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Kohaku

"Heute Morgen ist was Seltsames passiert", sagt Spinell während sie in ihr Brötchen beißt. Die letzten drei Tage sind ruhig verlaufen, aber das muss ja Nichts heißen.
"Was denn?"
"Ich hab eine Frau über den Haufen gerannt. Aber sie schien sich darüber zu freuen, also denke ich zumindest. Sie hat die ganze Zeit so komisch gelächelt. Auf jeden Fall habe ich mich entschuldigt und ihr angeboten, ihr beim Bäcker einen Kaffee als Entschädigung zu spendieren. Auf dem Weg zur Bäckerei hat sie sich die ganze Zeit an meinem Arm fest geklammert und wirkte überglücklich, ich war richtig durcheinander und hab mir am Ende auch noch meinen eigenen Kaffee übergekippt", erzählt sie.
"Das nenne ich dann tollpatschig", sage ich lachend. Allerdings kommt mir das ganze nicht ganz geheuer vor, deswegen frage ich sicherheitshalber: "Wie sah sie denn aus?"
"Lass mich kurz nachdenken.. Ihre Haare waren blau gefärbt und haben überhaupt nicht zu ihren stechend grünen Augen gepasst. Ansonsten war sie etwas größer als ich und eher mädchenhaft gekleidet. Also einen Rock und so etwas halt."
Erleichtert atme ich aus. Diese Beschreibung passt eigentlich nicht zu Rubis.
"Was noch komischer war, sie wollte meine Handynummer haben. Ich hatte mein Handy aber nicht bei und auswendig kann ich die Nummer erst recht nicht. Darüber wirkte sie sehr enttäuscht, aber ich wollte dann auch wieder los, weil sie irgendwie unheimlich war. Ich bin sogar extra schnell gelaufen, damit sie mir nicht nach läuft."
Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich. Was, wenn es doch Rubis ist? Ich will sie absolut nicht wieder sehen.
"Vielleicht solltest du lieber aufhören, morgens joggen zu gehen", schlage ich vor.
"Warum?", fragt sie enttäuscht.
"Das kommt mir irgendwie alles seltsam vor. Was, wenn dir diese Frau irgendwo auflauert?"
"Dann weise ich sie höflich darauf hin, dass sie mich in Ruhe lassen soll?"
Das macht die Sache auch nicht besser. Wenn es wirklich Rubis ist, dann sind wir am Arsch. Und dann wird sie Spinell auf jeden Fall auflauern.
"Ich mach mir nur Sorgen um dich. Stell das Laufen für ein paar Tage ein. Bitte."
"Na gut.. Aber nur, weil du es bist", murrt Spinell.
Für einen Moment bin ich beruhigt.
Nach dem Essen räumen wir die Lebensmittel zurück in den Kühlschrank.
"Wir müssten heute unbedingt einkaufen gehen", bemerke ich beim Betrachten des Inhalts.
"Dann lass uns das jetzt machen, nachher wollte ich dich nämlich nochmal herausfordern!"
Schmunzelnd gehe ich auf sie zu und lege meine Hände an ihre Hüften.
"Leider hast du keine Chance gegen mich", stichle ich und ziehe sie noch näher an mich heran.
"Ich mach dich fertig", flüstert sie und streckt sich zu mir hoch, um mich zu küssen.
"Ich ziehe mir noch was Anderes an, dann können wir los. Hilfst du mir beim Aussuchen?"
Verwundert schaue ich sie an.
"Warum soll ich eigentlich immer deine Kleidung aussuchen?"
"Na weil ich nur dir gefallen möchte", sagt sie voller Freude.
Ihre Aussage erwärmt mein Herz und ich suche ihr letztlich einen roten Pullover aus, in dem sie fast untergeht.
"Muss der eigentlich so riesig sein oder hast du mir den geklaut?"
Eigentlich kann ich mich nicht erinnern, so einen alarmroten Pullover zu besitzen.
"Das nennt man glaube ich oversized und das ist modern", sagt sie zufrieden.

Im Supermarkt suchen wir uns die üblichen Dinge zusammen, als Spinell sich plötzlich hinter mir versteckt.
"Bleibt so stehen! Da ist Die von heute Morgen!", flüstert sie aufgebracht.
Neugierig halte ich Ausschau nach blauen Haaren und entdecke die Frau einige Meter entfernt mit einem Kunden sprechen. Sie gestikuliert wild herum, dann schüttelt der Mann seinen Kopf und wendet sich ab. Ich beobachte die Frau weiterhin und sie geht schnurstracks auf die nächste Kundin zu. Wahrscheinlich stellt sie den Leuten irgendwelche Fragen. Auf mich macht sie jedenfalls keinen gefährlichen Eindruck.
Als die Frau sich dem nächsten Kunden widmet, ergreife ich unsere Chance und versuche, so schnell wie möglich in den nächsten Gang zu wechseln, zu den Süßwaren. Spinell folgt mir auf Schritt und Tritt, sie klammert sich regelrecht an meinen Arm.
"Hey, Sie in dem roten Pullover!", ruft eine Stimme und Spinell erstarrt. Ich versuche sie noch ein Stück weiter zu ziehen, aber es ist sinnlos.
Wir drehen uns um und die Blauhaarige steht vor uns. Ihre Augen haben diesen widerlich arroganten Ausdruck wenn sie mich anschaut und ich weiß sofort, dass es Rubis ist. Aber sie beachtet mich nicht weiter, sondern setzt ein strahlendes Lächeln auf und wendet sich an Spinell.
"Da bist du ja!", sagt Rubis und wirft sich Spinell um den Hals. Diese krallt sich mittlerweile in meinen Arm und schaut mich hilflos an.
"Rubis, lass sie in Ruhe", sage ich leise.
Sie geht einen Schritt zurück und wirft mir einen schadenfrohen Blick zu. "Sonst was? Was willst du tun? Mich schlagen?"
"Er nicht. Er ist doch kein Frauenschläger! Dafür übernehme ich das liebendgern", sagt Spinell bedrohlich. Sogar ich bekomme eine Gänsehaut.
"Ernsthaft Rubis, verschwinde einfach. Ich will nichts mit dir zu tun haben", sage ich und schaue sie finster an. Aber sie lächelt nur und will Spinell am Arm berühren, doch sie weicht sofort einige Schritte zurück und kracht fast in ein Regal.
"Fass mich nicht an!", knurrt sie.
"Können wir das bitte draußen klären? Die Leute gucken schon", werfe ich ein.
Wir gehen zur Kasse und bezahlen den Einkauf, dann bringen wir alles zum Auto und verstauen es. Rubis folgt uns die ganze Zeit und Spinell wirft ihr durchgehend tödliche Blicke zu.
"Was willst du, Rubis?", frage ich schließlich. Sie zaubert ein gefälschtes Lächeln in ihr Gesicht und sagt: "Dich, was sonst?"
Spinell verdreht ihre Augen und wendet sich ab.
"Ich möchte aber nichts von dir. Wann verstehst du Das endlich?"
"Du wirst schon noch sehen, was du davon hast", sagt sie süffisant, verabschiedet sich dann und entfernt sich von uns.
"Sie nervt!", murrt Spinell.
Jetzt werden wir sie wahrscheinlich auch nicht los, zumindest vorläufig.
"Die gehört doch eindeutig in die Klapper!", fluchend steigt Spinell ins Auto. Etwas benommen setze ich mich ans Steuer und fahre nach Hause, kontrolliere im Rückspiegel aber immer wieder, ob Rubis hinter uns ist. Zur Sicherheit fahren wir eine extra Runde und in der Wohnung angekommen, schließe ich die Tür von Innen ab, mache alle Fenster zu und ziehe die Vorhänge zu.
"Ich will sie einfach nur schlagen!" Spinell läuft die ganze Zeit aufgebracht vor dem Fernseher hin und her.
"Bist du gerade wütend?", frage ich. Sie schaut mich nur an und fragt: "Was denn sonst?"
"Dann greif mich an!"
Gesagt getan, der erste Schlag saß sogar halbwegs. Man spürt die Wut in ihren Angriffen förmlich, dieses Mal setzt sie ihre gesamte Kraft in jeden einzelnen Angriff und ich kassiere den ein oder anderen Schlag oder Tritt. Nach einer dreiviertel Stunde werden ihre Angriffe schwächer und nach einer ganzen Stunde sitzt sie erschöpft auf dem Boden.
Genau so muss das Training ab jetzt immer sein.
"Wie werden wir die los?", fragt Spinell nach einer Weile. Ich setze mich ihr gegenüber auf den Boden und denke nach. Aber mir fällt auch Nichts ein, deswegen sage ich nichts.
"Das macht mich echt rasend. Was will sie erreichen?"
Sie wollte schon immer das, was sie eigentlich nicht haben kann und nahm es sich dann mit Gewalt.
"Sie ist einfach ein aufdringliches Miststück mit Minderwertigkeitskomplexen", sage ich und balle meine Fäuste.
Jetzt, da ich mein Glück gefunden habe, soll sie mir nicht dazwischen funken.
"Solche Wörter hast du ja noch nie in den Mund genommen", sagt Spinell schmunzelnd.

Der restliche Tag verläuft schleppend und wir gehen schon um 22 Uhr ins Bett. Nur Schlaf finde ich keinen. Ich drehe mich hin und her und versuche, Spinell nicht aufzuwecken, als mich ein kühler Windzug streift. Dabei sind alle Fenster zu gewesen und Spinell hatte keins geöffnet. Ich stehe auf und schleiche aus dem Schlafzimmer und tatsächlich steht im Wohnzimmer ein Fenster weit offen und die Vorhänge wehen im Wind.
Seltsam..
Schnell schließe ich das Fenster und ziehe die Vorhänge wieder zu, laufe noch einmal durch die ganze Wohnung, aber kann nichts Verdächtiges entdecken. Mit einem mulmigen Gefühl gehe ich zurück ins Bett und ziehe Spinell ganz nah an mich. Einige Minuten vergehen, in denen ich meine Augen offen halte und angestrengt auf Geräusche lausche.
Gerade als ich wieder die Augen schließen will, höre ich fließendes Wasser. Schnell stehe ich auf, gehe ins Wohnzimmer und mache das Licht an. Das Geräusch kommt aus der Küche, denn der Wasserhahn läuft dort. Ich mache ihn aus und will ins Schlafzimmer eilen. Wir müssen hier unbedingt weg, es ist nicht sicher. Ich bekomme eine Gänsehaut und als ich den Türrahmen vom Schlafzimmer erreiche, packt mich jemand von hinten und drückt mir ein Stück Stoff auf den Mund. Ich versuche meinen Angreifer abzuschütteln, aber ohne Erfolg. Schließlich gehe ich zu Boden und blicke noch kurz ins finster lächelnde Gesicht von Rubis, ihre jetzt wieder roten Haare umrahmen ihr Gesicht und lassen sie wie eine Hexe wirken.
Dann verliere ich mein Bewusstsein.
Mein letzter Gedanke ist, dass sie Spinell in Ruhe lassen soll.

Sie gehört zu mir Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt