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Spinell

Das sündhaft teure Kleid, das ich trage, war mein Weihnachtsgeschenk von Kohaku. Was blieb mir da Anderes übrig, als ihm einen passenden Anzug zu schenken? Nicht gerade das beste Geschenk für einen Mann, aber er wirkte sehr glücklich darüber, nicht zuletzt, weil ich ihn ausgesucht hab.
Jetzt stehe ich im Schlafzimmer vor dem Spiegel, drehe mich hin und her und kann nicht glauben, dass das alles real ist.
Das Kleid ist etwas gewagter. Mein Oberkörper wird von weinroter Tattoospitze umhüllt, die viel Haut durchscheinen lässt, die wichtigen Stellen aber ausreichend abdeckt. Außerdem ist mein Rücken bis zum Ansatz meines Pos ausgeschnitten. Von der Hüfte fällt der Stoff fließend zu Boden und ohne meine Schuhe würde ich beim Laufen versehentlich drauftreten.
Tatsächlich fühle ich mich in dem Kleid sehr hübsch und bin mit meinem Körper zufrieden. Nicht zu dünn und klapprig und auch nicht zu kurvig.
Meine Haare habe ich so gut es geht mit einem Lockenstab gelockt und zu einer Seite gesteckt, sodass sie mir über die Schulter hängen.
Ich habe mich an einem ausdrucksstarken Makeup versucht und finde das Ergebnis ganz ansehnlich. Schließlich hänge ich mir noch große Kreolen in die Ohren und schließlich das wichtigste Detail: mein Verlobungsring. Bevor ich das Zimmer verlasse, sprühe ich mich ein wenig mit Parfüm ein.
Noch ein tiefer Atemzug, dann öffne ich die Tür und gehe aus dem Schlafzimmer. Sofort erblicke ich Kohaku, der mit der Einladung in der Hand an der Wand steht und auf mich wartet. Als sein Blick zu mir schweift, fällt ihm das Blatt Papier aus der Hand und sein Blick spricht Bände.
"Ich wusste ja, dass dir dieses Kleid steht, aber das ist echt... Wow, ich bin sprachlos", sagt er während ich auf ihn zu gehe. Kurz vor ihm bleibe ich lächelnd stehen und drehe mich einmal im Kreis.
"So muss ich doch Angst haben, dass dich mir jemand wegschnappt", flüstert er und fasst geradezu ehrfürchtig mein Haar an.
"Ich will aber nur dich", flüstere ich zurück und drücke vorsichtig meine Lippen auf seine. Sein Anzug steht ihm wie eigentlich alles, was er trägt. Seine Krawatte hat sogar die passend rote Farbe wie mein Kleid. Einfach hinreißend.
"Du siehst so umwerfend aus", murmelt er, schiebt mich ein Stück von sich und mustert mich von oben bis unten.
"Na los, wir kommen noch zu spät."
"So kann ich dich doch nicht raus lassen", sagt er und reicht mir eine Jacke, die zum Kleid passt.
"Wo hast du die schon wieder her gezaubert?"
Grinsend zuckt er nur mit den Schultern und hilft mir in die Jacke. Dann hält er mir seinen Arm zum Einhaken hin und gemeinsam laufen wir durch die Eiseskälte zum Auto.

Bei der Ankunft am Anwesen seiner Eltern, schlägt mein Herz vor Aufregung viel zu schnell. Tatsächlich graut es mir vor einem Zusammentreffen mit Heliodor.
Auf was hab ich mich hier nur eingelassen? Dennoch will ich mir meine gute Laune nicht verderben.
Nachdem wir einige Minuten schweigend auf dem Parkplatz gesessen haben, steigt Kohaku schließlich aus, geht ums Auto und öffnet mir die Tür. Dann reicht er mir seine Hand, die ich natürlich sofort ergreife und hilft mir aus dem Wagen. Ich spüre seine Anspannung und drücke seine Hand sanft.
"Ich habe auch Angst", sage ich leise und ziehe seine Krawatte mit meiner freien Hand gerade. Ein schwaches Lächeln ziert seine Lippen, als er mir über die Wange streicht und seufzt.
"Lass uns reingehen, bevor du dich erkältest", sagt er schließlich und führt mich zum Haupteingang.
