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Spinell

Als ich die Augen aufschlage, spüre ich ein unglaubliche Leere in mir. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Kohaku nicht mehr hier ist.
Mein Kopf dröhnt noch etwas, aber es ist auszuhalten.
Verschlafen richte ich mich auf und reibe mir die Augen.
Dann stehe ich auf und gehe ins Badezimmer, um mich ein wenig frisch zu machen. Beim Anblick meines Spiegelbilds erschrecke ich kurz. Meine Augen wirken viel zu groß und meine Haut ist sehr blass. Meine dunklen Haare umrahmen mein Gesicht und lassen mich wie einen Geist wirken. Außerdem sind sie viel zu lang, vor allem mein Pony.
In Gedanken erstelle ich eine Liste mit Dingen, die ich in nächster Zeit tun muss.
1. Haare abschneiden. Und vielleicht färben.
Nachdem ich geduscht habe, gehe ich nach unten, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll.
Dort lenkt der Tisch seine Aufmerksamkeit auf mich, denn dort liegt der Schlüssel, ein Zettel und Geld.
Neugierig nehme ich den Zettel und lese, was dort steht:

Meine Liebste,

Schon bei der Anrede muss ich schmunzeln, doch gleichzeitig treibt es mir Tränen in die Augen.

wenn du das hier liest, sitze ich wahrscheinlich schon längst im Flieger. Aber das ist vielleicht auch besser so.
Ich muss mich auf jeden Fall nochmal bei dir entschuldigen. Ich habe viel nachgedacht und weiß jetzt, dass ich einen großen Fehler gemacht habe.

Meine Sicht verschwimmt kurz und Tränen fallen auf das Blatt. Ich blinzle ein paar mal, um die Tränen los zu werden und lese dann weiter.

Vielleicht klingt es wie eine Ausrede, aber ich habe Schwierigkeiten damit, mich anderen Leuten gegenüber zu öffnen. Ich hoffe wirklich, dass du nachsichtig bist und mir verzeihen kannst.

Idiot. Als könnte ich bei ihm nachtragend sein.

Also was ich dir eigentlich noch sagen wollte..
Ich liebe dich. Egal was kommt, ich liebe nur dich. Und ich bin dankbar, dass es dich gibt. Du machst mein Leben komplett.
Wahrscheinlich, oder nein, mit Sicherheit wirst du jetzt weinen und willst mich zum Mond schießen.
Aber bitte, bleib stark und warte auf mich. Ich komme wieder.
Du wirst bestimmt auch abreisen wollen, deswegen habe ich dir einen Flug gebucht, morgen um sechs Uhr. Das Ticket liegt in deinem Nachttisch, genau wie mein Autoschlüssel, damit du dir kein Taxi nehmen musst. Aber BITTE fahr vorsichtig, die Karre hat ein Vermögen gekostet.
Fahr zu der Adresse, die auf der Rückseite steht, dort solltest du in Sicherheit sein. Es ist eine kleine Wohnung, die Schlüssel dafür sind ebenfalls in deinem Nachttisch.
Wenn nicht, dann flieh und versteck dich irgendwo, wo es sicher ist.
Tu bitte nichts Unüberlegtes und pass auf dich auf.
Ich liebe dich.
Kohaku

Beim Lesen muss ich mir auf die Lippe gebissen haben, denn ich habe den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Und das nur, um weitere Tränen zu unterdrücken.
Ich drücke den Zettel fest an mich.
"Dieser verdammte Idiot.."
Ich beschließe, schon mal meine Sachen zu packen und gehe wieder nach oben, den Zettel natürlich immer noch an mich gedrückt.
Ich ziehe die Schublade vom Nachttisch auf und tatsächlich liegt dort ein Flugticket, ein Autoschlüssel und ein Wohnungsschlüssel. Diese Sachen lege ich erst mal auf das Bett und hole meinen Koffer vom Schrank. Das Packen geht schneller als gedacht.
Ich schaue auf mein Handy und habe eine neue Nachricht. Von Kohaku natürlich.

Ruf an, wann immer dir danach ist. Wenn ich nicht ran gehe, rufe ich später zurück.

Tief durchatmen.
Erst jetzt bemerke ich das Hintergrundbild. Ich liege schlafend im Bett und Kohaku lächelt sein schiefes Grinsen, das, dass ich so mag.
Dieser Idiot!
Ich verspüre einen Stich ins Herz.
Bald kann ich wieder bei ihm sein. Es sind nur ein paar Wochen.
Ich setze mich auf das Bett und lese seinen Brief wieder und wieder und wieder.
Dann fällt mir der Pullover wieder ein, den er mir hier gelassen hat. Schnell greife und danach und halte ihn an mein Gesicht. Sein Geruch ist genau so intensiv wie vorher.
Er ist auch erst seit ein paar Stunden weg.
Unsicher nehme ich mir wieder mein Handy und rufe Kohaku an.
Wirkt das nicht doch etwas aufdringlich?
Nach dem ersten Klingeln lege ich schnell wieder auf.
Er ist sicher beschäftigt.
Doch nicht mal zehn Sekunden später klingelt mein Handy und Kohaku ruft zurück.
Mit zitternden Händen nehme ich den Anruf an.
"Hallo?"
"Du hast angerufen, ist alles okay?"
Seine Stimme ist wie Balsam für meine Seele. Ich kann mich sogar ein bisschen entspannen.
"Ich wollte nur deine Stimme hören", gebe ich zu.
Am anderen Ende höre ich ihn leise lachen.
"Lach mich nicht aus."
"Mache ich nicht. Ich finde es nur süß."
"Achso. Dann lass dich von mir nicht weiter stören."
"Du störst nie."
"Ich möchte meine Haare abschneiden. Was hältst du davon?"
"Solange es keine Glatze ist, bin ich einverstanden."
"Was heißt hier einverstanden?! Ich bin doch schon alt genug.."
"Ich glaube ich finde dich aber mit Haaren hübscher. Aber wenn du gerne eine Glatze willst, kannst du das natürlich auch.."
"Okay, hab schon verstanden", falle ich ihm lachend ins Wort.
"Haare schneiden klingt gut, ehrlich. Dann erkennt man dich nicht sofort."
"Okay."
Kurz ist es still.
"Ich liebe dich."
"Ich dich auch. Bis bald."
"Bis bald."
Damit ist unser Telefonat beendet.
Das Auflegen fällt mir etwas schwer und ich sitze noch einige Minuten da und starre das Bild an.
In weniger als zwölf Stunden geht mein Flug. Ich packe das Nötigste in eine kleine Handtasche und den Rest verstaue ich im Koffer. Dann stelle ich mir einen Wecker zu drei Uhr, lese Kohaku seinen Brief noch einmal, ziehe seinen Pullover über und zwinge mich dann, zu schlafen.

Der Flug verläuft reibungslos und jetzt sitze ich in Kohaku seinem Auto. Allerdings traue ich mich nicht, los zu fahren. Nicht, dass ich keinen Führerschein hätte, aber das Auto gehört immerhin Kohaku. Wenn ich da einen Kratzer rein mache, wird er mir sicher böse sein. Die Adresse habe ich schon ins Navi eingegeben. Es sind eineinhalb Stunden Fahrt.
Nach einigen Minuten starte ich den Motor und fahre vorsichtig aus dem Parkhaus. Der erste Teil der Fahrt verläuft etwas holprig, denn der Wagen hat ordentlich Feuer unter'm Hintern.
Aber nach kurzer Zeit habe ich ein Gefühl für das Auto entwickelt und kann sogar kurzzeitig mit 260 km/h über die Autobahn brettern. Das Gefühl der Geschwindigkeit ist unglaublich, ich fühle mich richtig mächtig.
Nicht mal eine Stunde später parke ich sicher in der Tiefgarage vom Hochhaus, nehme meine Sachen und gehe zum Fahrstuhl. Die Wohnung befindet sich ganz oben und ist die einzige ohne ein Namensschild.
Sie ist klein und gemütlich eingerichtet, sodass ich mich sofort wohlfühle.
Nur leider habe ich ein kleines Problem.. Der Kühlschrank ist leer und ich bin am verhungern.
Eigentlich habe ich keine Lust einzukaufen. Aber es wird auch sonst keiner für mich tun.

Im Supermarkt wusste ich gar nicht, was ich kaufen sollte. Am Ende kam es mir viel zu viel vor, aber ich habe zur Sicherheit trotzdem alles genommen.
Und jetzt stehe ich hier mit knurrendem Magen in der Küche und warte, dass meine Nudeln fertig werden.

Nach dem Essen wasche ich schnell das Geschirr ab und packe meine Sachen aus. Ich bin so frei und lege alles über Kohaku seine Sachen, da ich demnächst alleine bin.
Danach mache ich es mir im Wohnzimmer bequem und schaue ein wenig Fern.
Man, das wird wahrscheinlich eine ziemlich langweilige Zeit ohne ihn..

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