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Kohaku

"Wer zum Teufel ist Rubis?", fragt Spinell und schaut mich vorwurfsvoll an.
Am liebsten würde ich meinem Vater jetzt ins Gesicht schlagen.
"Ich werde Rubis nicht heiraten und ich will auch nichts mit ihr zu tun haben!", wende ich mich an meinen Vater. "Diese Frau ist einfach nur krank!", sage ich und stehe auf.
Mahnend schaut er mich an und steht ebenfalls auf. Aber das ist mir jetzt egal. Was will er tun?
"Ich habe diese ganze Scheiße sowas von satt! Halt dich endlich aus meinem Leben raus, ich war doch eh nie gut genug für dich! Ich habe mir nur gewünscht, dass du ein einziges Mal stolz auf mich bist. Ich wollte einen Vater, keinen Diktator, der mir vorschreibt, was ich tun und lassen soll. Und krieg endlich deine beschissenen Aggressionen in den Griff, das kann keiner ertragen. Hör auf, meine Freundin anzustarren wie ein Besessener und wage es nicht, ein schlechtes Wort über sie zu verlieren! Sie verdient unseren größten Respekt, denn sie musste Dinge durchmachen, die für dich undenkbar sind!" Ungebremst strömen die Wörter aus mir heraus. Die angestaute Wut sprudelt nach oben und irgendwie fühle ich mich ein kleines Bisschen besser. Allerdings hält das nicht lange an, denn mein Vater ist so wütend, dass seine Adern hervortreten und sein Kopf rot anläuft. Dann holt er zum Schlag aus und ich kneife schon die Augen zusammen, doch es kommt nicht zum Aufprall. Wie aus dem Nichts ist Spinell neben mir aufgetaucht und hält den Arm meines Vaters zurück. Eigentlich ist es eine Sache der Unmöglichkeit, denn kräftetechnisch ist sie ihm weit unterlegen, aber trotzdem hat sie ihn so fest im Griff, dass er seinen Arm nicht bewegen kann.
"Lassen Sie das, Sie elender Mistkerl", sagt sie mit eiskalter Stimme und einem Blick, der töten könnte.
"Misch dich nicht ein, du elende Schlampe", brüllt mein Vater Spinell an. Sie bleibt allerdings gelassen, lässt seinen Arm los und hält sich nun an meinem fest.
"Sieh doch, was du aus meinem Sohn gemacht hast! Er hatte eine strahlende Zukunft vor sich, mit einer Frau, die perfekt zu ihm passt. Und dann kommst du billiges Miststück daher und zerstörst meinen gesamten Plan! Weißt du eigentlich, dass du mich ankotzt?", schreit er und sein hasserfüllter Blick ruht auf Spinell.
"Alles klar", murmelt sie kühl.
"Und von dir will ich gar nicht erst anfangen. Du warst von Anfang an nichts als eine Enttäuschung!", seine Worte gehen wie Pfeile auf mich herab. Spinell lässt meinen Arm los und ballt ihre Fäuste.
"Halt's Maul!", ruft sie und mein Vater schaut sie überrascht an.
"Jetzt werd' nicht frech, Kleine! Eigentlich hatte ich andere Dinge mit dir vor, aber je länger ich dich anschaue, desto wertloser scheinst du. Schämst du dich nicht?"
Ich will vortreten, denn die Worte scheinen Spinell verletzt zu haben, doch sie legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel, damit ich stehen bleibe.
Das alles tut mir so unendlich leid. Ich hätte ihr das nicht zumuten dürfen.
"Sie sind wirklich ein belangloser Mann. Was wissen Sie schon? Ich bin für Sie wertlos, weil Sie nicht wissen, wo ich herkomme? Bitteschön, Spinell Hawkens mein Name. Er sollte Ihnen  bekannt sein, oder etwa nicht? Aber nur mal eben am Rande erwähnt, weilen meine Eltern nicht mehr unter uns. Aber wie auch immer, was sie über mich denken, ist mir egal. Sehen Sie mich ruhig als wertloses Stück Dreck. Und als Vater haben Sie auf jeder Ebene versagt. Sie sind derjenige, der sich schämen sollte! Eltern sollten ihre Kinder lieben, egal was auch passiert. Es tut mir leid, Ihnen das zu sagen, aber Sie sind ein riesengroßes Arschloch. In jeder Hinsicht. Eine Schande für die Welt. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich will allein sein."
Ich bin mindestens genau so perplex wie mein Vater. Ich kann nicht mal reagieren, als Spinell zügig das Zimmer verlässt.
Ihre Worte waren sehr direkt und trotzdem hat sie zu jedem Zeitpunkt eine unglaubliche Ruhe ausgestrahlt, die ich nur bei absoluter Entspannung empfinde.