Dort stehen einige im Frack gekleidete Männer, die anscheinend die Gäste empfangen. So also auch uns und kurze Zeit später befinden wir uns in einem riesigen Saal, der voller edel gekleideter Menschen ist. Lauter elegant gekleidete Damen, deren Kleider nur so um die Wette strahlen, hängen an den Armen von Männern, die für sie viel zu alt wirken.
Scheinbar geht es ihnen wirklich nur ums Geld.
Zielgerichtet koordiniert Kohaku uns durch die Menschenmengen, bis wir an einem Fenster ankommen, dort bleibt er stehen.
"Wir kommen nicht drum herum, meine Eltern zu begrüßen. Kannst du mir was versprechen?", fragt Kohaku plötzlich. Stumm nicke ich und sehe ihn neugierig an.
"Was auch immer er sagen wird, kann ich dich bitten, dass du dich zurück hältst?"
Etwas verwirrt sehe ich ihn an.
"Sieh mich nicht so an, es ist voll peinlich, dich um so etwas zu bitten", sagt er und läuft rot an.
"Nein, ist doch alles gut. Soll ich ganz still sein oder darf ich ihn wenigstens begrüßen?"
"Solange nichts aus den Rudern gerät, kannst du sagen was du willst. Aber es ist Weihnachten und da will ich nur ungern streiten."
"Kann ich verstehen."
Nach unserem kurzen Gespräch machen wir uns auf die Suche nach seinen Eltern und haben sie auch schon nach kurzer Zeit gefunden. Sie sitzen mit einigen grauhaarigen Männern auf einer schwarzen Ledercouch um einen elegant gedeckten Glastisch. Der Anblick von Heliodor löst bei mir unwillkürlich eine unangenehme Gänsehaut aus und unschöne Erinnerungen kommen hoch, doch ich reiße mich zusammen. Nicht seinetwegen, sondern für Kohaku.
Als Heliodor sein Blick auf uns landet, wirkt er für einen Moment sprachlos, winkt uns dann aber falsch grinsend zu sich.
"Und das..", sagt Heliodor an die Männer gewandt, "ist mein wunderbarer Sohn und seine Freundin. Setzt euch doch einen Moment zu uns."
Langsam nähern wir uns ihnen und ich versuche so freundlich wie möglich auszusehen. Als sich die Blicke von mir und Lysia treffen, schleicht sich ein winziges, ehrliches Lächeln auf meine Lippen. Nachdem wir Platz genommen haben, sehen mich die alten Herren lüstern an, doch ich ignoriere ihre Blicke und versuche, mich auf Kohaku zu konzentrieren.
"Champagner?", bietet einer der Männer an und reicht mir auch schon ein Glas.
"Mensch, da hat dein Sohn sich aber was geangelt, Heliodor!", sagt einer der alten Säcke und schlägt Heliodor dabei lachend auf die Schulter. Dieser tut es mit einem "Kann man so sagen" ab, nimmt einen Schluck von dem Champagner in seiner Hand und schaut mich über den Rand des Glases hinweg skeptisch an. So leid es mir tut, kann ich mir in diesem Moment einfach nicht das arrogante Grinsen verkneifen, das mein Gesicht ziert.
"Aber war für ihn nicht Rubis vorgesehen?", meldet sich ein anderer Mann zu Wort.
"Vielleicht ist es nur vorrübergehend?"
"Nein, er hat sie doch schon an sich gebunden!"
"Schade, dabei dachte ich sie wäre später wieder verfügbar.."
Etwas abwesend höre ich das Gespräch mit, muss wieder an Rubis denken und ein frostiger Schauer überkommt mich. Als ich wieder zu Heliodor sehe, ist sein Kopf hochrot angelaufen und er schaut mich voller Verachtung an.
"Ich erwarte dich um elf in meinem Arbeitszimmer", sagt er voller Kälte an Kohaku gewandt.
Um die Stimmung ein wenig zu retten, erhebt sich Lysia und sieht Heliodor an. "Ich denke es wird Zeit für einen Tanz, meint ihr nicht?"
Schnell kippe ich mir den Champagner hinter, stelle das Glas etwas zu hart auf den Tisch und stehe auf.
"Dafür sind wir hier", sage ich und gehe von dem Sofa weg. Kohaku ist mir dicht auf den Fersen und einige Meter entfernt bleiben wir stehen.
"Was war das denn?", frage ich etwas aufgebracht.
"Halt dich bitte von diesen Männern fern", murmelt Kohaku mit gesenktem Kopf und nimmt meine Hände in seine. "Tut mir leid, dass ich dich schon wieder hergeschleppt habe."
"Ist doch nichts passiert. Und jetzt zeig mir, wie man tanzt."
Vorsichtig drücke ich meine Lippen für einen winzigen Moment auf seine, dann gehen wir zur Tanzfläche, wo bereits etliche Leute zusammen tanzen. Wir können diesen Abend ja so schön wie möglich gestalten.
"Und was muss ich jetzt machen?", frage ich neugierig und sehe Kohaku erwartungsvoll an. Sein typisches, schiefes Lächeln tritt auf sein Gesicht, wenn auch nicht in voller Pracht, doch trotzdem lässt es mein Herz kurzzeitig höher schlagen.
"Du musst gar nichts machen, lass dich einfach von mir führen", sagt er bestimmend und legt rechte Hand an meine Taille, meine linke Hand an seine Schulter und schließlich nimmt er meine rechte Hand in seine linke und sieht mich schmunzelnd an. "Aufgeregt?"
"Ein bisschen schon", gebe ich zu.
"Vertrau mir, ich werde dich führen wie kein anderer."
"Daran hab ich nie gezeifelt", sage ich lächelnd und schon fängt er an, sich zu bewegen. Mit seinen Beinen schiebt er mich in die entsprechenden Richtungen und langsam aber sicher passe ich mich seinen Bewegungen an. In seinem Griff fühle ich mich geborgen, vergesse die Menschen um uns herum und genieße einfach dieses unglaublich schöne Gefühl.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, doch irgendwann gönnen wir uns eine Pause und nehmen an einem Tisch etwas abseits Platz.
"Wo hast du das gelernt?", frage ich verblüfft.
"Zuhause, bei einer Hauslehrerin", murmelt er verlegen.
"Du bist einfach unglaublich", schwärme ich.
"Ach quatsch, ich kann einfach nur tanzen."
Einige Minuten schmachten wir uns gegenseitig an.
"Meinst du, dein Vater ist sehr sauer?"
"Sauer ist das falsche Wort. Er tobt wahrscheinlich. Er wird wahrscheinlich..."
"Sprich es nicht aus. Du wirst dich wehren, okay?", sage ich eindringlich.
"Ich kann mich nicht gegen ihn wehren. Ich kann mich nicht erheben, warum weiß ich auch nicht", gesteht er. Aber ich kann ihn verstehen, Heliodor ist ein widerliches, machtsüchtiges Schwein.
"Das wird schon, ich glaube an dich."
"Du bist süß, dankeschön."
Plötzlich kommt einer der grauhaarigen Männer zu uns an den Tisch. "Wie sieht's aus junger Mann, darf ich das Fräulein zum Tanz auffordern?", fragt er und berührt mich am Arm. Sofort überkommt mich Übelkeit und ich verspüre den Drang, seine Hand weg zu schlagen. Hilfesuchend sehe ich Kohaku an und er deutet mit seinem Blick in Richtung Toiletten.
"Verzeihung, aber ich wollte mich gerade etwas frisch machen gehen", entschuldige ich mich, stehe auf und eile zu den Toiletten. Der Mann wirkt verdutzt, setzt sich dann aber auf den Stuhl, auf dem ich zuvor saß.
Bei den Toiletten angekommen, wasche ich mir als erstes gründlich die Hände und betrachte dann mein Spiegelbild. Tatsächlich mache ich in dem Kleid schon was her.
Auf einmal fängt das Licht an zu flackern, bis es schließlich ganz ausfällt. Ich versuche ruhig zu bleiben, stütze mich am Waschbecken ab und hoffe, dass das Licht einfach wieder an geht.
Ich höre, wie jemand die Tür öffnet, in das Bad kommt und die Tür hinter sich schließt. Ich bin sofort unruhig, meine Sinne spielen verrückt, weil ich keine Orientierung habe und zu allem Überfluss höre ich nun, wie die Tür ganz langsam abgeschlossen wird.
Als dann das Licht wieder an geht, rutscht mir das Herz in die Hose, meine Augen weiten sich und ich bekomme eine Gänsehaut am ganzen Körper. Ungläubig starre ich auf sein Spiegelbild, während meine Welt endgültig zusammen bricht.
"Lang nicht gesehen, Töchterchen..."

Sie gehört zu mir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt