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Spinell

Als ich meine Augen panisch aufschlage, ist um mich herum nur weiß. Langsam nimmt meine Umgebung Gestalt an und ich finde mich in einem Zimmer des Krankenhauses wieder. Leicht benommen versuche ich mich auf zu setzen, spüre aber einen stechenden Schmerz in meiner Bauchregion und lasse mich sofort zurück fallen.
"Ist alles in Ordnung mit Ihnen?", höre ich eine älter klingende Stimme sagen. Ein Blick nach links verrät mir, wer da spricht. Eine alte Frau liegt neben mir in einem Pflegebett und schaut mich unsicher an.
Ich will etwas sagen, doch mein Hals ist wie ausgetrocknet und kein Ton kommt heraus. Auf meinem Nachttisch entdecke ich ein Glas Wasser und greife danach, doch ein dünner Schlauch behindert mich. Er führt von meiner Hand in eine Flasche, die mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. Ich ziehe den Schlauch aus der Flexüle an meiner Hand und schmeiße ihn zur Seite, lasse die Nadel aber vorerst stecken, setze mich dann hin, ignoriere aber den Schmerz und greife nach dem Wasserglas und trinke etwas. Erst jetzt merke ich, dass ich nicht mehr meine eigene Kleidung trage, sondern eines dieser Krankenhaushemden, die am Rücken zusammen gebunden werden.
"Wo sind meine Sachen?", frage ich mit kratziger Stimme und sehe meine Zimmergenossin an.
"Meine sind im rechten Schrank, wenn Sie welche haben, sollten sie im Linken sein. Aber Sie sollten nicht einfach so den Schlauch aus ihrer Hand ziehen. Soll ich Ihnen eine Schwester rufen?"
"Eher sterbe ich", murmle ich und stehe auf. Mit wackeligen Beinen und übermäßigen Schmerzen laufe ich zu dem Schrank und finde darin meine Sachen. Die eingesaute Hose, meine Unterwäsche und das demolierte Oberteil. Frustriert schmeiße ich alles in den Müll, muss mich dann aber vor Erschöpfung wieder setzen und durchatmen.
"Wo finde ich die Rezeption?", frage ich die Frau.
"Ich glaube Sie müssen einfach nach links, wenn Sie das Zimmer verlassen. Wenn Sie an den Fahrstühlen sind, halten Sie sich rechts, aber falls Sie jemand fragt, Sie haben das nicht von mir!", antwortet sie und zwinkert mir zu.
"Ich danke Ihnen. Gute Besserung!", mit diesen Worten verlasse ich vorsichtig das Zimmer und spähe auf den Gang hinaus. Da keiner zu sehen ist, gehe ich so unauffällig wie möglich nach links und komme kurz darauf auch schon bei den Aufzügen an. Dann wende ich mich nach rechts und gehe den Gang entlang, bis ich bei der Rezeption ankomme.
An dem Tresen bleibe ich stehen und frage eine der Damen aufgebracht: "Ich suche meinen Freund, wo finde ich ihn?"
"Wie heißt ihr Freund denn?"
"Kohaku."
"Ich bräuchte den Nachnamen", sagt sie gelangweilt und schaut mich an, als wäre ich zurückgeblieben. Allerdings weiß ich seinen Nachnamen nicht mal, also sage ich: "Ich weiß seinen Nachnamen nicht."
Genervt verdreht sie die Augen und tippt auf der Tastatur vor sich herum und sagt dann: "Der einzige Kohaku den wir zur Zeit haben, liegt auf der Intensivstation."
"Wo finde ich die?"
"Ist ausgeschildert", mit diesen Worten wendet sie sich ab und schüttelt noch dem Kopf, aber ich drehe mich auch schon um und laufe los. Einige Minuten irre ich herum, finde die Intensivstation schließlich aber doch noch und klingle am Besuchereingang.
"Ja?", meldet sich eine Stimme an der Gegensprechanlage.
"Ich will meinen Freund besuchen", sage ich und merke, wie mir Tränen in die Augen steigen.
"Ihr Freund war wer nochmal?"
"Kohaku."
Kurze Stille, dann surrt es kurz und die Besucherschleuse öffnet sich. Unbeholfen stolpere ich hinein und stehe in einem Gang, als eine junge, in rot gekleidete Pflegerin auf mich zukommt und mich anspricht.
"Sie sind die Freundin vom Neuzugang?", fragt sie mich freundlich. Unsicher nicke ich und sie sagt: "Dann folgen Sie mir bitte."
Zügig läuft die Pflegerin vor und ich gehe ihr so schnell es geht nach.
Plötzlich bleibt sie kurz vor einem Fenster stehen und dreht sich um. Ihr Gesicht wirkt etwas ernster als sie sagt: "Bitte erschrecken Sie sich jetzt nicht."
Verwirrt schaue ich sie an, doch sie geht nur zur Seite und sagt schließlich noch: "Ich lasse sie jetzt ein wenig in Ruhe. Sorgen sie dafür, dass er sich nicht aufregt, wir können ihm nicht noch mehr Medikamente zur Ruhigstellung geben. Ich denke sie sind die Frau, dessen Namen er im Halbschlaf immer murmelt", dann lächelt sie noch einmal und geht dann in die Richtung aus der wir gekommen sind davon.
Nervös atme ich durch und gehe einen Schritt vor. Die Jalousien des Fensters sind unten, aber man hört ein gleichmäßiges Piepen aus dem Raum. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst, gehe vor zur Tür und riskiere einen Blick nach Innen.
Der Anblick, der mir geboten wird, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Kohaku liegt dort, die Augen geschlossen, eine Atemmaske im Gesicht und angeschlossen an lauter Geräte. Eins zeichnet seinen Herzschlag auf, kontrolliert seinen Blutdruck, seine Sauerstoffsättigung, zwei Infusionen laufen in seine Hände, aber das größte Übel ist eine Maschine, die ihm am Arm Blut abzapft und an dem Einstich gegenüber wird es ihm wieder zugeführt. Vorsichtig gehe ich auf ihn zu und berühre ihn an der linken Hand, wo er, genau wie ich eine Flexüle hat, in der nichts steckt.
Dass er wieder am Leben ist, ist eine so große Erleichterung für mich, dass ich bitterlich weinen muss. Ich sinke auf meine Knie, halte Kohakus Hand an mein Gesicht und weine, weine, weine.
Als ich leise aufschluchze, bewegt Kohaku seinen Daumen langsam über meine Wange und wischt somit einige Tränen beiseite. Ich blicke hoch zu seinem Gesicht und sehe, dass er mich durch halb geöffnete Augen ansieht. Und wenn ich mich nicht täusche, lächelt er sogar ein wenig.
Langsam stehe ich auf und nehme Kohakus Hand zwischen meine.
"Hey", flüstere ich und setze mich vorsichtig zu ihm auf die Bettkante.
"Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt", sage ich mit zitternder Stimme und drücke seine Hand leicht. Er hebt seine andere Hand, nimmt sich die Beatmungsmaske vom Gesicht und flüstert: "Ich hab doch gesagt, dass du mich nicht so schnell los wirst." Seine Aussage bringt mich zum schmunzeln.
"Du verdammter Idiot", sage ich durch zusammen gebissene Zähne. Plötzlich zieht Kohaku an meinem Arm und ich weiß, was er will. Naja und ich will es natürlich auch.
Vorsichtig küsse ich ihn und fühle mich sofort besser als vor wenigen Minuten. Doch dann piept ein Gerät laut auf und ich löse mich von ihm. Ein Blick auf den Monitor zeigt, dass seine Sauerstoffsättigung unter 95 ist und ich greife nach der Atemmaske.
"Du musst sie wieder aufsetzen", sage ich und befestige sie wieder. Dann landet sein Blick auf unseren umschlungenen Händen und er mustert die Flexülen. Fragend sieht er mich an und ich sage nur: "Reden wir lieber nicht drüber. Sie haben mich betäubt und von dir weg gezerrt."
Er schüttelt lachend den Kopf und macht seine Augen wieder zu, seine Hand hält meine fest umschlossen. Mit meiner freien Hand streiche ich ihm einige Haare aus dem Gesicht und halte danach seine Hand, bis er wieder eingeschlafen ist.

