shirt und versteckte mich wieder. Nachdem ich mir das T-Shirt übergezogen hatte, bemerkte ich, dass es wirklich sehr groß war. Es reichte mir knapp über den Po. Zum Glück muss ich nun nicht in Unterwäsche zu seinem Haus rennen. Ich trat hinter dem Baum hervor und steuerte auf Tobias zu. Er sah auf als er mich sah und grinste höhnisch. „Das T-Shirt steht dir.“  „Halt bloß den Mund“, erwiderte ich. Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Wenn du die Wahrheit nicht verträgst…“   „Und du willst jetzt halbnackt durch dieses kleine Nest stolzieren?“   „Wäre nicht das erste Mal“, erklärte er lachend. Mir entlockte er ein Grinsen. Ich schaute in seine Augen. Sie waren zwar immer noch etwas traurig, aber zumindest war der schillernde Schein wieder zurückgekehrt. Er schritt voran und ich folgte ihm. In der Nachbarschaft war es ruhig. Nur die wenigen Vögel die hier überwinterten und das rauschen des Waldes war zu hören. Wir sprangen über den Matsch der auf der Straße lag und schlichen uns an dem ersten Haus vorbei. Dann liefen wir geschwind zu Tobias Haustür. Er kramte einen Schlüssel hinter einem Blumentopf hervor - der Topf war unbepflanzt - und schloss die Tür auf. „Sind deine Eltern nicht zuhause?“  „Nein. Sie arbeiten heute bis 21 Uhr“, antwortete er, als er die Tür wieder zumachte. Ich nickte und lehnte mich an die Wand im Flur. Es war ein kleiner Vorraum, wo nur ein Spiegel an der Wand hing. Die Schuhe konnte man in ein Schuhregal stellen. Tobias lehnte sich mit den Rücken an die Tür und schloss die Augen. Ich tat es ihm nach und ordnete kurz meine Gedanken. Ich habe es wirklich getan. Ich habe ihm meine andere Gestalt anvertraut. Was wird er nun tun? Mich verraten? Oder mich so behandeln wie vorher auch?

Für immer verfolgt | Abgeschlossen ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt