Lebensgeschichte

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Alles war schwarz. Ich sah gar nichts - außer Dunkelheit. Alles war still. Ich roch auch nichts. Da erschienen plötzlich ein rotes Augenpaar vor mir und dazu eine Stimme die flüsterte: ,,Du wirst sterben! So wie deine Eltern gestorben sind!" Die Augen kamen dichter. Ich drehte mich um und lief vor ihnen weg. Doch sie waren schnell - schneller als ich vermutet hatte. ,,Hilfe!", schrie ich vergeblich, doch meine Kehle war trocken. Plötzlich stolperte ich und fiel hin. Meine Hände und Knie waren aufgeschürft und taten höllisch weh und bevor ich aufstehen konnte, wurde ich hinten im Nacken gepackt und hochgezogen. Ich wimmerte als mir gesagt wurde: ,,Du wirst so sterben wie alle anderen vor dir! Und er wird dich töten!"  „Wer?", fragte ich weinend. Plötzlich wurde es heller und ich konnte eine dunkle Gestalt vor mir erkennen. Sie trug eine Kapuze über dem Kopf, welche ihr Gesicht verdeckte und durch den Mantel, die die Person trug, konnte ich nicht erkennen, ob sie männlich oder weiblich war. Bis ich eine, mir sehr bekannte, Stimme wahrnahm die sagte: ,,Ich werde es tun!" Die Gestalt vor mir nahm die Kapuze ab und haselnussbraune Augen starrten mir gefühllos an. ,,Tobias", flüsterte ich leise und weinte weiter. Doch seine Miene blieb gleich und seine Augen blieben kalt. „Du hast mich nie geliebt! Als ich starb, hast du mich einfach liegen gelassen! Du hast mich mit Jordan geschlafen, obwohl ich noch nicht mal ganze 2 Wochen tot war!"   ,,Aber ich liebe dich!", wimmerte ich unter Tränen. Der Griff in meinem Nacken wurde stärker und ich winselte leise. „Das nennst du Liebe?! Du bist ein verlogenes Miststück, wie meine Adoptivmutter es früher sagte!"  „Nun bring es endlich hinter dir!", wurde Tobias angeknurrt! Meine Sicht war verschwommen, aber dennoch sah ich, wie Tobias eine Axt zückte und auf mich zukam. „Tobias, bitte! Ich -"   ,,Halt den Mund!", schrie er mich an. Als er vor mir stand, hob er die Axt und ließ sie auf meinen Kopf runtersausen.