Irgendwann muss ich auch eingeschlafen sein, denn Stimmen reißen mich aus der wohligen Wärme des Schlafes. Als ich die Augen aufschlage, liege ich mit dem Kopf ein Stück unter Kohakus Brust und spüre seinen gleichmäßigen Atem. Ich richte mich auf und sehe einen Arzt und die junge Pflegerin von vorhin vor der Maschine stehen, die Kohakus Blut ein- und auspumpt.
"Was ist das für ein Gerät?", frage ich müde.
"Damit wird das Blut ihres Lebensgefährten entgiftet und gereinigt", erklärt die Pflegerin, "Wir sind damit aber schon fertig. Es wurden mehrere Maßnahmen gegen die Vergiftung unternommen, wir haben seinen Magen ausgepumpt und ihm Aktivkohle verabreicht. Sie müssen darauf achten, dass er die übrigen Tabletten dort innerhalb der nächsten zwei Stunden in Wasser gelöst zu sich nimmt."
"Jetzt müssen wir die Nadeln ziehen und dann noch ein wenig Blut abnehmen, um die Werte zu prüfen", meldet sich der Arzt zu Wort.
"Aber sein Sie bitte vorsichtig, er ist Bluter", warne ich den Arzt.
"Dann bitte einmal den Faktor VIII", sagt er an die Schwester gewandt und macht sich dann an den Nadeln in Kohakus Arm zu schaffen. Er zieht die Erste raus und drückt einen Tupfer fest drauf, fixiert ihn mit einer Klettbinde und wartet auf die Schwester.
Als sie wiederkommt, reicht sie dem Arzt eine kleine Spritze. Er entfernt eine Kappe vom Dreiwegehahn und nimmt etwas Blut ab. Dann gibt er Kohaku die Spritze, die die Schwester gebracht hat und zieht dann auch die zweite Nadel. Als alles fest verschlossen ist, verlassen die beiden den Raum und ich bin wieder mit Kohaku alleine. Ich versuche ihn so sanft wie möglich zu wecken und animiere ihn, ein Glas Wasser mit der gelösten Aktivkohle zu trinken.
"Wie fühlst du dich?", frage ich, nachdem Kohaku das Glas ausgetrunken hat.
"Beschissen", antwortet er mit heiserer Stimme.
"Legst du dich ein bisschen zu mir? Dann geht es mir bestimmt gleich besser", fragt er leise und zieht mich wieder ein Stück zu sich, diesmal allerdings direkt in seine Arme.
Eng umschlungen genießen wir die Nähe des jeweils anderen und ich bin so froh und erleichtert, wie lange nicht mehr.

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