"Es tut mir leid, dass ich nicht Der bin, den du dir gewünscht hast. Aber ich lebe mein Leben selbst und ich möchte es mit ihr an meiner Seite tun. Du hättest dich wenigstens bemühen können, freundlich zu sein, zumindest zu ihr."
"Du bist für mich gestorben. Geh doch zu deiner Hure von Freundin und genieße das Leben mit ihr. Aber sollte es irgendwann mal vorbei sein, dann brauchst du bei mir nicht ankommen!"
Nach seinen Worten drehe ich mich zutiefst verletzt um und will Spinell nachgehen, doch da erblicke ich meine Mutter im Türrahmen, die Augen vor Schreck geweitet. Ich bleibe kurz stehen und entschuldige mich auch bei ihr. Verständnisvoll schaut sie mich an und streichelt sanft meine Wange.
"Ich werde immer für dich da sein", flüstert sie liebevoll.
"Danke, Mama."
Dann gehe ich durch die Flure in Richtung Ausgang, wo ich Spinell am ehesten vermute. Und tatsächlich sehe ich schon von Weitem ihren Umriss an einem Baum. Als ich näher komme, erkenne ich, dass sie mit dem Rücken zu mir steht und plötzlich schlägt sie den Baum mit der Faust.
"Fuck!", ruft sie schlägt den Baum erneut.
Vorsichtig mache ich mich bemerkbar und Spinell dreht sich ruckartig um. Man erkennt auch bei der Dunkelheit deutlich die Tränen auf ihrem Gesicht.
"Lass mich bitte einen Moment allein", sagt sie und wendet sich wieder ab.
"Ich warte am Auto auf dich", sage ich und gehe zum Parkplatz. Dieser Abend war ein ziemlicher Reinfall. Ich hatte gehofft, dass es nicht ganz so schlimm wird, aber ich habe mich wohl getäuscht. Langsam gehe ich zum Wagen und lege meine Stirn auf das kühle Metall vom Dach.
Ich hätte das einfach nicht tun dürfen. Andererseits fühlt es sich richtig an, meinem Vater wenigstens einmal die Meinung gesagt zu haben.
Wortlos kommt Spinell einige Minuten später und will direkt in die Arme genommen werden.
"Das war schrecklich..", murmelt sie in mein Hemd.
"Das tut mir so leid. Ich hätte das verhindern müssen, das hätte uns den Ärger erspart. Ist alles in Ordnung?"
"Es geht schon wieder. Ich will jetzt einfach nur nach Hause in mein warmes Bett und diesen Tag vergessen."
Sie läuft um den Wagen herum und steigt ein, ich tue es ihr gleich.
"Wer ist eigentlich diese Rubis?"
Ich wusste, dass diese Frage kommt. Aber es ist verständlich und außerdem kein Geheimnis.
"Mein Vater wollte, dass ich sie heirate. Sie ist die Tochter von einem seiner Geschäftspartner. Anfangs war sie auch ganz nett, aber.. Sie ist nicht normal. Wie soll ich das am besten sagen?"
Einen Moment überlege ich. Neugierig mustert Spinell mich von der Seite.
"Sie war wie besessen von mir und jagte mir regelrecht Angst ein. Ich wollte nichts mit ihr zu tun haben, aber mein Vater hat mich immer gezwungen, Zeit mit ihr zu verbringen." Unangenehme Erinnerungen kommen hoch.
"Rubis wollte über mich bestimmen, ich sollte ihrer Meinung nach keine Freunde haben und mein gesamtes Leben ihr widmen. Aber wer will schon so jemanden an seiner Seite?"
"Wie bist du sie los geworden?"
"Ich bin sie nie wirklich losgeworden. Sie ist wie ein Stalker und taucht einfach so irgendwo auf, um mich zu beobachten. Das letzte mal, dass ich sie gesehen habe, ist aber schon etwas her."
"Vielleicht ist sie zur Vernunft gekommen?"
Wohl kaum. Aber ich lasse diese Frage unbeantwortet und der Rest der Fahrt verläuft ruhig. In der Wohnung angekommen, machen wir uns so schnell wie möglich bettfertig und fallen erschöpft ins Bett. Sogar die Stimmung zwischen uns beiden ist etwas bedrückt.
"Danke, dass du mich verteidigt hast", flüstere ich.
"Das ist doch selbstverständlich", antwortet sie und und zieht die Vorhänge zu.
"Also unsere Väter können sich in Sachen Kotzbrocken ja echt das Wasser reichen", scherzt Spinell und macht die Nachttischlampe aus. Dann kommt sie zu mir ins Bett und macht es sich in meinen Armen bequem.
"Gute Nacht", flüstere ich und küsse sie auf den Scheitel.
Dieser Tag hatte es so in sich, dass ich kurz darauf einschlafe.

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