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Spinell

In so einer schlechten Verfassung habe ich Kohaku noch nie gesehen.
Seine Augen sind rot und er hat dunkle Augenringe.
Außerdem ist er total heiß, nicht nur äußerlich. Sein Gefühlsausbruch gestern Abend hat mir beinahe das Herz gebrochen.
Ich fühle mich total schuldig, denn ich habe ihn zum Trinken angestiftet.
Langsam löse ich mich aus seinem Griff und laufe zum Waschbecken. Dort nehme ich einen Lappen und halte ihn unter kaltes Wasser. Nachdem ich ihn etwas ausgewrungen habe, gehe ich zurück zu Kohaku und lege ihm den kalten Lappen auf die Stirn.
"Es tut mir so leid", flüstere ich und drücke seine Hand. Dann lege ich mich wieder neben ihn kuschel mich an ihn ran.

Anscheinend bin ich eingeschlafen, doch als ich wieder aufwache, liege ich alleine auf dem Sofa. Ich drehe mich auf den Rücken und lege mir den Arm über meine Augen.
Dann höre ich, wie im Bad das Wasser angeht. Keine fünf Minuten später öffnet sich die Tür und Kohaku kommt zu mir.
"Ich fühle mich so erbärmlich..", murrt er, als er sich wieder hinlegt.
Sein Duft wirkt wie ein Magnet auf mich und ich liege sofort wieder ganz nah bei ihm.
"Danke, dass du da bist", sagt er und schaut mich intensiv an. Ein heißer Schauer läuft mir über den Rücken, gefolgt von einer Gänsehaut.
Diese Anziehung ist einfach...
Es sollte unmöglich sein, sich so zu jemandem hingezogen zu fühlen. Und trotzdem will ich für immer bei ihm sein. Zufrieden seufze ich auf.
"Kannst du mir noch eine Schmerztablette geben?"
"Ja, natürlich", sage ich und stehe schnell auf um ihm die Tablette zu holen.
Kohaku hat sich inzwischen aufrecht hingesetzt und lässt den Kopf hängen.
Mein Herz tut mir weh, als ich ihn so leiden sehe.
Ich reiche ihm die Tablette und ein neues Glas Wasser. Als er es ausgetrunken hat, stellt er es neben sich auf den Boden.
"Komm her", sagt er. Sofort krabbel ich zu ihm und lege mich in seine Arme.
"Erzähl mir etwas über dich. Etwas, das kein anderer weiß."
Kurz überlege ich. Was könnte ich sagen?
"Also.. Ich hatte mal ein sehr schlechte Phase, kurz nachdem ich meine Ausbildung abgeschlossen habe. In dieser Zeit habe ich immer versucht, mich irgendwie abzulenken. Bin an falsche Menschen geraten und etwas abgerutscht. Um es direkt auszusprechen.. Ich hatte mal ein heftiges Drogenproblem", nachdem ich diese Worte ausgesprochen habe, schnipst mir Kohaku gegen die Stirn.
"Wofür war das jetzt?", frage ich vorwurfsvoll.
"Drogen sind scheiße", gibt er etwas gleichgültig zurück, aber sein Blick verrät, dass er eigentlich nur besorgt ist.
"Jetzt bist du dran." Erwartungsvoll sehe ich zu ihm auf.
Er schließt die Augen und atmet tief ein.
"Ich bin ein Bluter."
Nur irgendwie kann ich damit nichts anfangen.
Fragend schaue ich ihn an.
"Also.. Mein Blut kann nicht richtig gerinnen. Kleine Kratzer hören erst nach langer Zeit auf zu bluten und manchmal bekomme ich von kleinen Schubsern blaue Flecken. Hier zum Beispiel", sagt er und schiebt den Ärmel von seinem Shirt vorsichtig hoch, "hast du mich gestern leicht geschlagen. Und trotzdem ist es blau geworden. Und manchmal geht irgendwo in mir drin etwas kaputt und Blut fließt in meine Gelenke oder Muskeln. Natürlich gefolgt von heftigen Schmerzen."
Geschockt starre ich ihn an.
"Warum hast du mir das nicht früher erzählt?", frage ich vorsichtig.
"Weil es nicht wichtig ist. Heute ist es nicht mehr so schlimm wie früher, deswegen ist es auch nicht so wichtig."
Ich finde es schon ziemlich wichtig, aber ich will ihm keine Vorwürfe machen.
Ein paar Sekunden ist es still, dann frage ich: "Warum erzählst du mir eigentlich so wenig über dich?"
Hoffentlich hat ihn meine Frage nicht verärgert. Doch er wirkt immer noch entspannt.
"Da gibt es einfach nichts Wissenswertes."
"Lüg mich nicht an."
"Es ist mir unglaublich peinlich, mit dir darüber zu sprechen. Wollen wir nicht lieber über was Anderes reden?"
Verständnisvoll sehe ich ihm in die traurigen Augen und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.
"Du kannst mir vertrauen."
Ich wünsche mir wirklich, dass er mir das anvertraut. Er seufzt kurz auf und verstärkt seinen Griff um mich etwas.
"Ich... Ich habe kein Selbwertgefühl. Ich habe dir ja erzählt, dass mein Vater mich gelegentlich geschlagen hat, wenn er mit mir unzufrieden war. Und durch meine Krankheit waren die Folgen oft schlimmer als gedacht. Ich musste einmal wiederbelebt werden... Ich war für einige Minuten tot. Und als ich aufgewacht bin, waren meine Eltern bei mir im Krankenhaus. Meine Mutter war total aufgelöst und hat geflennt wie verrückt und mein Vater.. Ich kann nicht genau wiedergeben was er gesagt hat aber..", seine Stimme versagt kurz.
"Er hat im übertragenen Sinne gesagt, dass er sich wünscht, ich wäre nicht mehr ins Leben zurückgekehrt."
Mein Herz verkrampft sich, Tränen steigen mir in die Augen und laufen unaufhörlich über mein Gesicht. Ich bin absolut sprachlos und tief in mir lodert ein Feuer der Wut auf.
Wie kann man seinem eigenen Kind sagen, man wünsche ihm den Tod?
"Es ist alles halb so wild", sagt er und wischt mir ein paar Tränen vom Gesicht.
Immer noch unfähig zu sprechen, schüttle ich meinen Kopf und forme mit den Lippen das Wort "Nein".
Ich falle ihm um den Hals und drücke ihn fest an mich.
Seine Kindheit klingt für mich wie ein Albtraum.
Doch man kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, deswegen bleibt uns nichts Anderes übrig, als das Beste aus unserer Zukunft zu machen.
Leise schluchze ich presse meine Zähne fest aufeinander, um nicht zu schreien.
Eng umschlungen liegen wir noch eine Weile auf der Couch, doch irgendwann schlägt Kohaku vor, dass wir uns mal die Beine vertreten können.
Eigentlich bin ich nicht sehr begeistert davon, weil er nicht wirklich fit ist, aber ich kann ihm den Wunsch nicht abschlagen und kurze Zeit später spazieren wir am Ufer des Meeres entlang. Die Sonne geht schon unter und lässt den Himmel in einem warmen Orange leuchten.
"Lass uns ein Foto machen!", sagt Kohaku, zückt sein Smartphone und öffnet die Kamera. Bevor ich widersprechen kann, beugt er sich runter, küsst mich auf die Wange und schießt ein Foto davon.
"Sieh mal, wie schön es geworden ist", sagt er freudestrahlend. Auch ich muss lächeln.
"Also wenn du mich fragst, dann sehe ich da aus wie ein Idiot.."
"Nein, du bist wunderschön", sagt er, während er das Display anschmachtet.
"Zufälligerweise stehe ich in Lebensgröße hier drüben."
Lachend packt er das Handy wieder weg und greift nach meiner Hand. Wie immer löst seine Berührung ein Kribbeln in mir aus und ich wünsche mir, dass wir alleine sind..
Und dann muss ich wieder an sein Geheimnis denken.
Er war tot..
Ich halte an und Kohaku dreht sich zu mir um.
So schnell wie noch nie klammere ich mich an ihn und küsse ihn etwas stürmisch.
"Danke, dass du wieder gekommen bist", flüstere ich ihm ins Ohr.
"Sonst hätte ich wohl ganz schön was verpasst", meint er zwinkernd und zieht mich weiter.
"Ich liebe es hier einfach. Schönes Wetter, Strand, soweit das Auge reicht, die tollste Frau auf Erden an meiner Seite.. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen!"
"Denk an gestern Nachmittag", flüstere ich verschwörerisch.
Sofort läuft er rot an und sagt: "Hast Recht."
Langsam machen wir uns wieder auf den Weg zurück, Kohaku soll sich auf keinen Fall überanstrengen.
Diesmal gehen wir sogar die Treppe nach oben. Und da wir unsere Finger einfach nicht voneinander lassen können, landen wir kurze Zeit später zusammen im Bett.

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