Keuchend wachte ich auf. Ich war schweißgebadet aber trotzdem war mir kalt. Ich strich mir meine Haare aus meinem nassen Gesicht und stützte meinen Kopf auf meine Hände. Plötzlich hörte ich, wie die Tür leise aufgemacht wurde. Ängstlich sah ich in Richtung Tür und atmete erleichtert auf als Jordan fragte: ,,Ist alles okay? Du hast laut geschrieen." Hatte ich das wirklich? Meine Wangen wurden rot. Zum Glück konnte man dies in dem schummrigen Mondlicht, welches in mein Zimmer fiel, nicht sehen. „Ja, es ist alles okay. Ich hab nur schlecht geträumt. Habe ich dich geweckt?" Erst jetzt bemerkte ich, dass er nur eine Boxershorts anhatte und erwischte mich dabei, wie ich auf sein Sixpack schaute. Reiß dich zusammen!, ermahnte ich mich.   ,,Ich habe noch nicht geschlafen", antwortete er. Doch ich glaubte ihm nicht. ,,Das heißt, du läufst mit Boxershorts durchs Haus?", fragte ich und lachte. Er lachte ebenfalls, setzte sich zu mir aufs Bett und fragte: ,,Wovon hast du denn geträumt, wenn ich fragen darf?" ,,Von meinem verstorben Freund." Bestürzt sah ich auf meine Finger in meinem Schoß. ,,Denkst du, dass du heute Abend noch schlafen kannst", fragte mich Jordan leise. Ich schüttelte den Kopf und sah ihm im sie Augen. Das Mondlicht schien darauf und ließ das Grün seiner Iris noch lebendiger wirken. ,,Na gut. Ich bleibe mit dir wach. Lass uns ins Wohnzimmer gehen und dort noch einen Film gucken", schlug Jordan vor. Ich stimmte ihm zu, ging davor aber noch duschen und zog mir andere Sachen an. Als ich ins Wohnzimmer kam saß Jordan auf der Couch und stellte die Sprache für irgendeinen Film ein. Er hatte sich ein schwarzes T-Shirt übergezogen, was seine Bauchmuskeln dennoch nicht versteckte. Ich setzte mich neben ihn im Schneidersitz hin und sah ihn an, da er mich anschaute. „Was?“, fragte ich verwirrt und zog eine Augenbraue hoch. „Ich überlege gerade, warum du mit deinem Freund durchgebrannt bist.“   „Kannst du mal aufhören mit diesem Gefrage? Wir sind doch nicht bei der Polizei oder so.“ Etwas niedergeschlagen stand er auf und fragte: „Willst du was trinken?“ Ich gab ihm meine „Bestellung“ auf und kurze Zeit später nippte ich an meinem Glas Wasser. Er hatte sich eine Cola geholt und schaltete nun den Film an. „Cola am Morgen?“, fragte ich und sah ihn fragend an. „Ich brauche Koffein“, erklärte er mir. „Aber wenn du müde bist, dann kannst du schlafen gehen. Ich will dich nicht aufhalten.“   „Wenn ich jetzt schlafe, dann höre ich wieder deine Schreie. Also kann ich ebenfalls nicht schlafen.“ Beschämt sah ich auf den Boden. „Aber hey! Das geht bald wieder weg. Tim hat früher auch ganz oft geschrieen“, erklärte er mir. Jetzt wurde ich neugierig. „Warum hat er denn geschrieen?“ Jordan kaute auf seiner Unterlippe, so, als würde er überlegen, ob er es mir sagen sollte. „Weil seine Mutter gestorben ist. Wir sind nämlich nur Halbgeschwister. Johann ist unser Vater, aber Tims richtige Mutter ist Elisabeth. Sie wurde ermordet und bei ihm Zimmer aufgehangen, während er bei mir übernachtet hat. Als er danach zu uns zog hat er andauernd im Schlaf geschrieen und ist nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen. Gegessen hat er ebenfalls nicht mehr. Das ist jetzt seit… einem Jahr her. Und als ich dich schreien gehört habe, musste ich sofort an Tim denken und bin zu dir rüber gegangen um nachzusehen“, erzählte er. Ich hatte die ganze Zeit zugehört und konnte nicht glauben, dass Tims Mutter in seinem Zimmer erhangen wurde, als er gerade mal 14 Jahre alt war. Meine Lebensgeschichte ist ja schon schlimm, aber seine… „Lena?“   „Sorry, ich bin gerade wieder abgeschweift. Und wer war der Täter?“, ermittelte ich. „Das war der Ehemann von Elisabeth gewesen. Sie hatte ihm immer erzählt, dass es dessen Sohn war, aber als er herausgefunden hatte, dass sie ihn betrogen hatte, hatte er sie aus Wut getötet. Er sitzt jetzt im Gefängnis“, erklärte er und wartete auf meine Reaktion. „Aber das heißt dann ja“, fing ich an: „Das euer Vater, also Johann, deine Mutter auch betrogen hat.“   „Ja, bloß der Unterschied war, dass unser Vater es meiner Mutter gleich danach gestanden hatte.“   „War sie nicht sauer gewesen?“, hakte ich nach. „Natürlich. Deshalb haben sie auch ein Jahr lang getrennt gelebt, bis sie herausgefunden haben, dass sie ohne einander nicht leben können. Sie sind dann in dieses Haus eingezogen und haben einen Neuanfang gestartet. Und als sie Tim sah, nachdem dieser seine Mutter verloren hatte, hatte sie sich ein Herz gefasst und ihn aufgenommen.“ Ich staunte. Katriina musste ein sehr großes Herz haben. Nach dem Gespräch sagte keiner etwas und so widmete ich mich wieder dem Film. Doch mir wollte Tims Lebensgeschichte nicht aus den Kopf gehen. Ich hatte sie beide vorher als Brüder abgestempelt. Sie konnten anscheinend sehr gut ihre Gefühle verstecken. Irgendwann, nachdem ich lang genug über Tim nachgegrübelt hatte, fielen mir langsam die Augen zu und ich glitt in einen traumlosen Schlaf.

Für immer verfolgt | Abgeschlossen ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt